Ein Auszug aus - kassiber 34 - Februar 98

Presseerklärung

zur Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der PDS zu Genitalanpassungen in der Bundesrepublik Deutschland vom 29.10.96 mit der Drucksache-Nr. 13/5916


Die Antwort stellt sich zum ersten als völlig unzureichend, zweitens irreführend und drittens in Teilaspekten unwahr dar. Dies soll im Folgenden erläutert werden:

Die Bundesregierung nannte zwei Syndrome, bei denen Korrekturnotwendigkeit bestände - Adrenogenitales Syndrom (AGS) und Androgenresistenz (auch bekannt als Androgeninsuffizienz (AIS), in älterer Literatur auch Testikuläre Feminisierung oder Morris-Syndrom genannt). Diese Angabe ist unvollständig. Die pädiatrische Endokrinologie kennt gesamt etwa 13 Syndrome, deren Häufigkeit in medizinischer Literatur mit 0,3 Prozent angegebene wird, andere Quellen nennen jedoch 1,7-4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Antwort verschweigt, daß es sich hierbei um intersexuelle Menschen handelt, im Volksmund auch als Zwitter oder Hermaphroditen bekannt. Völlig negiert werden auch genitale Fehl- und Mißbildungen, deren Gruppe in medizinischer Literatur quantitativ mit 5-15 Prozent angegeben wird und ebenfalls genital-chirurgischen Eingriffen unterzogen wird.

In psychosomatischen Fachkreisen ist unbestritten, daß die psychische Ausrichtung Intersexueller dem Kerngeschlecht entspricht. Da, wie in der Antwort korrekt wiedergegeben, eine Geschlechtszuweisung im nicht einwilligungsfähigen Alter erfolgt, kann nicht von einer Vermeidung psychischer Auswirkungen ausgegangen werden, zumal in diesem Bereich vorgenommene Korrekturen nichts weiter als genitale Verstümmelungen darstellen. Diese gehen mit erheblichen sensorischen Verlusten am ehemals intakten Lustorgan einher. Ferner wird negiert, daß zu einem überwiegendern Anteil der Schicksale das Kind dem weiblichen Geschlecht zugewiesen wird, da dieses Genitale als einfacher zu gestalten gilt. Eine nachfolgende psychologische Betreuung zu Sozialisationszwecken kann nur im Rahmen des zwangszugewiesenen Geschlechtes erfolgen und obliegt somit der Fundamentalisierung endokrinologisch eingeleiteter und nachfolgend chirurgisch fortgeführter Geschlechtsfestlegung. Die im Schreiben genannte Selbsthilfegruppe suggeriert eine freie Entscheidungsmöglichkeit der Eltern im außerklinischen Bereich. Dies ist in sofern nicht gegeben, da keine derartige Selbsthilfegruppe ärzte- und syndromunabhängig arbeitet als auch externe Beratungsangebote nicht vermittelt werden. In keinem Falle werden Eltern über Intersexualität aufgeklärt, eine solche Aufklärung findet ausschließlich in pathologischem Kontext statt. In diesem wird selbstredend nicht benannt, daß im Bereich der Intersexualität konstruierte Syndrome historisch in diesem Jahrhundert entstanden und somit eine neuzeitliche Kreation darstellen. Es sei noch genannt, daß bislang keinerlei Studien über Behandlungserfolge in diesem Bereich vorliegen, dennoch wird von Therapieerfolgen ausgegangen. Eine Behandlung liegt jedoch nicht wie angegeben im Interesse des zugewiesenen Kindes, sondern in der Vermeidung psychosozialer Auseinandersetzung der Eltern sowie beteiligter Ärzte.

Zuletzt sei erwähnt, daß sich weltweit Intersexuelle in Interessensvertretungen organisieren, um zu erreichen, daß derartige "Behandlungen", einhergehend mit Mehrfachtraumatisierungen, nicht länger fortgesetzt werden. Sie fordern ein Recht auf Selbstbestimmung, Vermeidung chirurgischer Eingriffe, Aufklärung der Eltern in alternativen Beratungsstellen sowie kompetente psychologische Betreuung der Familienmitglieder. Im intersexuellen Management tätige Ärzte ignorierten bisher alle diese Forderungen trotz anhaltender Formulierungen und bezeichnen jene sich intersexuell definierende Erwachsene als "Spinner" oder "Freaks" analog ihrer abwertend-ignoranten sowie inkompetenten Haltung der gesamten Thematik gegenüber.

Bremen/Köln, den 13. März 1997

Birgit Reiter
SprecherIn der AG gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie
Heike S. Spreitzer
M. A. Genital Mutilation Survivors' Support Network

Kontakt:
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eMail: AGGPG@t-online.de
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kombo(p) - 16.02.1998