kassiber 47 - Dezember 2001

Krieg gegen den Terrorismus um alte Vormachtstellungen

"Justice will be done!" (George. W. Bush)

Nach dem 11. September 2001 würde "nichts mehr so sein wie zuvor". Das ihren Nationen gebetsmühlenartig zu vermitteln, mühen sich Politik und Medien in Europa wie in den USA seit jenem 11. September Tag für Tag.

Dabei haben wir seit dem 7. Oktober, 18.30 Uhr MEZ, ein Stück Normalität wiedergewonnen. Mit der Bombardierung Afghanistans durch US-amerikanische und britische Truppen begann der 219. Krieg innerhalb der letzten 50 Jahre (laut Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung/AKUF, Hamburg). Logistisch wurden sie von Anfang an von deutschen, französischen, kanadischen und australischen Einheiten unterstützt.

Wobei von Krieg bei Politik, Militär und Medien wie fast immer keine Rede ist. Um einen "Vergeltungsschlag" für die Anschläge am 11. September gehe es, um einen "strike against terror" (CNN). Das Ziel sei, Osama bin Laden, dem mutmaßlichen Chef eines weltweiten islamistischen Terrornetzwerkes, das Handwerk zu legen. Er und seine Helfershelfer sowie Unterstützer sollten, so heißt es, getötet, nötigenfalls auch festgenommen werden. Doch dazu bräuchte es nicht die zahlreichen Flugzeugträger, nicht die B52-Bomber, nicht Hunderte von Marschflugkörpern, nicht Tausende von Streubomben.

Dieser Krieg richtet sich vor allem gegen die afghanische Bevölkerung: Aufgrund der tagtäglichen Bombardements befinden sich Millionen Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht. Innerhalb Afghanistans finden sie keinen auch nur einigermaßen sicheren Aufenthalt, keinen Schutz vor dem bevorstehenden eisigen Winter und - fast nichts zu essen. Und die Nachbarländer wollen sie genauso wenig hineinlassen wie die reichen Staaten des Nordens.

Die "Kollateralschäden", so nennen die NATO-Kriegsherren die zivilen Opfer der - daran haben wir uns seit dem zweiten Golfkrieg gewöhnt - "präzisen chirurgischen Schläge", dürften inzwischen in die Tausende gehen. Genauso gehört zum Krieg, wie zu jedem Krieg, daß Kraftwerke und andere "Infrastruktur", die gerade auch für die Zivilbevölkerung überlebensnotwendig ist, Wohngebiete, Schulen, Lebensmittellager des Roten Kreuzes, sogar UNO-Behörden und anderes mehr bombardiert werden. Aber diese Opfer wie auch die unzähligen weiteren, die auf der Flucht an Hunger und Kälte sterben werden, gingen - so will man uns weismachen - selbstverständlich auf das Konto der Terroristen, die zu bekämpfen die wochenlangen Bombardements nötig wären. Für die Bevölkerung habe man nur Gutes im Sinne. Da fallen einem gleich die Lebensmittelpakete ein mit Erdnußbutter und US-Fähnchen. Wie lange wohl schon hat die hungernde afghanische Bevölkerung auf diesen Segen gewartet. Leider haben auch Streubomben dieselbe gelbe Farbe. Und die Minen. Aber sobald die Tonnen bereits fertig geschnürten Lebensmittelpakete abgeworfen sind, würden die nächsten eine andere Farbe bekommen. Vorher nicht. Der finanzielle Schaden wäre zu groß, wird den ZweiflerInnen versichert.


Dreimal ist des Westens Recht, viermal ist auch nicht schlecht?

Mit diesem Krieg unternimmt der Westen das dritte Mal in knapp 20 Jahren den Versuch, mit der Aufrüstung von konkurrierenden - und "islamistischen"! - Warlord-Fraktionen ihm genehme Machtverhältnisse in Afghanistan zu etablieren. Das bisher größte dieser Projekte wurde 1983 gestartet. Damals standen 100.000 sowjetische Soldaten im Land, die von der damaligen sozialistischen afghanischen Regierung 1979 im Kampf gegen fundamentalistische Guerillagruppen zur "Hilfe" gerufen wurden.

Eigentlich konnte Afghanistan den USA ziemlich egal sein: Nicht eben arm an Rohstoffen, doch auch nicht reich, einer aus einer Reihe von sozialistischen bis prosowjetischen Staaten weltweit, die es kurz- bis mittelfristig (zumeist mit den Mitteln des "low intensity warfare" der nicht erklärten Kriege) zu erledigen galt. Doch Afghanistan schien eine Chance zu bieten, die Sowjetunion im Kalten Krieg, in den Zeiten des Hochrüstens, noch weiter zu schwächen. Auch nach mehreren Jahren hatte es die ehemals ruhmreiche Rote Armee nicht geschafft, mit den zunächst nur ein paar Tausend fundamentalistischen Guerilleros fertig zu werden. Der Krieg war trotz massiver Präsenz offenbar nicht zu gewinnen und sollte Ende der achtziger Jahre sogar mit einer verheerenden Niederlage enden.

1983 wurde ein zu den "erfolgreichsten" CIA-Operationen gerechnetes Programm aufgelegt: die Förderung eines religiös ideologisierten Widerstands, der nicht nur dazu beitragen sollte, die sowjetische Armee aus Afghanistan herauszuwerfen, sondern auch eine entsprechende Opposition in den südlichen (islamischen) Sowjetrepubliken zu schaffen. Mit Hilfe von mehreren Milliarden US-Dollar, die die US-Regierung zur Verfügung stellte, sollte zugleich dem Iran, damals schlimmster "Schurke" nach dem sowjetischen "Reich des Bösen" (US-Präsident Ronald Reagan), das Wasser abgegraben werden. Dem schiitischen Islam der anti-westlichen Teheraner Mullahs wurde eine sunnitische Strömung entgegengestellt, die es so bis dahin noch nicht gab: "fundamentalistisch" und pragmatisch pro-westlich.

Rund 100.000 Anhänger, die zugleich Kämpfer fundamentalistischer "internationaler Brigaden" gegen die Sowjetunion sein sollten, wurden vor allem vom mit der praktischen Ausführung beauftragten pakistanischen Geheimdienst ISI in 40 Staaten geworben, religiös-ideologisch geschult und mit Geld und Waffen ausgerüstet. Im Laufe der Zeit verselbständigten sich allerdings diese "arabischen Afghanen" und gründeten eigene Netzwerke, die sich dem Einfluß von CIA und ISI entzogen; ganz wesentlich an dieser Aufbauarbeit beteiligt: Osama bin Laden. 1994, der Krieg war für die Linksregierung schon zwei Jahre zuvor verloren, eroberten die Truppen, die heute große Teile der Nordallianz stellen, die Hauptstadt. Ein Drittel Kabuls wurde dabei in Schutt und Asche gelegt, mindestens 25.000 ZivilistInnen getötet, unzählige Frauen vergewaltigt. Die Fundamentalisten errichteten, so die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, ein Terrorregime mit Massenhinrichtungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und dem "Verschwindenlassen" zahlreicher Menschen.

Aber da waren diese "islamistischen" Guerilleros dem Westen schon längst nicht mehr genehm - und auch nicht nützlich. Bereits 1989 war die sowjetische Armee aus Afghanistan abgezogen, die UdSSR hatte sich bald danach aufgelöst, und in der Folge des zweiten Golfkriegs 1990/91 gerierten sich die in verschiedenen Gruppierungen aufgegangenen "arabischen Afghanen" immer stärker anti-westlich. Sie begründeten ihre Haltung offiziell damit, daß die USA und Großbritannien ihre "Besatzungstruppen" aus (Saudi-)Arabien nicht wieder abzogen.

Nunmehr wurde eine noch konservativere puritanische islamistische Bewegung, die der Taliban, alimentiert. Diese erst ab Anfang der neunziger Jahre an pakistanischen Koranschulen ausgebildete Gruppierung begann 1994 den Guerillakampf und marschierte 1996 in Kabul ein. Bis 1998 hatte sie etwa 90 Prozent des Landes unter ihrer Kontrolle. In ihren Massakern an der Zivilbevölkerung unterschieden sich die Taliban nicht wesentlich von denjenigen Truppen, gegen die sie den Krieg führten. Und ihre Strafjustiz entspricht ungefähr der anderer westlicher Bündnispartner in der Region. Ohne Zweifel haben die Taliban in Afghanistan ein übles, diktatorisches faschistoides Regime eingerichtet, das jegliche Kritik unterdrückt, Frauen völlig entrechtet und (seit Mai 2001) Hindus zwingt, einen gelben Stoff am Hemd zu tragen.

Doch "Menschenrechte" wären für den Westen natürlich keine Gründe gewesen, den Taliban die Unterstützung zu entziehen. Daß dies 1998 dennoch geschah, dürfte eher daran liegen, daß sie nicht in der Lage waren, die "arabischen Afghanen" unter Kontrolle zu halten. Wie denn auch? Die meisten von ihnen waren inzwischen in ihre Heimatländer zurückgekehrt und machten sich daran, ihre Schule des Islam nicht nur zu propagieren, sondern auch militant durchsetzen zu wollen. Und massakrierten dabei nicht nur Einheimische (wie im algerischen Bürgerkrieg), sondern immer öfter auch - vor allem - US-amerikanische "Besatzer". Oder kämpften - das war wiederum durchaus erwünscht - in den jugoslawischen Sezessionskriegen, vor allem in Bosnien und im Kosovo.

Die westliche Unterstützung der "Nord-Allianz" als potentieller neuer afghanischer Regierung wird im jetzigen Krieg zwar sichtbar, tatsächlich verabredet wurde sie aber bereits im Oktober 1998. Damals einigte sich die "6+2-Gruppe" (die Anrainerstaaten plus USA und Rußland), die Taliban fallenzulassen und nunmehr wieder auf die "Nord-Allianz", die noch knapp zehn Prozent Afghanistans kontrollierte, zu setzen und - mit Waffen zu versorgen. Im Dezember 1999 verhängte der UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo und einen Lieferstopp für chemische Erzeugnisse gegen Afghanistan, bereits zuvor waren die Taliban-Bankguthaben international eingefroren worden. Offiziell begründet wurde all dies damit, daß die Taliban Osama bin Laden in Afghanistan duldeten. Bin Laden und seinem angeblich aus den "arabischen Afghanen" rekrutierten "Terrornetzwerk" wurden nämlich die Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 zugeschrieben.


"Stabilität der Region ist gefährdet"

Doch nicht nur die USA und Rußland hatten die Pferde gewechselt, auch die Europäische Union hofierte die "Nord-Allianz": Das Europa-Parlament lud den "starken Mann" der "Nord-Allianz", Ahmad Mussad, ein - im April dieses Jahres traf er sich mit Regierungsmitgliedern aus mehreren EU-Staaten. Denn auch Westeuropa hat ein immenses ökonomisches und geostrategisches Interesse an der zentralasiatischen Region und gerade auch am strategisch günstig gelegenen Afghanistan. Deutlich wurde dies unter anderem durch einen Artikel des Leiters des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, Achim Schmüllen, unter der Überschrift "Neues ,great game' in Zentralasien? Die Stabilität der Region ist gefährdet - Europa sollte sich aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen engagieren" (FAZ vom 10.5.2001), veröffentlicht rund zwei Wochen bevor Bundesaußenminister Josef Fischer sich zu einem Besuch der südlichen ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan, Kasachstan und Usbekistan aufmachte. Schmüllen entwarf im FAZ-Artikel ein Szenario für den Zeitraum, in dem die europäischen Ölvorkommen erschöpft sind (etwa ab 2015) und daher die mittelasiatischen wichtig(er) werden und die Taliban das strategisch wichtige Fergana-Tal besetzen, um dort die Opiumproduktion - mit der sie inzwischen den Weltmarkt beherrschten - zu steigern.

Doch die westlichen Interessen an der Region zeichnen sich nicht nur durch mittelfristige Überlegungen aus, sondern sind ganz unmittelbar materiell. Eben aufgrund der strategischen Lage Afghanistans. Das Land würde nämlich - wenn befriedet - hervorragend in die Planungen für eine Pipeline zum Abbau der aserbaidschanischen Erdgas- und Erdölvorkommen, vermutlich die weltweit zweitgrößten, passen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR schloß ein Konsortium von acht westlichen Konzernen 1994 einen Vertrag mit der Regierung in Baku ab, diese Vorkommen auszubeuten. Allein, es fehlt an sicheren Wegen zum Abtransport per Pipeline zu einem Überseehafen. Routen über die Türkei und ihre kurdischen Kriegsgebiete kommen dabei genauso wenig in Frage wie die über den Iran. Der US-amerikanische Konzern Unocal schloß deshalb im Januar 1998 einen Vertrag mit dem Taliban-Regime, um die Pipeline durch Turkmenistan, Afghanistan und Pakistan zum Meer legen zu können. (Turkmenistan und Pakistan mußten auf US-amerikanischen Druck hin ihre bereits mit der argentinischen Bridas Oil geschlossenen Kontrakte brechen und ebenfalls mit Unocal abschließen.) Mit der oben beschriebenen Umorientierung der US-Regierung Ende 1998 weg von den Taliban, hin zur "Nord-Allianz" mußte Unocal seine Pipelinepläne aufgrund des politischen Drucks aber zumindest vorerst aufgeben. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.

Und so ist schon lange ist nicht mehr vom ursprünglichen apostrophierten Kriegsziel, der Ergreifung Osama bin Ladens, die Rede. Die "sorgfältigen gezielten Aktionen", so US-Präsident George W. Bush am 7. Oktober 2001, die sich "gegen das Netzwerk der Terroristen um Osama bin Laden und militärische Einrichtungen des Taliban-Regimes" richteten, sind längst der anfangs nur nebenbei erwähnten Veränderung des "militärischen Kräfteverhältnisses" zu Gunsten der oppositionellen Nordallianz gewichen.

Angeblich hatten die USA den Sturz der Taliban mit militärischen "Aktionen" ohnehin spätestens für Mitte Oktober geplant - auch ohne die Anschläge vom 11. September. Das berichtete zumindest der britische BBC-Korrespondent George Arney am 18. September und berief sich dabei auf Informationen des früheren Staatssekretär im pakistanischen Außenministerium, Niaz Naik. Der habe von den für Oktober geplanten Angriffen von US-Offiziellen während eines Treffens einer von den UN unterstützten "Afghanistan-Kontaktgruppe" Mitte Juli in Berlin erfahren. Geplant gewesen sei, Osama bin Laden wie auch den Taliban-Führer Mulla Omar entweder umzubringen oder gefangenzunehmen. Das zu stürzende Taliban-Regime hätte durch ein "moderates", zum Beispiel unter Führung des früheren Königs Sahir Schah ersetzt werden sollen.


Die Anti-Terror-Allianz

Direkt nach dem 11. September blies die US-Administration zum "crusade against the evil-doers", zum Kreuzzug gegen das Böse. Doch dieses christlich-fundamentalistische Geschwätz erwies sich als kontraproduktiv für das Zusammenschweißen der schließlich ins Auge gefaßten "Anti-Terror-Allianz". Denn während der freie, aufgeklärte Westen die Anschläge insgesamt als "Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt" (so z.B. Bundeskanzler Schröder) deutete, mußten dies vor allem die Staaten des "nahen" und des "mittleren" Ostens als Ausschlußkriterium deuten.

Daß statt des "Kreuzzuges" inzwischen rationale Terrorismusbekämpfung und vor allem mittel- und langfristig abgesicherte Stabilität - also Ordnungspolitik - Hauptprogramm der "Anti-Terror-Allianz" sind, hat die Zahl der daran beteiligten Staaten beträchtlich anwachsen lassen. Sie alle haben eine (unterschiedlich abgestufte) Rolle zugewiesen bekommen im "Kampf gegen den Terrorismus". Allerdings: Die "new benchmark", so US-Außenminister Powell, ist die vorbehaltlose Unterstützung der USA im Krieg gegen Afghanistan und all das, was da noch kommen mag. Diese Rolle spielen zu können (zu dürfen), heißt vor allem für die afrikanischen und asiatischen Wackelkandidaten jedoch, auf staatliche Souveränitätsrechte verzichten zu müssen. Denn Solidarität muß gerade in diesen Kreisen und gerade heute praktisch sein:

Wer nicht unversehens doch (wieder) auf die Liste der "states of concern", der besorgniserregenden Staaten - früher "Schurkenstaaten" -, geraten will, tut besser daran, den USA in ihren Forderungen zu folgen. Deshalb haben zahlreiche Länder den USA nicht nur Überflugrechte, Logistik und Geheimdienstwissen zur Verfügung gestellt, sondern ihnen auch Stützpunkte ermöglicht. (Daß die US-Truppen diese nach dem Krieg wieder räumen werden, ist durchaus ungewiß. Das zeigt das Beispiel Saudi-Arabien, wo für den zweiten Golfkrieg 1990 US-amerikanische und britische Stützpunkte eröffnet wurden, die noch immer bestehen. Und daß die USA jetzt Truppen in ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken stationieren durften, für die Rußland den Status einer "Schutzmacht" reklamiert, spricht eher dagegen.) Darüber hinaus haben sich diese Staaten zu einer Innenpolitik verpflichtet, die den Anti-Amerikanismus bekämpft, und, wenn sie hier scheitern, ein direktes Eingreifen der USA auf ihrem eigenen Territorium akzeptiert.

Verzicht auf das eigene staatliche Gewaltmonopol, auf Souveränität? Ja, klar. Denn die drohende Strafe, zu den "über 60 Ländern", so US-Präsident Bush, die den Terrorismus "nähren", gerechnet zu werden, wäre vermutlich ungleich härter. Das hieße weiterhin mögliches nächstes Angriffsziel im von der US-Administration erklärten lang andauernden "Krieg gegen den Terrorismus" zu sein.

Fünfzehn arabische Staaten hat das US-Außenministerium dabei vor die "Alternative ohne Alternative" (telepolis) gestellt: Entweder dieser Koalition beizutreten oder ... So darf nun auch Syrien, einer der prominentesten "states of concern", mitmachen, genauso wie der Sudan - und damit scheiden beide vorerst aus der Liste der potentiellen nächsten Angriffsziele aus, ganz oben rangieren da derzeit der Irak, der Iran, Libyen und Nordkorea. Der stellvertretende US-Kriegsminister Paul Wolfowitz sprach dann auch von "ending states", Staaten, die den Terrorismus unterstützen und die es künftig nicht mehr geben werde.

"Sicher", nicht wieder fallengelassen zu werden, kann sich aber ohnehin niemand fühlen - mit Ausnahme der NATO- und einiger weniger anderer Staaten. Das haben die Beispiele Irak, Jugoslawien und nicht zuletzt Afghanistan gerade in den neunziger Jahren gezeigt.

Und so ist in dieser "Allianz für die Freiheit" jetzt ein Konglomerat von Staaten versammelt, die in "Friedenszeiten" - soll heißen: vor dem 11. September - größtenteils das Zertifikat der geforderten Einhaltung der Menschenrechte vielleicht von den USA, nicht aber von den hiesigen rot-grünen MenschenrechtlerInnen erhalten hätten. Um es mit einem US-amerikanischen 68er-Barden zu sagen, der seine Protestsongs schon lange für Konzern-Werbespots verkauft: "The times they are a changing."

So mancher dieser Staaten gerät durch die "Vertrauensfrage" der USA ohnehin ziemlich in die Bredouille, gerade wenn es eine starke islamistische Opposition gibt. Hilfreich war da sicherlich der Verzicht der USA auf christlichen Fundamentalismus à la "Kreuzzug", doch muß die Interessenlage zumindest teilweise neu definiert werden. Zum Beispiel in Pakistan, einem von weltweit drei Staaten, die das Taliban-Regime offiziell anerkannt haben. Hier droht ein Bürgerkrieg, wenn die bisherige Afghanistan-Politik zugunsten der Befreiung von US-amerikanischen Handelssanktionen aufgegeben wird.

Auch gegenüber Indien, als "größte Demokratie der Welt" gehandelt und pakistanischer Widerpart im "Kashmir-Konflikt", werden die Sanktionen, die nach dem Atomtestversuch eingeführt wurden, wohl aufgehoben. Bei der Volksrepublik China hätte es diesmal - wie noch im Kosovo-Krieg 1999 - gar nicht der "versehentlichen" Bombardierung der Botschaft (die in Kabul ohnehin nicht mehr besetzt war) durch die USA bedurft, sie in die Allianz zu werben. Auch bei den ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken - Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien, Tadschikistan - kommt manch einer der Wechsel der "Schutzmacht" weg von Rußland durchaus gelegen. Schwieriger ist die Lage da schon für das saudi-arabische Feudalregime, den wichtigsten US-amerikanischen Verbündeten in der arabischen Region und - neben den Vereinigten Arabischen Emiraten - eines der beiden anderen Länder, die die afghanische Regierung anerkannten. Das saudische Sklavenhalterregime wird auf die Unterstützung der Taliban verzichten und intern die Clans, die dies nicht einsehen wollen, bekämpfen müssen.

In den meisten dieser Staaten, insbesondere in den arabischen, artikuliert sich der regime-oppositionelle Widerstand anti-amerikanisch. Daß in den fast durchgängig diktatorischen Regimen die wirtschaftliche Entwicklung miserabel und deren soziale Folgen verheerend sind, wird gern am Westen, symbolisiert durch die USA (die diese Diktaturen stützen), festgemacht. Und noch viel lieber an der - fast möchte man, angesichts der fundamentalistisch-religiösen Rhetorik aller Seiten, sagen: "Gott sei Dank" - anhaltenden Garantie für die Existenz Israels. Dem eigenen Regime wird nicht viel mehr als dessen Machtlosigkeit gegenüber den USA und dem durch diese "implantierten" "Siedlerregime" vorgeworfen, auch in Form des "Verrats am eigenen Volk". Antisemitismus ist konstituierendes Element staatlicher Herrschaft wie (oftmals) nationalistischen Widerstands.


EU-Deutschland in den Startlöchern

Diese Probleme haben die Verbündeten aus dem "freien Westen" - Westeuropa, Kanada, Japan oder Australien u.ä. - weniger. Sie können von daher der Führungsmacht die "uneingeschränkte Solidarität" (Gerhard Schröder) versichern. Sie begreifen die Anschläge als Angriff auf die neue alte Weltordnung, deren andere dominierende Teile sie sind - nichts anderes meint das Gequatsche von der "Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt". Nie war es richtiger, von "gemeint sind wir alle" zu reden.

Zumal die USA längst nur noch militärischer Garant der weltweiten Ausbeutungsverhältnisse sind, die neuerdings in der Sprache der Linken als "Globalisierung" oder als "Neoliberalismus" auftauchen - den (oftmals verkürzten) Begriff "Imperialismus" mag kaum noch eine/r zu gebrauchen. Tatsächlich aber ist der sogenannte Neoliberalismus vor allem die Rückkehr zur Normalität kapitalistischer Produktionsverhältnisse. (Das meiste andere, vor allem das gerade in der [deutschen] Linken beliebte Gerede vom alles dominierenden Finanzkapital, ist Antisemitismus und Ausdruck gravierender analytischer, theoretischer Defizite.)

Diese weltweiten Ausbeutungsverhältnisse zeitigen immer brutalere Folgen, für die allerdings nicht nur "die (weltweiten) Verhältnisse", sondern gerade auch die Ausgestaltung der Herrschaften in vielen Trikontstaaten - Diktaturen, feudalistische Regimes, Vetternwirtschaften und mafiöse Regierungen - verantwortlich zu machen sind:

Hunderte Millionen sind auf der Flucht, weil sie verfolgt werden oder in ihren Heimatländern keine Chance zum Überleben sehen. Jede/r vierte BewohnerIn der Erde lebt unter der Armutsgrenze, eine Milliarde Menschen ist ohne Erwerbsarbeitsplatz. Und innerhalb von drei Stunden verhungern mehr Menschen als bei den Anschlägen in New York und Washington starben.

Ökonomisch hingegen haben die USA schon länger nicht mehr die Führungsrolle inne. Was wiederum deren - alte wie derzeitige - Bündnispartner und Konkurrenten um die Weltmacht auf den Plan rief. Neben Japan besonders die BRD-dominierte Europäische Union (EU), die nicht nur wirtschaftlich (weltweit) mächtig ist, sondern auch ordnungspolitisch eine sehr viel größere Rolle spielen möchte. Das betrifft vor allen Dingen die "eigene", die europäische, Interessensphäre : EU-Deutschland beansprucht für sich, gegen den Willen der USA, "Führungsmacht" für Rußland und große Teil Osteuropas zu sein.

Jüngstes Beispiel ist der Einmarsch der NATO in Mazedonien. Natürlich scheren sich die Europäer genauso wenig wie die USA um Völkerrecht und UN-Mandate. Warum auch, wer sollte in der Lage sein, sie ihnen aufzuzwingen? Der der NATO-Mission "Essential Harvest" nachfolgende Einsatz in Mazedonien, das dritte NATO-Protektorat nach Bosnien und dem Kosovo auf dem "Balkan", offenbart aber deutliche Differenzen zwischen US- und EU-Interessen: Erstmals sind die USA, die noch im NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien die hauptsächliche (Bomben-)Last zu tragen hatten, nicht an der, offiziell zum Schutz der UN- und OSZE-Beobachter stationierten Besatzungstruppe, beteiligt. Hingegen ähnelt die Truppe in "Zuschnitt, Auftrag und Kommandostruktur auffallend jener EU-Eingreiftruppe, die ab 2003 der europäischen Außenpolitik einen militärischen Arm beigeben soll" (Frankfurter Rundschau vom 23.8.2001).

Doch die Bundeswehr hat die ihr bei einem NATO-Einsatz erstmalig zugewiesene "Führungsrolle" sehr dankbar angenommen. Denke niemand, die Hardthöhe respektive das rot-grüne Kriegskabinett hätte hier nur in einem historisch "glücklichen" Augenblick die Gunst der Stunde genutzt. Schon 1991 wurde in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" der Bundeswehr festgelegt, daß der weltweite deutsche Zugriff auf Rohstoffe gesichert und überhaupt "unsere" "vitalen Interessen", nämlich "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Rohstoffen und Märkten in aller Welt" - auch militärisch - weltweit "verteidigt" werden müßten. Und das im vergangenen März vorgelegte Material- und Ausrüstungskonzept der Bundeswehr ist beredtes Zeugnis für die "unauffällige Vorbereitung eines Angriffskriegs" (antimilitarismus information 5/2001). Der darin als Bestandteil der "Bundeswehrreform" aufgemachte "Bedarf" an kriegstauglichem Gerät taugt nicht zur Landesverteidigung der durch äußere Feinde unbedrohten Bundesrepublik, sondern ist Fahrplan zum Krieg. Die Bundesregierung mußte nur noch angemessene Krisen und Kriegsschauplätze finden und da erwies sich der 11. September schon als durchaus hilfreich, um die enormen Aufrüstungskosten durch effizienten Waffeneinsatz zu rechtfertigen.

Das wird wohl, auch dank Außenminister Josef Fischer, nicht schwer fallen. Fischer ist Garant dafür, daß aus dem noch im Wahlkampf 1998 offiziell postulierten Pazifismus inzwischen ein regierungsamtliches "Nie wieder Krieg - ohne uns!" wurde. Zwar gibt es derzeit keine Bin-Laden=Hitler-Vergleiche wie noch 1990 (Saddam = Hitler) oder 1999 (Milosevic = Hitler), doch derer bedarf es heute auch nicht (mehr). Der unmittelbar vor dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 durchgesetzte Geschichtsrevisionismus der Schröders, Fischers und Scharpings erwies sich in breiten, vor allem auch (ex-)linken, Bevölkerungskreisen als sehr viel wirksamer als der konservativer Historiker in den achtziger Jahren.

Der aktuelle "Krieg gegen den Terrorismus" bedarf keiner antifaschistischen Weihen mehr - weil Rot-grün sich per Anerkennung "historischer Schuld" und mit "Nie wieder Auschwitz", 1999, schon längst endgültig aller Altlasten entledigt hat. (Im Sommer dieses Jahres entschuldigte sich Fischer auf der UN-Rassismus-Konferenz, anders als zum Beispiel die USA, sogar für die deutsche Kolonial- und Sklavenhaltergeschichte in Afrika, womit die Sache vom Tisch sein sollte.) Seither kann sich das größer gewordene Deutschland auch wieder offen als "selbstbewußte Nation" zur (angestrebten) Großmachtrolle bekennen - und will dafür auch Kriege führen. Denn die "Nachkriegszeit" ist, so Bundeskanzler Schröder, beendet.

Doch zumindest für die nächsten zehn Jahre, so lange soll der ausgerufene lang andauernde Krieg auf militärischer, ökonomischer und politischer Ebene mindestens dauern, wird die alte imperialistische Arbeitsteilung wohl (noch) wie üblich funktionieren. Die G7 machen Weltinnenpolitik - leichte Kräfteverschiebungen einkalkuliert - und + 1 (= G8) signalisiert Zustimmung und darf deshalb, nun unbeeindruckt von westlichen Bedenkenträgereien, seine innerstaatlichen Massaker gegen die "Terroristen in Afghanistan, Tschetschenien, im Nahen Osten, auf dem Balkan" bis zum "gerechten Urteil" ungehindert fortführen.


Freiheit stirbt mit Sicherheit

Das Kriegsgeschrei der "nationalen Allianz der Entschlossenheit" (CDU-Bundestags-Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz) geht einher mit massiver Aufrüstung nach innen. Eine "bewußt erzeugte Sicherheitspanik", so zahlreiche größerenteils ansonsten eher lammfromme Bürgerrechtsorganisationen am 24. Oktober, soll deshalb dazu dienen, die Nation "gleichzuschalten". Aber Bundesinnenminister Otto Schilys (Ex-RAF-Anwalt, heute SPD) "Antiterrorpakete" wären nicht geeignet gewesen, die in Deutschland lebenden mutmaßlichen Attentäter vom 11. September vorab ausfindig zu machen. Vielmehr wurden und werden unter dem Etikett "Terrorismusbekämpfung" Maßnahmen beschlossen, welche die Sicherheitsfanatiker entweder schon lange in ihren Schubladen parat liegen hatten: zum Beispiel die Aufnahme biometrischer Merkmale (Fingerabdruck oder Gesichtsmaße) in die Ausweispapiere, die "verbesserte" Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, die Ausweitung der Kompetenzen für das Bundeskriminalamt und die Geheimdienste, die Abschaffung des "Religionsprivilegs" für islamische Gemeinschaften oder der neue § 129b Strafgesetzbuch ("Vereinigungen im Ausland"). Oder es wird die "Grauzone", in der sich die Sicherheitsbehörden ohnehin schon bewegen, legalisiert: zum Beispiel bei der informationellen Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden.

Die Otto-Kataloge dienen - und das ist das Konzept der "Inneren Sicherheit" - dazu, die Bevölkerung präventiv unter Generalverdacht zu stellen, ganz nach dem Motto "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten." Wer meint, der Datenschutz käme dabei zu kurz, macht sich bei den Schilys und Schills per se verdächtig.

Besonders trifft das derzeit auf die hier lebenden über drei Millionen Muslime und viele Nichtdeutsche zu. Sie waren auch schon vor dem 11. September dem institutionalisierten (und alltäglichen) Rassismus ausgesetzt. Nun plant die Bundesregierung die lückenlose und unbeschränkte Überwachung - aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit (meist vermutet über die Staatsangehörigkeit) - "verdächtiger Ausländer" durch sämtliche deutsche Behörden - vom normalen Streifenpolizisten über die Sozialbehörden bis hin zu den Geheimdiensten. Insbesondere betrifft dies Einreisewillige, Flüchtlinge und "AsylbewerberInnen".

Das Sammeln und Austauschen von Daten soll auch auf die hier lebenden Kontaktpersonen, egal ob Familienangehörige, FreundInnen oder Bekannte, deutsch oder nicht-deutsch, angewendet werden. Im Ausländerzentralregister (AZR) soll künftig neben Fingerabdrücken und Fotos unter anderem auch die Religionszugehörigkeit gespeichert werden. Polizei und weitere Behörden erhalten den Online-Zugriff auf diese Datenbank. Darüber hinaus sollen unter anderem Sprachaufzeichnungen von den Betroffenen angefertigt werden, zur Nutzung durch die Sicherheitsbehörden. (Bereits seit einigen Jahren, das vergißt der weiße, deutsche Protest gegen den "Abbau der Grundrechte" nur allzu gerne zu erwähnen, sind die Fingerabdrücke aller Flüchtlinge in der AFIS-Datei des Bundeskriminalamtes gespeichert.)

Und, wie so oft, bietet die "Bedrohung" der "Inneren Sicherheit" durch die Nicht-Deutschen Gelegenheit, größere Schritte voranzukommen, hier: beim Trennungsgebot (wegen Gestapo) von Geheimdiensten und Polizeibehörden. Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sollen künftig gemeinsame "Informationsboards" aufbauen, die unter anderem auch vom Bundesgrenzschutz genutzt werden können. Die durch das Ausländer- oder Asylverfahrensgesetz gewonnenen Daten sollen ausdrücklich bei "normalen" polizeilichen Tatortspurenaufnahmen zum Abgleich verwendet werden.

Gegen diese inzwischen schon üblichen Verdächtigen richtet sich ebenfalls die aktuelle Rasterfahndung, die kürzlich auch in Bremen in das erst im Sommer novellierte Polizeigesetz aufgenommen wurde. Damit dürfen jetzt auch die Bremer Hochschulen die Daten der Studenten aus islamischen Staaten zum Abgleichen an die Behörden weitergeben.

Allerdings ist der Ausbau der "Inneren Sicherheit" via "Terrorismushysterie" kein deutsches Phänomen, sondern findet derzeit fast überall statt. Und auch auf Ebene der Europäischen Union ist man inzwischen ein ganzes Stück vorangekommen: Terrorismus soll, so sieht es der Entwurf des Europäischen Rates vom 10. Oktober vor, künftig bereits dann vorliegen, wenn durch das Ziel der Straftaten eine ernsthafte Einwirkung auf die (oder Zerstörung der) politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation bestünde. Ausdrücklich wird festgehalten, daß Terrorismus auch "urban violence" beinhalten könne. Im Katalog der "terroristischen" Straftaten sind demnach unter anderem auch grobe Sachbeschädigung an staatlichem und Regierungseigentum wie auch die unerlaubte Inbesitznahme öffentlicher Orte aufgezählt. Darunter fällt dann manch friedensbewegter Protest genauso wie die Aktivitäten der "Anti-Globalisierungsbewegung" in Göteborg oder Genua. Insgesamt zielt die ausgeweitete Terrorismusdefinition auf eine effektivere, weitreichendere Verfolgung von KritikerInnen und GegnerInnen der Politik der EU(-Regierungen) durch Polizei und Justiz.

Und die soll natürlich auf gesetzlichen Grundlagen stattfinden, das sind sich die Rechtsstaaten schuldig. Daß "Grundrechte" und "Freiheit" der BürgerInnen zur "Aufrechterhaltung der Sicherheit" genommen oder eingeschränkt werden, davon zeugten und zeugen hierzulande unter anderem der "Deutsche Herbst", die unzähligen KurdInnen-Prozesse, die Verfolgung linksradikalen Widerstands und nicht zuletzt die Maßnahmen anläßlich des G-8-Gipfels in Genua.


"Einwanderungsgesetz" plant Aussonderung

Während im Bereich "Innere Sicherheit" die Gesetzespakete derzeit in Höchstgeschwindigkeit durchgepeitscht werden, scheint die Beschlußfassung über die vom Bundesinnenministerium geplante Neuordnung des gesamten Ausländer- und Asylrechts derzeit zu stagnieren.

Schilys Entwurf für das "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung", oftmals fälschlich als "Einwanderungsgesetz" bezeichnet, plant, darauf hat das AntiRassismusBüro Bremen (ARAB) hingewiesen, die effektive und brutale Aussonderung der "überflüssigen" Nichtdeutschen. Und das sind viele der MigrantInnen und ihrer Familien, Asylsuchenden, Geduldeten, Papierlosen, die sich gegen ihre Abschiebung wehren, die sich für selbstbestimmte und unkontrollierte Migration einsetzen bzw. diese praktizieren, die sich in MigrantInnencommunities organisieren und sich im Exil politisch betätigen.

Was die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), "den migrationspolitischen Frühling" nennt, wird Ausgrenzung, Diskriminierung und das rassistische Klima in Deutschland noch weiter verstärken.

Wer den Nützlichkeitskriterien nicht entspricht, soll verschwinden. Schilys Entwurf sieht die Abschaffung der Duldung, die Einschränkung der Asylfolgeverfahren, Abschiebungen in "Viertstaaten", die Verweigerung des Rechts auf Arbeit oder die Senkung des Familienzuzugs auf nun 14 Jahre vor. Darüber hinaus sollen Abschiebelager für alle diejenigen eingerichtet werden, für die "Abschiebehindernisse" bestehen.

Dementsprechend forderten Ende Oktober CDU/CSU-Politiker die sofortige Abschiebung 30.000 mutmaßlicher "islamischer Fundamentalisten" beziehungsweise, wenn sich dies nicht sofort durchführen lasse, deren Internierung in Sammellager. Und, zusätzlich motiviert durch den aktuellen Kampf des freien Westens gegen den "islamistischen Terror", nicht zu Unrecht von vielen als antiislamische Mobilisierung verstanden, kam es in den letzten Wochen zu zahlreichen An- und Übergriffen auf Muslime oder solche Menschen, die dafür gehalten wurden. Der alltägliche Rassismus aus der Mitte der deutschen Gesellschaft sieht sich im "Kampf der Kulturen" im Aufwind und wird darin durch die aufgemachte Trennung von "zivilisierter" und "unzivilisierter" Welt bestätigt.


Die Anschläge vom 11. September

Die Anschläge vom 11. September waren gewalttätige Akte, die ganz offensichtlich keinen emanzipatorischen Gehalt haben und mit denen nicht einmal der Versuch gemacht wurde, dies vorzugeben. Sie waren quasi militärische konzertierte Aktionen, die aufgrund ihres Zerstörungspotentials und der damit verbundenen vielen tausend Toten von den USA als Kriegserklärung gewertet werden konnten. Sie sind politisch motiviert, sind Machtpolitik. Auch wenn wir gute Gründe haben, der "Beweisführung" der USA bezüglich der Schuld Osama bin Ladens als "Drahtzieher" nicht zu glauben, deutet anscheinend einiges auf "islamistische Fundamentalisten" als Täter hin.

Jedenfalls war gerade das Anschlagsziel World Trade Center nicht nur Symbol des Kapitalismus und damit weltweiter Ausbeutungsverhältnisse, unter denen vor allem die Bevölkerungen der zweiten bis fünften Welt zu leiden haben. Es steht vor allem auch für die angebliche Herrschaft des Finanzkapitals (auch) über die Ökonomien der Nationalstaaten, so wie New York, um es mit Horst Mahler (Ex-RAF-Anwalt, heute NPD) zu sagen, "für den Ostküsten-Kapitalismus". Diese heute nicht nur bei Nazis mehr denn je weit verbreitete "Analyse", die das - in New York beheimatet - Finanzkapital, gemeint sind dann die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), als eigentliche "Weltherrschaft" ansieht, ist so falsch wie antisemitisch konnotiert.

New York ist eine - auch in den USA "umstrittene" - Metropole, sie steht für Urbanismus, Kommerz und Populärkultur (Günther Jacob). Darüber hinaus ist New York die Stadt, die nach Israel die zweitgrößte jüdische Bevölkerung weltweit aufweist. Das zumindest würde in die Rhetorik Osama bin Ladens, der den "Juden und den Kreuzfahrern" den "Krieg" erklärt hat, passen.

Nichtsdestotrotz ist "der Terrorismus" nicht das Hauptproblem. Und also kann der "Krieg gegen den Terrorismus" keine "Lösung" sein, denn der Ausgangspunkt für diesen Krieg war nicht der 11. September. Das sollte man und frau im Kopf behalten, auch wenn die "Warlordisierung" sozialer und politischer Konflikte jetzt Einzug in die Metropolen gehalten hat - und damit auch "uns" laut offizieller Stellungnahmen bedrohen soll.



[Der Text erscheint in diesen Tagen in abgewandelter Form auch im von der "Unabhängigen Anti-Kriegs-Gruppe" herausgegebenen zweiten "GegenInfo - Versuch einer Kriegserklärung".]


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kombo(p) - 20.06.2002