kassiber 46 - Juli 2001

Die radikal meldet sich zurück

Auch wenn's nichts zu lesen gibt: bleibt radikal!*


Vollmundig kündigten wir im letzten Jahr unseren Neustart an. Forderten euch auf, uns zu schreiben für einen Schwerpunkt. War wohl nix.

Eineinhalb Jahre haben wir uns nicht gemeldet, längst geistert es durch die Szene: Die gibt's nicht mehr. Ihr seht nun, dem ist nicht so. Allerdings ist auch uns aufgefallen, daß es langsam an der Zeit ist, mal Stellung zu unserem Nichterscheinen zu nehmen.

Seien wir ehrlich, die Repressionswelle 1995 ist nicht spurlos an uns vorüber gegangen. Zudem mußten wir dem Interesse der Büttel an diesem klandestin organisierten Projekt Rechnung tragen, was die Organisation des Ganzen erschwerte.

Die Neuorganisation nach 1995 stand ganz im Schatten der Repressionsereignisse. Einige derjenigen, die dem trotzen wollten, haben eventuell nicht genug nachgedacht. Solidarität hilft in der alltäglichen, nervigen Arbeit, eine Zeitung zu organisieren, leider nicht. Und das zeigte sich bald. Mit einer großen Kraftanstrengung brachten wir eine inhaltliche Neuorientierung auf den Weg, die in der 1999er Ausgabe mündete. Wir erhofften uns davon den großen "kick" - und erhielten das große Desaster. Mehrere Gruppen merkten, daß diese Form der Arbeit - und erst recht der ganze Aufwand, der dafür betrieben werden muß - zuviel war. Sie stiegen aus.

Viel blieb da nicht mehr. Eigentlich blieb uns keine andere Konsequenz mehr, als das Ding einzustampfen. Aber ein Projekt, das seit über zwanzig Jahren mit dieser Bedeutung für die Linksradikale existiert, einfach so aufzugeben, erschien uns zu vorschnell. Wir trafen folgenden Beschluß: wir setzen alle unsere Energien darein, dieses Projekt noch mal zum Leben zu erwecken, also neue Gruppen für die Arbeit in diesem Projekt zu gewinnen. Sollte uns das nicht gelingen, sollten die Gruppen genervt abwinken, weil sich dieses Projekt selbst überlebt hat und nur mehr noch als Mythos durch die Lande weht, gibt's einen netten Abschluß, und das war's. Und - noch mal ehrlich - eigentlich sind wir fast genau davon ausgegangen. Doch die Reaktionen waren anders. Die Gruppen, die wir ansprachen, erklärten sich bereit, ihre Kraft in dieses Projekt zu stecken. Trotzdem äußerten sie Kritik an dem bisherigen Konzept. Zu Recht. Denn das Konzept der radikal hat sich seit den Achtzigern nicht bewegt. Die Zeitung lebte von den Themen und der Bewegung dieser Zeit. Der Transfer zu den aktuellen Themen gelang nie, was sich zum Beispiel darin widerspiegelt, daß Themen wie Antifa oder auch die "neue" Anti-AKW-Bewegung kaum eine Rolle spielten. Eine Kritik, die auch die alten Gruppen teilten, denn eben dies war einer der Gründe für den Versuch, in der letzten Ausgabe das Konzept zu ändern. Der Unterschied liegt darin, daß der Versuch von einer überalterten Struktur vorgenommen wurde, die nicht mehr den direkten Draht zu den Leuten hatte, die potentiell Leser oder Leserinnen sind. Dahinter verbirgt sich letztlich natürlich eine grundlegende Frage, die schon einen langen Bart hat: Warum um alles in der Welt ist es in der linksradikalen Szene so, daß der Alterdurchschnitt konstant bei Anfang zwanzig bleibt und Leute ab dreißig fast schon wie Gruftis in der Szene wirken (außer an den Tresen der letzten linken Kneipen)? Alle Gruppen waren sich darin einig, daß die Struktur der radikal und die Möglichkeiten, die eine klandestin organisierte Zeitung bietet, nicht aufgegeben werden dürfen. Angesichts einer sich Schritt für Schritt festigenden totalen Überwachungsgesellschaft müssen wir dafür kämpfen, die letzten unkontrollierten Räume zu erhalten.

Seit 1995 hat sich auch in der linksradikalen Medienlandschaft eine Menge getan. Einige Aufgaben, die von der radikal mal erledigt wurden, sind längst von anderen Periodika übernommen worden. So sind Erklärungen mittlerweile in der interim viel besser aufgehoben, selbst wenn auch dieses Blatt sich nie ganz von den Repressionsschlägen erholt hat. Auch Theorieblättchen haben sich etabliert. Doch bleibt letztlich eine Lücke. Ein Beispiel ist die schon lange von der radikal betriebene Veröffentlichung von Bastelanleitungen. Das kann sich angesichts der Repression auch keine halblegale Zeitung erlauben. Desweiteren, so unsere Wahrnehmung, sind die meisten Zeitungen entweder Bewegungszeitungen oder Zeitungen, in denen es nicht möglich ist, grundlegende, bewegungsübergreifende Diskussionen zu führen, weil sie zu eng am Tagesgeschehen bleiben müssen. Wir glauben, daß die radikal hier auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen kann: zum einen, jenes zu veröffentlichen, was anderen nicht möglich ist, und zum anderen, ein bewegungsübergreifendes Diskussionsforum zu sein.

Kurzgefaßt: Es geht weiter. Mit neuer Energie, neuen Leuten, einer veränderten und verjüngten Struktur.

Also demnächst wieder beides: Lesen und leben! Radikal!


* Dieser erste Text stammt von den Gruppen, die das Projekt radikal in den letzten sechs Jahren getragen haben - oder besser von denen, die davon noch übrig sind. "Ja, tanzen!" wurde von den Gruppen verfaßt, die die radikal von nun an machen werden.


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kombo(p) - 24.10.2001