kassiber 47 - Dezember 2001

Die neoliberale Globalisierungsoffensive hat zu einer tiefgreifenden Reorganisation der imperialistischen Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse geführt

Kapitalistische Globalisierung


Wenn der Standortwettlauf gesellschaftliches Leitprinzip wird und nicht zuletzt infolgedessen Rassismus, Nationalismus und aggressiver Wohlstandschauvinismus blühen, wird der Raum für internationale Solidarität eng. Ähnlich wie es den sogenannten "neuen sozialen Bewegungen" insgesamt ergangen ist, erscheinen die Reste der internationalen Solidaritätsbewegung heute nicht nur schwach, sondern auch politisch einigermaßen konzeptionslos.

Es ist bezeichnend, daß zum Beispiel die großangekündigte und recht großmäulig als "intergalaktisch" bezeichnete Berliner "Konferenz gegen den Neoliberalismus" im Sommer dieses Jahres (der Artikel stammt aus dem Jahr 1997; Anm. d. Red.) allein schon deshalb als Erfolg gewertet wurde, weil immerhin noch einige hundert Leute zusammenkamen. Von greifbaren politischen Ergebnissen ist weniger bekannt geworden. Für diesen Niedergang sind gewiß viele politische Fehler in der Vergangenheit verantwortlich zu machen, nicht zuletzt eine sehr unkritische Identifikation mit "nationalen Befreiungsbewegungen" ungeachtet der Tatsache, daß diese - nicht zuletzt wenn an die Macht gekommen - den Maßstäben einer emanzipatorischen Politik oft sehr wenig gerecht wurden.

Schwerwiegender ist allerdings, daß sich die Welt seit den siebziger Jahren dramatisch verändert hat. Der politisch regulierte "fordistische" Nachkriegskapitalismus ist der zweiten Weltwirtschaftskrise dieses Jahrhunderts zum Opfer gefallen. Die neoliberale Globalisierungsoffensive, mit der die Krise überwunden werden sollte, hat zu einer tiefgreifenden Reorganisation der imperialistischen Dominanz- und Abhängigkeitsverhältnisse geführt und für viele Regionen der Welt den Begriff "Entwicklung" endgültig zu einer bloßen Schimäre werden lassen. Und schließlich hat der Zusammenbruch der Sowjetunion nicht nur die globalen Kräfteverhältnisse umgestülpt, sondern auch die letzten - und wie auch immer verqueren - Hoffnungen auf die Realisierbarkeit eines etatistischen Sozialismus zum Verlöschen gebracht. In mehrfacher Hinsicht hat mit der "Zweiten" auch die "Dritte Welt" zu existieren aufgehört. Was einst als kapitalistische Peripherie bezeichnet wurde, umfaßt heute prosperierende "Tigerstaaten" wie völlig marginalisierte Elendsregionen und ist ökonomisch, politisch und sozial kaum noch auf einen Nenner zu bringen. Ganz zu schweigen davon, daß die kapitalistische Restrukturierung dazu führt, daß sich "periphere" Zonen inzwischen auch in den Großstädten der entwickelten Metropolen ausbreiten. Das Verhältnis von "Zentrum" und "Peripherie" ist komplexer und widersprüchlicher geworden und läßt eine einfache geographische Aufteilung der Welt immer weniger zu.


I. Konturen der aktuellen "Weltordnung"

Die veränderte "Weltordnung" am Ausgang des 20. Jahrhunderts zu beschreiben, würde hier zu weit führen. Deshalb sollen nur einige wichtige Punkte hervorgehoben werden:

1. Die kapitalistische Globalisierungsoffensive, deren Kern die internationale Deregulierung der Kapital- und Finanzströme darstellt, hat die wirtschafts- und sozialpolitischen Spielräume der Einzelstaaten stark beschnitten. Die Folge davon ist, daß die Dynamik des Weltmarkts unmittelbarer auf die nationalen Ökonomien durchschlägt und der Druck auf die Regierungen stärker wird, sich den Verwertungsinteressen des internationalen Kapitals zu unterwerfen. Unter dem Diktat kapitalistischer "Standortpolitik" schwinden gerade in abhängigen Ländern die Möglichkeiten zu einer eigenständigen Wirtschafts- und Sozialpolitik noch weiter. Diese Aushöhlung einzelstaatlicher Kompetenzen ist eines der entscheidenden Mittel zur Durchsetzung der krisenbereinigenden kapitalistischen Restrukturierungspolitik. Mit der Beschränkung einzelstaatlicher Spielräume gehen auch die Möglichkeiten einer staatlich gestützten, eigenständig-"nationalen" Entwicklungsstrategie gegen Null. Damit ist "nationalen Befreiungsbewegungen" klassischen Musters weitgehend der Boden entzogen worden.

2. Die Krise des fordistischen Nachkriegskapitalismus hat zu einem völligen Zusammenbruch der internationalen Regulation des Weltmarkts und der globalen Finanzbeziehungen geführt. Eine politische Steuerung des globalen Akkumulationsprozesses findet nicht einmal mehr ansatzweise statt. Internationale Organisationen wie der IWF oder die Weltbank mausern sich immer unbemäntelter zu ausführenden Agenturen des internationalen Finanzkapitals.

3. Nach dem Verlust der uneingeschränkten politisch-ökonomischen Vorherrschaft der USA und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird das imperialistische System heute von der "Triade" USA, EU und Japan beherrscht. Den immer schärfer konkurrierenden Zentren kommt es nicht zuletzt darauf an, regionale Vor- und Hinterhöfe zu kontrollieren, die als Billiglohnreservoir, Absatzmarkt und gegebenenfalls auch Müllkippe zu dienen haben. Das Verhältnis zwischen den Metropolen ist durch eine konflikthafte Kooperation gekennzeichnet, in der sich der fortwährende Wirtschaftskrieg mit der Unterordnung unter die einzig dominierende Militärmacht USA verbindet. Diese treten immer stärker als die gemeinsame "Weltpolizei" der Metropolen auf, die es übernimmt, die zerfallende Peripherie unter Kontrolle zu halten und Konfliktherde gewaltsam ruhig zu stellen. Die militärische Machtbalance des Kalten Kriegs, die abhängigen Ländern gewisse politische und wirtschaftliche Bewegungsspielräume gewährleistet hatte, ist verschwunden. Die Vereinten Nationen, unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts in gewisser Hinsicht einst noch eine politische Plattform für die "Dritte Welt", werden immer eindeutiger von den Metropolen instrumentalisiert und planmäßig geschwächt. Mit dem Ende des Kalten Kriegs ist auch die Notwendigkeit entfallen, aus politischen Legitimationsgründen ökonomisch-soziale Marginalisierungs- und Verarmungsprozesse in der Peripherie abzuschwächen oder durch Hilfsaktionen aufzufangen. Die scheinbar unentrinnbar gewordene kapitalistische Marktwirtschaft bedarf keiner Rechtfertigung mehr.

4. Als Folge dieser Entwicklungen vergrößern sich die internationalen sozioökonomischen Ungleichheiten. Die soziale Spaltung und die politische Desorganisation der Unterdrückten, die immer schon ein wesentliches Moment kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse dargestellt haben, erhalten durch die Globalisierung einen neuen Schub. Regionale und nationale Ungleichheiten, auf denen der globale Akkumulationsprozeß notwendig beruht, verschärfen sich. Die Illusion von der Möglichkeit einer allgemeinen industriellen Entwicklung der Welt nach dem Muster der kapitalistischen Metropolen ist endgültig zerbrochen. Große Regionen drohen vom globalen Akkumulationsprozeß überhaupt abgehängt zu werden. "Entwicklungshilfe" ist längst von einer Mischung von "Not-" und "Katastrophenhilfe" sowie sogenannten "humanitären" Militärinterventionen abgelöst worden. Folgerichtig wird verlangt, sie auf bloße Armenfürsorge zu beschränken. Abhängige Staaten streben nicht mehr nach Autonomie, sondern nach einer wenigstens untergeordneten Eingliederung in die herrschenden Triadenblöcke. Dieser verzweifelte Wettlauf um Abhängigkeit untergräbt die materielle Basis für internationale Solidaritäten immer stärker.

5. Die formelle "Demokratisierung", die seit den achtziger Jahren in einigen Teilen der Welt stattgefunden hat, muß eher als Instrument dieses Anpassungswettlaufs denn als Ausdruck eines sozialen Emanzipationsprozesses begriffen werden. Sie dient wesentlich als Rahmenbedingung des neoliberalen Politikmanagements sowie als Vehikel kapitalistischer Strukturanpassungsstrategien. Mit substanzieller demokratischer Selbstbestimmung hat sie um so weniger zu tun, je stärker die einzelstaatliche Politik dem Diktat des globalen Akkumulationsprozesses und den Weisungen internationaler Finanzinstitutionen oder multinationaler Banken unterworfen wird. Liberaldemokratische Verhältnisse, soweit sie überhaupt in halbwegs ausgebildeter Form existieren. erweisen sich immer deutlicher als Bemäntelung eines neuartigen politischen Autoritarismus in Form einer "lean democracy". Diese Aushöhlung der liberalen Demokratie im globalisierten Kapitalismus betrifft abhängige Länder noch erheblich stärker als die Metropolen.

6. Nach dem Scheitern von Gesellschaftsordnungs- und Entwicklungsmodellen, die eine Alternative zum entfesselten Marktkapitalismus darstellen könnten - sozialdemokratisch-wohlfahrtsstaatlichen ebenso wie staatssozialistischen -, scheint der ideologische Durchmarsch des Neoliberalismus perfekt. Der "Markt in den Köpfen" herrscht bis weit in Teile des ehemaligen linken Spektrums hinein. Aus der verschärften Konkurrenz der Standorte, international wachsenden Ungleichheiten und ökonomisch-sozialen Ausgenzungsprozessen resultieren Massenfluchtbewegungen, die auf entschlossene Abschottungsmaßnahmen der wenigen Wohlstandsfestungen stoßen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, daß sich die neoliberale Ideologie eng mit Rassismus, aggressivem Nationalismus und einem ausufernden Wohlstandschauvinismus verbindet.


II. Internationale Solidarität zwischen Traditionalismus und kulturellem Relativismus

Festzustellen bleibt also zunächst einmal, daß die herrschenden ökonomischen, politischen und ideologischen Mechanismen eher dazu beitragen, die Voraussetzungen für die Entwicklung internationaler Solidaritäten zu untergraben. Die Fragmentierung der Welt, die sich bis in die nationalen Gesellschaften hineinzieht, die Einschränkung nationalstaatlicher Politikspielräume und das Fehlen alternativer Politik- und Gesellschaftsmodelle machen es immer schwerer, einen gemeinsamen politischen Nenner zwischen den auseinanderdriftenden Teilen der "Weltgesellschaft" zu finden.

Zugleich hat sich das politische Feld dessen, was heute als "links" gilt, erheblich verändert. Bestimmt durch den Niedergang der Protestbewegungen, den Zusammenbruch des "realen" Sozialismus und den allgemein wahrgenommenen Sieg des Kapitalismus hat sich hierzulande eine "Metropolenlinke" herausgebildet, die sich auf das Phantom einer "Zivilisierung des Kapitalismus" einschwört und alle theoretischen Einsichten über die Struktur und Dynamik dieser Gesellschaftsformation längst vergessen hat. Dies ist ein wesentlicher Hintergrund für die aktuelle Konjunktur von "Zivilgesellschafts"-Theorien, deren ideologischer Charakter angesichts der realen Entwicklungen auf der Hand liegt. Das Gerede von einer "Welt-Zivilgesellschaft" wirkt jedenfalls angesichts der ausufernden Kriege und Massaker mehr als zynisch.

Ein Moment dieser ideologischen Tendenz ist ein zunehmender Verzicht auf universalistische Orientierungen und damit verbunden ein problematischer kultureller Relativismus. Einigen Teilen der Welt wird die "kulturell" bedingte Unfähigkeit zu einer selbständigen gesellschaftlichen Gestaltung und Entwicklung bescheinigt und folglich einer Art imperialistischer Treuhänderschaft das Wort geredet. Nachdem die Illusion einer allgemeinen Entwicklung der Welt nach industriekapitalistischem Muster zerstoben ist, gibt es daneben eine starke Tendenz, die Unmöglichkeit einer Verbesserung der realen Lebensbedingungen und der Verwirklichung eines wirklichen Fortschritts mit der Entdeckung "kultureller" Unterschiede oder der naiven Propagierung subsistenzwirtschaftlicher Mythen sozusagen ins Positive zu verkehren. Aus der begründeteten Kritik eines unreflektierten Fortschrittsbegriffs folgt oft die Romantisierung von Marginalität. Dadurch werden oft "ethnische" Besonderheiten ungeachtet der realen Interessen der Betroffenen zur neuen und nicht weniger problematischen Projektionsfolie internationalistischer Orientierungen.

Nachdem die Orientierung an nationalen Befreiungsbewegungen traditioneller Art mangels Masse nicht mehr viel hergibt (was durch das Debakel in Irakisch-Kurdistan erst vor kurzem noch einmal nachdrücklich bestätigt wurde), kommt der politisch-theoretische Traditionalismus in veränderter Gestalt wieder. Dazu gehört die Neuauflage von Verelendungstheorien, die in der weltweiten Zunahme von Armut und Marginalisierung wieder einmal eine Tendenz zu einer allgemeinen "Proletarisierung" am Werke sehen und darin die Grundlage nicht nur für einen Aufschwung, sondern auch für eine weltweite "Vereinheitlichung" antikapitalistischer Kämpfe erblicken.

Im Kern als nicht viel weniger problematisch erweist sich die Losung vom Kampf gegen den "Neoliberalismus", die die versprengten Reste der Solidaritätsbewegungen als quasi kleinsten gemeinsamen politischen Nenner neuerdings auf ihre Fahnen schreiben. Dieser gilt nun als allgemeiner Feind der Menschheit, und ihm habe der weltumspannende Widerstand zu gelten. Daß das höchst verschwommene Wort "Neoliberalismus" an die Stelle des einstmals ebenfalls recht krude verstandenen Imperialismusbegriffs getreten ist, bleibt nicht ohne Folgen. Dahinter verbirgt sich ein gravierendes kapitalismustheoretisches Defizit, das verschleiert, daß die neoliberale Wende keine Abweichung, sondern viel eher die Rückkehr zur Normalität des kapitalistischen Produktionsverhältnisses ausdrückt.

Unausgesprochen zielt der Kampf gegen den Neoliberalismus damit praktisch auf einen besseren, eben humaneren und zivilisierten Kapitalismus. Hier scheinen sich die etablierte Metropolenlinke und die noch vorhandenen Solidaritätsgruppen auf eigentümliche Weise zu begegnen. Solche Orientierungen sind angesichts fehlender gesellschaftlicher Alternativen vielleicht verständlich. Nur erscheinen sie nicht nur eigentümlich defensiv, sondern auch illusorisch, weil übersehen wird, daß die "Logik" der aktuellen kapitalistischen Restrukturierungsstrategie genau darin besteht, materielle Interessensgegensätze gerade unter den Ausgebeuteten und Unterdrückten zu vergrößern und sie damit gegeneinander auszuspielen. Dagegen helfen bloße Appelle und die Konstruktion abstrakter Gemeinsamkeiten wenig.

Was jenseits der großen Strategieentwürfe übrig bleibt, ist die Beschränkung praktischer Arbeit auf humanitäre Hilfs- und Menschenrechtspolitik. Diese ist zweifellos wichtig und müßte intensiviert werden. Beispielsweise wäre weder das Ende des Bürgerkriegs in El Salvador noch der Zusammenbruch des südafrikanischen Apartheidsregimes ohne die aktive Politik von Solidaritätsgruppen - nicht zuletzt in den USA - denkbar gewesen. Die Verbrechen des türkischen Staates in Kurdistan und die Mittäterschaft westlicher Regierungen wären ohne die Arbeit internationaler Solidaritätsgruppen und Hilfsorganisationen kaum ins Licht der Öffentlichkeit gekommen. Und daß der zapatistische Aufstand in Mexiko nicht kurzerhand militärisch zusammengeschlagen wurde, ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, daß es gelungen ist, eine wirksame internationale Öffentlichkeit herzustellen. Praktische Solidaritätsarbeit ist also zweifellos notwendiger denn je. An den grundlegenden ökonomisch-sozialen Strukturen vermag sie allerdings kaum etwas zu ändern und muß sich daher diesbezüglich ihre Hilflosigkeit immer wieder neu eingestehen.


III. Widersprüche

Das hier Skizzierte kann leicht als geschlossenes und unveränderbares Horrorszenarium verstanden werden, wenn die Widersprüche verkannt werden, die dem globalisierten Kapitalismus innewohnen. Tatsächlich hat die Globalisierung keine stabile kapitalistische "Weltordnung" geschaffen, sondern sorgt eher für die Permanenz der Krise. Je mehr der kapitalistische Markt sich verselbständigt und der globale Akkumulationsprozeß politische Regulierungen abstreift, desto stärker untergräbt er seine eigenen sozialen und natürlichen Voraussetzungen. Gesellschaften fallen auseinander, globale Naturkatastrophen und nicht mehr nur latente "Weltbürgerkriege" drohen. Schon deshalb ist es sehr fraglich, ob die neoliberale Strategie auf längere Sicht greift. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß die erfolgreiche Stabilisierung des Kapitalprofits seinerseits die natürlichen, sozialen und politischen Grundlagen des Akkumulationsprozesses zerstört.

Auf der anderen Seite bedeutet der Globalisierungsprozeß auch eine Vertiefung der internationalen Kommunikations- und Verkehrsverbindungen sowie des politisch-kulturellen Austauschs über nationale Grenzen hinweg. Darauf gestützt gibt es eine wachsende Internationalisierung der Politik auch jenseits multinationaler Konzernnetzwerke und Staatsbürokratien. Hier liegt ein realer Kern des Geschwätzes vom "globalen Dorf".

Nicht nur das Kapital hat sich globalisiert, sondern auch die Menschen sind zusammengerückt wie nie zuvor. Gerade die Aushöhlung der liberaldemokratischen Institutionen auf einzelstaatlicher Ebene hat die Entwicklung selbstorganisierter Bewegungen und Projekte vorangetrieben, die in der Lage sind, staatliche Zwangsverhältnisse und den Rahmen der Nationalstaatenkonkurrenz zu durchbrechen. Bei allen Unvollkommenheiten und Widersprüchlichkeiten bietet das sich ausweitende Feld internationaler "Nichtregierungsorganisationen" (NGO) ein Feld für die Entwicklung autonomer politischer Öffentlichkeiten und unabhängiger Kooperationsbeziehungen jenseits von Unternehmen und Staaten, das allmählich festere institutionelle Formen anzunehmen beginnt. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich hinter dem Begriff NGO höchst Verschiedenes verbirgt, von autonomen Gruppen bis hin zu Quasi-Staatsapparaten. Das heißt, daß dieser Sektor keine "zivilgesellschaftliche" ldylle, sondern selbst ein Feld fortdauernder Auseinandersetzungen und Kämpfe ist und bleibt.

Der Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme hat zwar die internationale Machtbalance und die politisch-sozialen Kräfteverhältnisse entscheidend verschoben, birgt aber auch die Chance, traditionelle ideologische Korsette und dogmatische Orientierungen zu sprengen. Das Feld sowohl für theoretische Diskussionen als auch für politische Orientierungen ist offener geworden. Die Möglichkeit, daß aus den Ruinen gescheiterter Revolutionshoffnungen und falscher politischer Strategien doch noch etwas Neues erwächst, besteht immerhin.

Und schließlich bleibt zu berücksichtigen, daß ungeachtet aller Krisen, Fragmentierungen, Gegensätze und Zersplitterungen die Menschen sich immer noch wehren, nach wie vor Revolten stattfinden und Widerstand geleistet wird - wenn auch in manchmal nach traditionellen Mustern wenig verständlichen und bisweilen auch rückwärtsgewandten Formen. Daß der globale Kapitalismus für die meisten Menschen dieser Welt keine Zukunftsverheißung, sondern ein globales Katastrophenprogramm darstellt, läßt sich auch durch postmoderne intellektuelle Diskurse und eine massive Medienpropaganda nicht völlig aus den Köpfen drängen.


Joachim Hirsch


aus: Tarzan - was nun? Internationale Solidarität im Dschungel der Widersprüche, Hamburg: Libertäre Assoziation, 1997.

Der Beitrag - Originaltitel "Kapitalistische Globalisierung und die Perspektiven internationaler Solidarität" - wurde von der Redaktion um den vierten Abschnitt "Politische Perspektiven" gekürzt.


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kombo(p) - 24.10.2001