kassiber 48 - März 2002

Die deutsche Einmischung in Afghanistan hat eine fast hundertjährige Tradition

Von Berlin nach Kabul


Das Land am Hindukusch rückte erstmals mit der Hentig/Niedermayer-Expedition 1914/15 in den Blickpunkt der Außen- und Militärpolitik des deutschen Imperialismus. Diese Expedition versuchte vergeblich, Afghanistan als Verbündeten Deutschlands gegen Britisch-Indien im Ersten Weltkrieg zu gewinnen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen erfolgte 1921. Berlin griff die Reformfreudigkeit König Amanullahs auf, initiierte 1924 auf der Grundlage des zuvor abgeschlossenen deutsch-afghanischen Kulturabkommens die Gründung einer deutschen Schule in Kabul und schloß ein Abkommen über den Bau einer Eisenbahn sowie über die Entsendung deutscher Fachkräfte. Es folgte 1926 ein Freundschaftsvertrag. Die Visite Amanullahs in Berlin 1928 intensivierte die Wirtschaftsbeziehungen. Mit keinem anderen Land schloß Afghanistan so weitreichende Wirtschafts- und Handelsverträge ab wie mit Deutschland.

Der neue afghanische König Nader Schah verfolgte ab 1929 eine Außenpolitik mit probritischem Akzent, ohne dabei jedoch die deutsch-afghanischen Beziehungen zu vernachlässigen. Die geostrategische Bedeutung seines Reiches - an der Grenze zur UdSSR und zu Britisch-Indien - war fester Bestandteil der militärischen Konzeption Deutschlands im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs. Im März 1933 erklärte sich Hitler bereit, für Aufträge Afghanistans an deutsche Firmen einen Zinserlaß für frühere Kredite zu gewähren und Bürgschaften für 1,85 Millionen Reichsmark zu übernehmen; weitere Kredite über 6,5 Millionen Mark folgten 1935. Von größerer Bedeutung war die Übereinkunft in dem als (vertrauliches Protokoll) bezeichneten Vertrag über einen Militärkredit von 15 Millionen Mark an Afghanistan.

Das NS-Außenministerium entwarf im Dezember 1939 eine generelle Planung für alle Sektoren des afghanischen Staatswesens und veranlaßte die Verpflichtung deutscher Sachverständiger in afghanische Regierungsdienste. Dadurch sollte ein Netz von Stützpunkten für den Fall eines militärischen Vorgehens geschaffen werden. Außerdem wurde das afghanische Polizei- und Geheime Staatspolizeiwesen von deutschen Polizeioffizieren neu aufgebaut. Sogar die Kontrolle über die afghanische Armee strebten die Deutschen an. Sowohl die afghanische Polizei- und Armeeführung als auch der einflußreichste Repräsentant der afghanischen Bourgeoisie, Sabuli, waren wichtige Verbündete Deutschlands, und für das afghanische Angebot, im deutschen Interesse alle Möglichkeiten zu mobilisieren, wurde ein Rüstungskredit über 15 Millionen Mark gewährt.

Am 17. Februar 1941 notierte das Kriegstagebuch des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht: "Der Führer wünscht die studienmäßige Bearbeitung eines Aufmarsches in Afghanistan gegen Indien im Anschluß an die Operation Barbarossa." Wenig später wurde Afghanistan zum Thema im Generalstab des Heeres, und seit dem Frühjahr 1941 beschäftigte sich das Auswärtige Amt intensiver als zuvor mit einer militärischen Operation in Afghanistan. Die deutschen Pläne, Afghanistan in den Krieg einzubeziehen, scheiterten jedoch.

Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland erhielt Siemens-Schuckert als erste deutsche Firma einen Großauftrag zur Fertigstellung des bereits vor dem Krieg begonnenen Wasserkraftwerks Sarubi im Osten Afghanistans. Den ersten Handelskredit vergab die BRD 1950, daraufhin wurde 1951 die afghanische Handelsvertretung in München gegründet, und wieder ein Jahr später kam es zum ersten Warenaustauschabkommen. Technische Ausrüstungen für Fabriken wurden in der Folge, bis auf wenige Ausnahmen, in der BRD bestellt. Ende 1954 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder aufgenommen. Ein neues Warenaustausch- und Zahlungsabkommen sowie ein Abkommen über die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit führten 1958 zur weiteren Intensivierung der Beziehungen. Im Laufe des ersten Entwicklungsplans 1956-62 wurden diverse Projekte von der BRD unterstützt. So waren westdeutsche Hydrologen im afghanischen Ministerium für Bergbau und Industrie tätig. Auch am Aufbau der Seifen- und Speiseölproduktion im Norden Afghanistans und an der Errichtung eines Elektrizitätswerks und der Starkstromleitung zwischen Kabul und Spinboldak sowie am Aufbau des Telefonnetzes in Kabul war die Bundesrepublik beteiligt. Außerdem kamen Afghanen zur Ausbildung in die BRD, und deutsche Lehrkräfte wurden an die Universität Kabul und an technische Schulen in Afghanistan geschickt.

Während des zweiten Fünfjahresplans 1962-67 verstärkte Bonn seine finanzielle Unterstützung Afghanistans, um im Kalten Krieg das Land auf die Seite des Westens zu ziehen. Ministerpräsident Daud war im Juli 1961 als erster afghanischer Regierungschef in die BRD gekommen. Probleme in den Beziehungen gab es zwar augenscheinlich nicht, dennoch wurde Daud nicht übermäßig herzlich empfangen, war doch Afghanistan noch nicht zur Aufgabe seiner Neutralitätspolitik und zum Beitritt zu einem Militärpakt des Westens bereit.

Der erste bürgerliche Regierungschef Yussuf leitete mit seinem Amtsantritt 1963 auch eine Wende in der afghanischen Außenpolitik ein, die sich fortan stärker am westlichen Lager orientierte. Yussuf erwog sogar eine Assoziierung Afghanistans mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und intensivierte auch die Beziehungen zu den engen Verbündeten des Westens in der Region, Pakistan und Iran. Wirtschaftspolitisch ging die Förderung des Privatkapitals mit der Gewährung günstigerer Investitionsbedingungen für ausländische Unternehmer einher. Die BRD wollte sich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens in Afghanistan engagieren, dafür gab sie von 1962-67 Kredite für insgesamt 260 Millionen DM. Trotz dieser jahrzehntelangen Entwicklungshilfe verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage des Landes zusehends, und die Schulden verdoppelten sich innerhalb kurzer Zeit.

Auch als Afghanistan, nach dem Sturz König Sahir Schahs, 1973 Republik wurde und die Anerkennung der DDR zu den ersten außenpolitischen Maßnahmen der neuen Regierung gehörte, änderte sich an der bundesdeutschen Afghanistanpolitik wenig. Bonn blieb darauf bedacht, dem südlichen Nachbarn der Sowjetunion zu einem möglichst großen politischen Handlungsspielraum gegenüber den sozialistischen Staaten zu verhelfen und eine Stärkung der westlichen Position in Mittel- und Südasien zu erreichen, vor allem aber seine langfristigen wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Einige der von der Bundesrepublik geförderten Projekte, allen voran die Polizei- und Geheimdienstausbildung, tragen dem Rechnung. Leider fällt die Bilanz dieser alle Bereiche umfassenden Entwicklungshilfe desaströs aus, und es bleibt festzuhalten, daß bundesdeutsche und afghanische Mittel in dreistelliger Millionenhöhe verschleudert wurden. Nach der Aprilrevolution 1978 in Afghanistan gingen die Westmächte auf Distanz zu Kabul, was die afghanische Regierung zu einer engeren Kooperation mit den sozialistischen Ländern zwang. Die Bundesregierung nahm die Ermordung zweier BRD-Lehrerfamilien durch Mudjaheddin im September 1979 zum Anlaß, die Beziehungen zu Afghanistan einzufrieren. Finanzielle Zusagen wurden zunächst hinausgezögert, später für unbestimmte Zeit ausgesetzt, und am neuen Fünfjahresplan wollte man sich nicht mehr beteiligen.

Nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 wurden alle Bundesbürger außer dem Botschaftspersonal abberufen. Die Beziehungen verschlechterten sich weiter, da Bonn die Distanzierung von den sozialistischen Ländern zur Vorbedingung für die Zahlung von Entwicklungshilfe machte. Damit wurde von der BRD das vorläufige Ende der über dreißigjährigen Beziehungen herbeigeführt, und bis zum Sturz Nadjibullahs und der Machtübertragung an die Mudjaheddin im April 1992 änderte sich daran nichts.

Die BRD gab Afghanistan vorläufig für sich verloren und verlagerte ihr politisches und ökonomisches Engagement stärker auf Pakistan und die afghanischen Mudjaheddin. Der pakistanische Militärdiktator Zia ul Haq wurde mit einem umfangreichen Sonderprogramm und das Mudjaheddin- Bündnis via Pakistan unterstützt. Selbst im humanitären Bereich war die Afghanistanpolitik der BRD eindeutig von politischen Interessen geprägt. Obwohl Amnesty International die Lage in Afghanistan 1995 als "Menschenrechtskatastrophe" einschätzte, änderte sich die bundesdeutsche Asylpolitik nach der Machtübernahme durch die Mudjaheddin dramatisch: Wurden bis 1992 Afghanen ohne weiteres als "politisch Verfolgte" anerkannt, tendierte die Anerkennungsquote Ende der neunziger Jahre gegen Null. Von 1978 an erfreuten sich die Mudjaheddin einer beträchtlichen Sympathie in der BRD. Mudjaheddin-Führer wurden von bundesdeutschen Politikern wie Franz-Josef Strauß, Alfred Dregger, Ernst Albrecht und selbst von Helmut Kohl und Willy Brandt empfangen. Vor allem aber erhielten sie finanzielle, politische und logistische Unterstützung aus dem Budget des Auswärtigen Amtes, die entweder als humanitäre Hilfe getarnt oder durch pakistanische Kanäle geleitet wurde. Die meisten islamistischen Gruppierungen Afghanistans unterhielten in Bonn Büros, und ihre politisch-propagandistischen Aktivitäten wurden großzügig finanziert.

Als die Taliban im September 1996 die Hauptstadt Kabul einnahmen, plädierte der ARD-Radiokorrespondent Martin Fritz für ein Arrangement der Bundesregierung mit den Taliban, sogar für deren internationale Anerkennung. Schon vor der Einnahme Kabuls hatte eine Taliban-Delegation in Bonn Gespräche im Außenministerium, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie mit der Führung der SPD geführt. Zu schriftlichen Vereinbarungen kam es zwar nicht, aber materielle Unterstützung wurde ihnen zugesagt, obwohl die BRD mit der von den Taliban gestürzten Regierung Rabani diplomatische Beziehungen unterhielt und offiziell immer noch unterhält.

Im September 1995 war, wie der Regierungssender "Stimme Afghanistans" meldete, eine geheime Waffenlieferung aus der Bundesrepublik für die Taliban aufgedeckt worden - unter anderem Panzerfäuste und 146 verschiedene Zubehörteile sowie Nachrichtengeräte im Wert von 34,5 Mio. DM, abgewickelt durch Balal Safdar, einen Offizier des pakistanischen Geheimdienstes ISI. Die Rüstungsgüter sollten den Taliban auf dem Flughafen von Kandahar übergeben werden. Siemens verhandelte mit der Taliban-Führung in Kabul über ein neues Telefonsystem, wie Mitte Dezember 1998 durch BBC bekannt wurde. Der Vertreter der Taliban in der Bundesrepublik, Nek Muhammad Nekmal, gab an, Siemens und Hoechst hätten ihm gegenüber ihr Interesse an einem Afghanistangeschäft bekundet. Inzwischen wurde auch ein an Afghanistan interessiertes internationales Firmenkonsortium, Afghanistan Development Co., unter deutscher Führung gebildet, dessen Experten in Ainak, 35 Kilometer südlich von Kabul, nach Kupfer suchten. Die Mineralogen vermuten ein Vorkommen an Erzen von bis zu 11 Milliarden Tonnen. Nach Gesprächen mit dem Taliban-Minister für Bergbau, Industrie und Telekommunikation begannen die ausländischen Investoren auch in vier weiteren Provinzen mit Vorstudien. Als einer der Firmenvertreter auf die Verletzung der Menschenrechte insbesondere gegenüber Frauen angesprochen wurde, antwortete er lakonisch, er sei Geschäftsmann und kein Politiker. 1998 eröffneten die Taliban mit stillschweigender Duldung der Bundesregierung in Frankfurt am Main eine sogenannte diplomatische Vertretung. Sie stellten Pässe und Visa aus und bedrohten afghanische Emigranten, sollten sie sich irgendwie gegen die Taliban stellen. Afghanische Studenten berichteten, daß sie von den Taliban Morddrohungen per E-mail erhalten hätten, weil sie sich auf ihren Homepages kritisch äußerten. Erst jetzt, nach der Katastrophe von New York und Washington, hat die Bundesregierung die Schließung der Taliban-Vertretung veranlaßt. Der Bundeskanzler und sein Vize fordern jetzt vehement die Beseitigung des afghanischen Terrorregimes, dabei waren dessen Vertreter noch am 17. Juli 2001 zu Geheimverhandlungen nach Berlin eingeladen worden, wie Ende Oktober der ARD-Weltspiegel berichtete, und das, obwohl die UN seit Anfang des Jahres verschärfte Sanktionen gegen das Talibanregime verhängt hatten. Ihnen wurde sogar die internationale Anerkennung in Aussicht gestellt, wenn sie bereit wären, Osama Bin Laden fallen zu lassen.


Matin Baraki


Matin Baraki ist Verfasser des Buches "Die Beziehungen zwischen Afghanistan und der Bundesrepublik Deutschland 1945-1978" (Frankfurt/M. 1996, 709 Seiten, 168 Mark).


aus: konkret 12/2001
 


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kombo(p) - 21.07.2002