kassiber 47 - Dezember 2001

Interview mit Jürgen Heiser zur Biographie von Mumia Abu-Jamal

Als Politischer Gefangener im "Land der Freien"


Im Atlantik Verlag ist vor kurzem das Buch "On a move. Die Lebensgeschichte von Mumia Abu-Jamal" von Terry Bisson erschienen. Der Verleger des Buches, Jürgen Heiser, und der Übersetzer von "On a move", Michael Schiffmann, waren in den letzten 3 Monaten mit einer Lese- und Veranstaltungsreihe zur aktuellen Situation von Mumia Abu-Jamal in verschiedenen europäischen Städten unterwegs. Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview mit Jürgen Heiser vom Atlantik-Verlag, Bremen.


Seit etwa zehn Jahren wird die Diskussion über den "Fall Mumia" in den USA öffentlich geführt. Wie hat sich seitdem die Diskussion über die Todesstrafe entwickelt?


Heiser: Bis vor fünf Jahren existierte dort eine sehr strikte Zustimmung zur Todesstrafe und Mumia hat es geschafft die Thematik generell in die Öffentlichkeit zu bringen. Mit ihm sitzt zum ersten Mal ein Journalist und Autor in der Todeszelle, der aus eigenem Erleben in der Lage ist, die Situation und Barbarei der Todesstrafe zu beschreiben. Er hatte jetzt 20 Jahre lang "Gelegenheit", diese Erfahrung zu machen und betrachtet die Situation nicht nur aus der eigenen Perspektive, sondern auch als politischer Journalist. Sein erstes Buch "...aus der Todeszelle" hat in den USA mit dazu beigetragen, daß die öffentliche Meinung zur Todesstrafe in den letzten Jahren umgeschwungen ist: und zwar tendenziell positiv für die Gegner der Todesstrafe. Und somit natürlich auch für die über 3700 Gefangenen in den Todeszellen.


Wie sieht eine solche Veränderung in der öffentlichen Diskussion denn praktisch aus?


Heiser: Durch die wöchentlichen Veröffentlichungen von Mumia haben die Leute einen Einblick in die Erlebnisse im Todestrakt gekriegt und erfahren, wie viele Gefangene dort auch unschuldig sitzen. Mittlerweile gibt es 98 Fälle aus den letzten Jahren, in denen zum Tode verurteilte Gefangene als unschuldig wieder freigelassen werden mußten. Nach drei solcher Fälle in Chicago hat der Gouverneur im vorletzten Jahr ein Moratorium verkündet, nach dem die Todesstrafe wird dort nicht mehr ausgesprochen wird und die bereits verurteilten Häftlinge nicht hingerichtet werden. In drei weiteren Bundesstaaten werden solche Moratorien überlegt. Der Gouverneur hat erklärt, wenn die Möglichkeit besteht, daß Menschen unschuldig im Todestrakt sitzen, müsse diese Situation geändert werden. Das hat zu einer verstärkten Berichterstattung über diese Fälle beigetragen, sogar bei der "konservativen Tante" New York Times. Insgesamt ist die Todesstrafe zu einem Diskussionspunkt geworden, an dem auch die Zweifel lauter geworden sind.


Inwieweit wird in dieser Diskussion auch der Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft thematisiert?


Heiser: Es gibt natürlich auch weiße Gefangene im Todestrakt, aber die Wahrscheinlichkeit, daß ein Farbiger im Todestrakt landet, ist weitaus höher. Und damit stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Rassismus und fehlenden finanziellen Möglichkeiten der meisten Angeklagten und Gefangenen in den Todestrakten. Selbst die herrschenden Kreise in den USA sehen, daß die Knastpopulation in erster Linie aus Menschen besteht, die keine weiße Hautfarbe haben. In den Black Communities herrscht das Gefühl vor, die "Dritte Welt" der USA zu sein, also nur als Rohstofflieferanten oder als billige Arbeitskräfte gebraucht zu werden. Insbesondere die Jugend wächst dort mit einer für uns nicht nachvollziehbaren Perspektivlosigkeit auf. Als Alternative hält der Staat nur den Knast bereit: in den USA wurden 6 Millionen Menschen verurteilt, davon sind 4 Millionen auf Bewährung mit Auflagen draußen, 2 Millionen sitzen in den Gefängnissen. Wenn man sich dort "bewähren" will, muß man sich an der "produktiven Zwangsarbeit in den Knastfabriken" beteiligen, auf der das Gefängnissystem basiert. Viele Leute in den Communities und Linke kritisieren das Gefängnissystem als eine moderne Form der Sklaverei, der die Schwarzen auch früher schon unterlagen.


Mumia war anfangs noch Gefangener in einem alten Knastbau in Huntington, wo in den einzelnen Stationen die Zellen zum Gang hin offen und nur mit Gittern abgetrennt sind. Aktuell sitzt er im Knast SCI-Greene in Pennsylvania. Wie sieht Mumias Haftsituation dort aus?


Heiser: Von den äußeren Bedingungen ist die Haft in der Todeszelle vergleichbar mit Hochsicherheitsknästen, wie z.B. Stammheim. Der Trakt besteht aus Isolierzellen mit festen Stahltüren. Dazu kommt, daß die Gefangenen dort keine Zeitstrafe absitzen, sondern wissen, daß sie hingerichtet werden sollen. Sie wissen nie, wann das Urteil rechtskräftig wird oder der Gouverneur den Hinrichtungsbefehl unterzeichnet. Mumia ist allein und hat nur gelegentlich die Möglichkeit zum Hofgang mit anderen. Er nennt diese Situation: "Der Tod sitzt als ständiger Begleiter neben mir auf der Pritsche" und hält das nur durch seine innere Stärke aus, die sich aus seinem politischen Bewußtsein speist. Viele Gefangene, die das nicht haben, zerbrechen daran: Einige ziehen ihre Rechtsmittel zurück und wollen nur noch hingerichtet werden, damit diese Folter endlich aufhört.


Als 1995 der Hinrichtungsbefehl unterzeichnet worden war, stellten Mumias AnwältInnen den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Mittlerweile liegt es bei Bundesrichter Yohn in Philadelphia, der als Einzelrichter darüber entscheidet, ob der Berufungsantrag genehmigt wird, d.h.: ob es doch ein Wiederaufnahmeverfahren geben wird. Was würde eine positive Entscheidung seitens Yohn bedeuten ?


Heiser: Eine Genehmigung würde erstmals ermöglichen im Rahmen einer Anhörung die entlastenden Beweismittel in die Akten einzuführen, die jetzt in großer Fülle da sind. Richter Alberto F. Sabo, der auch das Todesurteil gefällt hatte, war es bislang gelungen, alle entlastenden Beweismittel aus den Akten raus zu halten. Yohn ist der Letzte, der das in die Akten einführen kann. Würde die Entscheidung negativ ausfallen, würde auch die nächst höhere Berufungsinstanz nur nach der alten Aktenlage ohne Anhörung entscheiden. Damit würde die Wiederaufnahme auch dort abgelehnt.


Inzwischen hat Arnold Beerly gestanden, den Polizisten Daniel Faulkner 1981 erschossen zu haben. Wie hat diese Aussage die juristische Situation verändert?


Heiser: Die Staatsanwaltschaft nimmt das Geständnis, das jetzt auf Video vorliegt und auch der Justiz und den Medien zugespielt wurde, nicht ernst und hält es für erfunden. Die Verteidigung hält dagegen: "Wenn ihr das glaubt, warum vernehmt ihr den Mann nicht? In einem Verhör könntet ihr ja beweisen, daß die Aussage nicht stimmt". Beverly sagt, er habe Faulkner damals im Auftrag der Unterwelt und korrupter Polizeikreise erschossen. D.h.: Faulkner ist damals unter Zuhilfenahme eigener Kollegen hingerichtet worden, weil er ihnen im Wege stand. Die Täter waren zwei gedungene Mörder, darunter Arnold Beverly. Die Polizei in Philadelphia ist bis heute dafür bekannt, daß sie nicht nur rassistisch, sondern auch korrupt bis in die Zehenspitzen ist. Einige der Polizisten, die Mumia festgenommen haben und berichteten, er habe ihnen den Mord gestanden, sind im weiteren Verlauf des Verfahrens nie wieder aufgetaucht. Alfons Giordano beispielsweise ist einer von ihnen. Kurze Zeit später ist er selbst verurteilt und aus dem Polizeidienst entfernt worden, weil er 3000 $ Schmiergelder von Zuhältern aus dem Rotlichtmilieu angenommen hatte.


Was würde sich ändern, wenn Beverlys Aussage ernst genommen wird?


Das Eingehen auf dieses Geständnis würde große Probleme für die Justiz und die politischen Kreise mit sich bringen. Mit der Vernehmung von Beverly würde für die Öffentlichkeit eine Perspektive eröffnet, an deren Ende deutlich würde, daß Mumia nur aus einem Grund in der Todeszelle gehalten und hingerichtet werden soll. Das soll verdecken, daß Faulkner damals aus ganz anderen als den offiziellen Gründen umgebracht worden ist. Außerdem müßte man sich die Korruption damals bis heute genauer angucken - und das ist für die Stadt Philadelphia von so großer politischer Brisanz, daß da momentan nur gemauert wird, um Beverly gar nicht erst vernehmen zu müssen.


Im Alantik-Verlag ist Mumias Lebensgeschichte von Terry Bisson erschienen. Warum schreibt ausgerechnet ein weißer Sience-Fiction-Autor eine solche Bibliographie?


Heiser: Bisson kennt und besucht Mumia seit 15 Jahren. Im Laufe ihrer Freundschaft sagte Mumia, er fände die Idee ganz gut, eine Biographie zu schreiben. Bisson reagierte etwas hilflos, weil er ja nun mal SF-Schriftsteller ist. Mumia hat darauf geantwortet: "Wenn du über den Mars schreiben kannst, kannst du auch über die 60er Jahre schreiben". Denn für viele sind die 60er Lichtjahre entfernt. Und es ist Bisson auf glänzende Weise gelungen, die Person Mumia präsent werden zu lassen. Damit können viele Menschen nachvollziehen, was er für ein Mensch ist und warum er in diese Situation geraten ist. Darin spielt Mumias politische Geschichte der 60er und 70er Jahre eine große Rolle. Die Biographie ist ein bewegtes Dokument der Zeitgeschichte und eröffnet vielen Lesern die Möglichkeit, den Werdegang des Menschen Mumia hinter der Schablone nachvollziehen zu können. Viele Leute haben ähnlich wie ich ganz neue Facetten von Mumia entdeckt. Das ist insbesondere für die jüngeren UntersützerInnen sehr hilfreich, die ja momentan die meiste Kampagnen-Arbeit machen.


aus: göttinger Drucksache Nr. 411, 26.10.01 (redaktionell leicht überarbeitet)


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