Ein Auszug aus - kassiber 31 - April 97

Was bisher geschah (Teil I)


Abschnitt I: 12. November bis 31. Dezember 1996
Abschnitt II: 15. bis 30. Januar 1997 (Kurzmeldungen)



12. November
Videoüberwachung
Zwar wolle er "keinen Orwellschen Staat", so Innensenator Ralf H. Borttscheller (CDU) in der Fragestunde der Stadtbürgerschaft, das derzeit in Leipzig laufende Pilotprojekt einer Videoüberwachung angeblicher Brennpunkte der Kriminalität im Stadtgebiet werde aber "sorgfältig überprüft". Eine Überwachung des Bahnhofsvorplatzes per Videokamera könne sich als durchaus sinnvoll erweisen. Gefragt hatte der CDU-Abgeordnete und Kriminalkommissar Rolf Herderhorst, ein zuverlässiger Propagandist jeglicher Aufrüstung im Bereich "Innere Sicherheit", und zugleich behauptet, in Leipzig seien aufgrund dieser Überwachungsmaßnahmen Taschendiebstähle und Kfz-Aufbrüche deutlich weniger geworden.

18. November
Klagen erzwungen
Nachdem Polizei und Justiz das ihre getan hatten, alle Anzeigen gegen Polizisten im Zusammenhang mit der Vergabe von Brechmitteln an schwarze Männer, die mit illegalen Drogen gedealt haben sollen, nicht weiter zu verfolgen bzw. die Ermittlungsverfahren einzustellen, hatten die RechtsanwältInnen der Betroffenen in vier Fällen Beschwerden eingelegt und in einem Fall darüber hinaus Klageerzwingungsantrag beim Hanseatischen Oberlandesgericht gestellt. Diesem Antrag wird jetzt stattgegeben, die Einstellungsverfügung ist damit aufgehoben. In zwei weiteren Fällen hatten die Beschwerden Erfolg, die Generalstaatsanwaltschaft wies die Staatsanwaltschaft an, weiter zu ermitteln. Über die vierte Beschwerde ist bisher nicht entschieden.

19. November
Streik für Lohnfortzahlung (I)
Rund 50 Beschäftigte des zur Hegemann-Gruppe gehörenden Bauunternehmens August Reiners GmbH in Hemelingen demonstrieren vor dem Betriebsgelände für die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Hegemann, zugleich Vorsitzender des Bauindustrieverbandes, habe mit der 20prozentigen Kürzung bei Angestellten gegen die im Baugewerbe geltenden Tarifverträge verstoßen.

20. November
ÄrztInnen gegen Brechmittelvergabe
,Der Landesverband Bremen der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen kritisiert den Beschluß des Senats vom 12. November, weiterhin Brechmittel gegen mutmaßliche "Drogenschlucker" zu verwenden (s. kassiber 30, Dezember 1996, S. 11). Gesundheitssenatorin Wischer (SPD), die als einzige gegen den Beschluß gestimmt hatte, habe den Ipecacuanha-Einsatz zu Recht als "medizinisch bedenklich" bezeichnet. Die möglichen schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Betroffenen u.a. dadurch, daß mit brutaler Gewalt eine Nasensonde gelegt werde, würden vom Senat qua Mehrheitsbeschluß hinweggewischt.

Privatisierung der Universität?
An der Universität wird von Wissenschaftssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) der Grundstein für den neuen Block C des Gebäudes Naturwissenschaften (NW) 2 gelegt. Das Chemie-Gebäude, das im Juni 1998 fertig sein soll, ist bundesweit das erste, das privat finanziert und nach der Fertigstellung für zehn Jahre vom Land Bremen geleast wird; danach hat das Land ein Vorkaufsrecht. KapitalanlegerInnen sollen zudem Anteile an einem Immobilienfonds mit zehnjähriger Laufzeit erwerben können. Da das neue Finanzierungsverfahren nach Angaben der Wissenschaftsbehörde 20 Prozent billiger sei als das bisherige, soll es weitere so finanzierte Hochschulbauten geben. Am 27. November erfolgt in Bremerhaven die Grundsteinlegung für ein ähnliches Hochschulgebäude. Die beiden Gebäude haben zusammen einen Auftragswert von 110 Millionen Mark, das Finanzierungskonzept wurde von der Allgemeine Leasing GmbH & Co. in Grünwald bei München entwickelt; Bauunternehmen sind die Hochtief AG und die zur Bremer Hegemann-Gruppe gehörende August Reiners GmbH.

21. November
Bremer Rüstungsindustrie
Für 550 Millionen Mark wird das ehemalige Vulkan-Tochterunternehmen STN Atlas Elektronik GmbH - vorbehaltlich der Zustimmung des Bundeskartellamtes - an ein Konsortium der Konzerne Rheinmetall AG, Badenwerk AG und British Aerospace verkauft. Nach Angaben von Konkursverwalter Jobst Wellensiek habe man die ursprüngliche Absicht, einen Preis von 600 bis 650 Millionen Mark zu erzielen, nicht ganz (sic!) verwirklichen können, dafür gebe es aber eine Standortgarantie bis zum Jahr 2002. Vom Kaufpreis erhalte die STN Atlas Elektronik GmbH 250 Millionen Mark, um ihre Kapital- und Liquiditätslage zu stärken. Über die Verteilung der restlichen 300 Millionen sei noch nicht entschieden. Voraussichtlich werde aber fast der gesamte Betrag den SicherungsgläubigerInnen der Firma zugute kommen.
Aufgrund einer "klaren Aussage" aus dem Verteidigungsministerium, so Rheinmetall-Vorstandschef Brauner, müsse die überwiegend im "wehrtechnischen Bereich" tätige STN Atlas Elektronik mehrheitlich in deutscher Hand bleiben. So werde die unternehmerische Führung von STN Atlas Elektronik künftig beim Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall AG liegen, der allerdings nur einen Anteil von 26 Prozent halte; 25 Prozent lägen bei der Badenwerk AG und die restlichen 49 Prozent bei British Aerospace.
Bei STN Atlas Elektronik arbeiten derzeit an den Hauptstandorten Bremen und Hamburg 4.300 Männer und Frauen überwiegend in der Rüstungsentwicklung und -produktion, 1997 soll die Zahl der Beschäftigten auf 4.160 sinken. In den vier Geschäftsbereichen Schiffselektronik, Marine-, System- und Simulationstechnik wurde zuletzt ein Umsatz von etwa 1,45 Milliarden Mark erzielt.

22. November
Law an order
Innensenator Borttscheller zieht eine positive Bilanz der Innenministerkonferenz in Hamburg. Der radikale Rechte gibt sich gegenüber der Presse erleichtert, daß an eine Aufhebung des PKK-Verbots nicht gedacht sei. Und so wie der ehemalige Bürgermeister Klaus Wedemeier (SPD) angeblich immer mit ganz oben auf irgendwelchen ominösen Anschlagslisten der RAF gestanden haben will, glaubt Borttscheller sich und seine Familie von der PKK bedroht - allein den Beweis mag auch er nicht bringen. Statt dessen setzt er wider besseren Wissens zu einer neuen anti-kurdischen Kampagne an: "Die PKK hat in Bremen ihre Zurückhaltung wieder aufgegeben. Die wollen wieder aktiv werden."
Nicht von Fachkenntnis, sondern ideologisch geprägt auch die Positionen zum Thema Drogen. In Bremen werde es einen Modellversuch des Verkaufs von Haschisch in Apotheken nicht geben. Seinen schleswig-holsteinischen Kollegen Wienholtz (SPD) könne er auch nur bedauern: "Dieses Kuckucks hat ihm der grüne Koalitionspartner ins Nest gelegt. Der Verkauf von Haschisch ist ein Tourismusförderungsprogramm." Im übrigen hält Borttscheller es mit seinem niedersächsischen, niemals um eine Stammtischparole verlegenen Kollegen Glogowski (SPD): Der Vergleich mit Alkohol würde hinken, "weil die Gesellschaft sich mit Alkohol arrangiert habe" (hick!). Außerdem werde Bremen - wie die meisten anderen Bundesländer - an der Vergabe des Brechmittels Ipecacuanha an angebliche oder tatsächliche Drogenhändler festhalten. Borttscheller setzt auf die schon schöngerechneten Daten der bremischen Behörden noch eins drauf und behauptet, daß diese rassistische Maßnahme (das Mittel wird zumeist schwarzen Männern aus afrikanischen Staaten verabreicht) "in 70 Prozent der Fälle (...) Erfolg" habe.

Streik für Lohnfortzahlung (II)
Etwa 1.500 Bremer Bankangestellte folgen den Aufrufen der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) und der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) zum ganztägigen Streik für die hundertprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Zahl der Streikenden wirkt ein wenig gering angesichts der Tatsache, daß sich zuvor noch 95,5 Prozent der TeilnehmerInnen an der Urabstimmung für den Streik ausgesprochen hatten - HBV und DAG hatten auf rund 4.000 TeilnehmerInnen wie beim letzten Mal (1992) gehofft. Massive Einschüchterungsversuche der Bankenvorstände wie Abmahnungsandrohungen aber auch Imageprobleme der BankerInnen mit derlei "Kampfmaßnahmen" dürften das ihre dazu beigetragen haben.

25. November
Zoll-Razzia im GVZ
33 Firmen im Güterverkehrszentrum (GVZ) und im Gewerbegebiet Huchting wurden vom Zoll kontrolliert, zwei von ihnen seien der "strafbaren Arbeitnehmerüberlassung" verdächtig, teilt die Oberfinanzdirektion mit. Überprüft worden seien ferner 132 im Speditionsgewerbe Beschäftigte, bei 35 von ihnen bestehe der Verdacht auf "Leistungsmißbrauch".

5. Dezember
Gegen Abschiebungen nach Togo
Mehrere antirassistische und Initiativen, Flüchtlinge aus Togo sowie Rechtsanwalt Günter Werner informieren auf einer Pressekonferenz über mehrere seit Mitte November laufende Asylverfahren togoischer Flüchtlinge vor der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts. Acht Verfahren laufen derzeit, etwa 70 weitere stehen noch aus. Und das Gericht hat, so Günter Werner, bereits "deutlich zu erkennen gegeben, daß es zu negativen Entscheidungen kommt". Die 5. Kammer folge offensichtlich nur der politischen Maxime, die Zahl der Flüchtlinge hier möglichst gering zu halten und sei nicht an einer Klärung der entscheidenden Fragen interessiert. Das werde auch durch die Verhandlungsführung deutlich. Die Flüchtlinge würden stundenlangen Befragungen unterzogen, offensichtlich nur deshalb, um ihnen Widersprüche in Daten- oder Personenangaben nachweisen zu können. Die Beweisanträge des Anwalts würden sämtlich abgelehnt. Außerdem, so Pastor Erich Viering von der Norddeutschen Mission, erwecke das Gericht mit Sprüchen wie "Wenn es hier weiterhin so unruhig bleibt, wirkt sich das auf mein Urteil aus?" den Eindruck, Urteile vom Wohlverhalten der ZuschauerInnen abhängig zu machen.
Die VeranstalterInnen der Pressekonferenz, neben zahlreichen weiteren Organisationen UnterzeichnerInnen einer Bremer Resolution gegen die Abschiebungen in das diktatorisch regierte Togo, fordern den Bremer Senat auf, für togoische Flüchtlinge weiterhin die Bleiberechtregelung anzuwenden und sich für ein bundesweites Bleiberecht einzusetzen. Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts wird aufgefordert, die "Asylklagen sorgfältig (zu prüfen) und den togoischen Flüchtlingen Schutz" zu gewähren.
Damit zieht man sich natürlich den Zorn eines bremischen Experten für institutionellen Rassismus, Innensenator Borttscheller, zu, der einige Tage später den "unzulässigen politischen Druck auf das Verwaltungsgericht" zurückweist: "In keinem anderen Land der Welt werden Asylverfahren derart präzise, aufwendig und rechtsstaatlich betrieben." Daß die Flüchtlinge mit ihren Klagen nur wenig Chancen haben, macht wenig später Günter Pottschmidt, Präsident des Oberverwaltungsgerichts und damit der Instanz, die gegebenenfalls die Urteile des Verwaltungsgerichts zu überprüfen hat, deutlich: Die 5. Kammer bemühe sich "mit Disziplin um die Erkenntnis der objektiven Wahrheit". Er, Pottschmid, stehe "dafür ein, daß öffentliche Kampagnen interessierter Gruppen gegen Richter, die den ihnen in der Verfassung auferlegten Auftrag erfüllen, erfolglos bleiben werden".

6. Dezember
SchülerInnen-Demonstration
Gerade mal 3.000 SchülerInnen protestieren am Vormittag unter dem Motto "Die Zukunft gehört uns" gegen die von der Großen Koalition geplanten Kürzungen im Bildungsbereich. Seit dem Morgen waren die Jugendlichen in mehreren Demonstrationszügen vor die Bildungsbehörde (Rembertiring) gezogen - erwartet wurden von der Veranstalterin GesamtschülerInnenvertretung (GSV) indes rund 7.000 DemonstrantInnen. Im Mai, als es noch einige Grad wärmer war, kamen immerhin 14.000 ...

"Politisches Denken" geehrt
Der französische Historiker François Furet (69) erhält aus der Hand von Bürgermeister Henning Scherf den diesjährigen "Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken". Die von Bremer PublizistInnen, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen ins Leben gerufene und 1995 erstmals vergebene Auszeichnung wird finanziert vom Bremer Senat und dem Bildungswerk Umwelt und Kultur in der (grünen-nahen) Heinrich-Böll-Stiftung. Geehrt wird in jedem Jahr einE überzeugteR AntikommunistIn und PropagandistIn kapitalistischer Ideologie, der/die im postmodernen Gewande daher kommt. Der internationalen Jury hat es in diesem Jahr besonders Furets 700 Seiten dickes Buch Le passé d'un illusion (Das Ende der Illusion) angetan, denn das habe wesentlich dazu beigetragen, daß sich das ausklingende Jahrhundert selbst verstehe. Mit der Wiederöffnung Europas 1989 sei "die große Illusion des Kommunismus" noch einmal bewußt geworden. Oder, um es mit der kurzfristig verhinderten Rita Süssmuth ("Werk und Person [Hannah Arendts] liegen mir sehr am Herzen") zu sagen: "Die Entscheidung der Jury fiel auf einen Wissenschaftler, der in herausragender Weise mit seinen Analysen der Moderne unsere Wahrnehmung und geistige Auseinandersetzung bestimmt hat." Gewürdigt wird Furet an diesem Abend weiterhin von der Bremer Professorin Antonia Grunenberg, dem Historiker Reinhart Koselleck und natürlich Daniel Cohn-Bendit, die den Preisträger vor allem gegen eine Vereinahmung durch rechte deutsche Historiker in Schutz nehmen wollen ...
Daß dazu kein Anlaß besteht, macht Furet im Weser-Kurier-Interview deutlich: Weser-Kurier: "Monsieur Furet, warum haben Sie das Sterbeglöcklein für die Revolution geläutet?" Furet: "Die Französische Revolution ist der Beginn der modernen französischen Demokratie. Der Untergang der Sowjetunion Ende der 80er bis Anfang der 90er Jahre brachte schließlich den Kollaps der Idee der Revolution, die nun keine Bedeutung mehr hat. (...)" Weser-Kurier: "(...) Gibt es für Sie einen dritten Weg?" Furet: "(...) Ich denke, es gibt den dritten Weg insofern, als es in modernen Demokratien darauf ankommt, die Entfremdung des Bürgers von der Ökonomie zu verringern." Weser-Kurier: "Sie wünschen sich eine andere Form des Wirtschaftens?" Furet: "Nicht grundlegend anders. Es geht nicht um die Produktion, sondern um die richtige Verteilung der Güter. Und zwar im Kapitalismus, denn Sie können das Privateigentum nicht abschaffen." Weser-Kurier: "Sie verstehen den Terror von Rechtsextremisten gegen Ausländer nicht als Form der Gewalt gegen die Demokratie?" Furet: "Ich kann sie nicht als Gefahr für die Demokratie erkennen. Die große Frage ist die Akzeptanz der Einwanderung, die nicht sehr stark kontrolliert wird. Und hier gibt es eine stark Bewegung gegen den Zuzug von Ausländern. (...) Es geht um die nationale Identität, die immer noch von großer Bedeutung für die Gesellschaft ist. Wird die Frage zu sehr vernachlässigt, kann es zur Katastrophe kommen." usw.usf.

10. Dezember
Weniger Geld für bosnische Flüchtlinge
Der Bremer Senat beschließt die Kürzung der "Leistungen für alle bosnischen Flüchtlinge mit Duldungsstatus". In allen anderen Bundesländern, mit Ausnahme Thüringens, wurden Kürzungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz für Flüchtlinge, deren Rückkehr nichts mehr im Weg stehe, schon beschlossen, allerdings, so heißt es in der Senatsvorlage: "In 15 Bundesländern wurden sechs verschiedene Regelungsvarianten festgeschrieben." Und weiter: "Insgesamt können bis zu 2.000 Personen von der Leistungsabsenkung betroffen sein, so daß maximal mit Einsparungen von monatlich 240.000 Mark gerechnet werden kann."

Anmeldefrist beachten!
Der CDU-Bürgerschaftsabgeordneter Herderhorst erkundigt sich in der Fragestunde der Stadtbürgerschaft nach den "Sicherungskosten" für das ehemalige Parzellengebiet Weidedamm III. Die Antwort seines Parteifreundes und Bausenators Bernt Schulte läßt das Herz des hauptberuflichen Kriminalkommissars bluten: "Die Kosten für die Baustellen-Einzäunung, die wegen der früheren Besetzung erhöhten Sicherheitsansprüchen genügen mußte, sowie die Kosten für die Bewachung des Gebietes Weidedamm III belaufen sich bis Ende November 1996 auf ca. acht Millionen Mark (für die die Stadt aufkommen muß). Die Sicherungskosten betragen zur Zeit 90.000 Mark monatlich." Und bei der Vielzahl von Polizeieinsätzen gegen die ehemaligen BesetzerInnen seien "erhebliche Kosten entstanden, die jedoch nur mit unangemessenem Aufwand in Mark und Pfennig beziffert werden könnten". Darüberhinaus habe die Herrichtung des Ersatzgeländes für einen Teil der BesetzerInnen in Lesum DM 565.000 gekostet.
Einigermaßen peinlich ist Schulte auch das Eingeständnis, daß lt. des noch vom Ampelsenat ausgehandelten Vertrages selbst SenatorInnen sich 48 Stunden zuvor anmelden müssen, bevor sie das Areal in Bremen-Nord betreten dürfen. Diese Erfahrung hatte auch schon Innensenator Borttscheller machen müssen: Dem specknackigen Law-and-order-Verfechter wurde von den langhaarigen Peacenicks der Zutritt verwehrt.

13. Dezember
Richtig kämpfen
Der Bundestag billigt mit (fast) geschlossener Mehrheit von CDU/CSU, FDP und SPD sowie großen Teilen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (499 Ja-, 93 Nein-Stimmen, 21 Enthaltungen) die Beteiligung der Bundeswehr auch an der neuen "Bosnien-Friedenstruppe" SFOR (Stabilization Force). Die 3.000 deutschen SoldatInnen können in den nächsten 18 Monaten damit offiziell - erstmals in der Geschichte der Bundeswehr - an Kampfhandlungen teilnehmen (bzw. diese anzetteln), dürfen Gewalt einsetzen, ohne später irgendwelche Selbstverteidigungsnotwendigkeiten bemühen zu müssen.
Neben den Bremer CDU-Abgeordneten und Volker Kröning (SPD) stimmt natürlich auch die kürzlich für ihre kriegstreiberischen Verdienste im ehemaligen Jugoslawien mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen) für den Einsatz. Einzig die SozialdemokratInnen Ilse Janz und Konrad Kunick scheinen immer noch nicht von der Notwendigkeit des deutschen Einmarsches überzeugt - und stimmen wieder dagegen. Denn dieser Bundestagsbeschluß ist, so Kunick, "ein weiterer Schritt in Richtung militärische Großmacht".

16. Dezember
Herkunft "zweifelsfrei" festgestellt
Um Flüchtlinge, die die Angabe ihres "Herkunftslandes" verweigern (85 sollen es derzeit in Bremen sein), abschieben zu können, bedienen sich die Bremer Büttel allerlei illegaler Methoden. So wurden am 19. November 28 Männern aus afrikanischen Staaten aufs Ausländeramt geladen, um bei einer Befragung durch zwei sog. Gutachter dieses "Herkunftsland" und damit potentielle Ziel einer Abschiebung feststellen zu können. Die beiden Gutachter, ein Angestellter der Ausländerbehörde Bielefeld sowie ein angeblicher Mitarbeiter der Botschaft Gambias, stellten, so das Ausländeramt, bei 23 Männern die Staatsangehörigkeit "zweifelsfrei" fest. Antirassistische und Flüchtlingsinitiativen weisen allerdings darauf hin, daß es sich bei dem "Mitarbeiter" der gambischen Botschaft keineswegs um einen solchen handelt, sondern er lediglich mißbraucht werde, um Menschen nach ihrem Aussehen und ihrer Sprache in Länder abschieben zu können, aus denen sie vielleicht gar nicht kommen. Gambia hat nämlich für die hiesigen Behörden gegenüber anderen afrikanischen Staaten den "Vorteil", daß bei Abschiebungen keine Reisepässe oder ähnliche Papiere benötigt werden (s. auch kassiber 30, Dezember 1996, S.4). Manchmal muß man sich nicht einmal mehr diese Mühe machen: So soll ein Flüchtling, der bis zum späten Nachmittag auf seinen Termin im Ausländeramt warten mußte, ohne weitere "Befragung" einem westafrikanischen Land zugeordnet worden sein. Zehn der 23 Männer werden jetzt in Abschiebehaft genommen.

23. Dezember
"Keine Benachteiligung"
Der Staatsgerichtshof Bremen weist - wie schon im Februar das Wahlprüfungsgericht - die Beschwerde der Deutschen Volksunion (DVU) gegen die Gültigkeit der Bürgerschaftswahlen 1995 zurück. Die faschistische DVU, 1991 noch mit sechs Abgeordneten ins Parlament gezogen, 1995 aber an der 5-Prozent-Klausel gescheitert, hatte sich zum einen durch den - aufgrund des Zusammenbruchs der Ampelkoalition - relativ kurzfristig angesetzten Wahltermin, zum anderen - während des Wahlkampfs - durch Radio Bremen benachteiligt gesehen. Dem kann Bremens höchstes Gericht natürlich nicht zustimmen, geht es bei der Beschwerde der nur noch in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung vertretenen DVU doch auch um wesentliche ideologische Begründungen für die Legitimität des bürgerlichen Parlamentarismus. So seien auch im Mai 1995 alle gleich(berechtigt) gewesen, ob grün, ob schwarz, ob braun, ob klein, ob groß, ob reich oder vergleichsweise arm. Somit sei nicht zu beanstanden gewesen, daß Radio Bremen 1995 überhaupt keine (kostenlosen!) Wahlwerbespots ausgestrahlt habe, außerdem habe sich die DVU bei einer "Wahlanhörung" darstellen können wie andere auch; natürlich sei der Sender politisch unabhängig und habe das Recht, selbst zu bestimmen, welche Gäste zu entsprechenden Diskussionen geladen werden und welche nicht. Bedenklich, so der Staatsgerichtshof, sei hingegen, daß die DVU nicht zu der vier Tage vor der Wahl ausgestrahlten Sendung "Nie wieder Ampel - Wer soll Bremen regieren?" eingeladen wurde. Daß dort alle Bürgerschaftsparteien mit Ausnahme der FaschistInnen vertreten waren, hätte gegen die Chancengleichheit verstoßen und die Chancen der DVU möglicherweise verschlechtert.

Keine Abschiebung
Ein Mann, der gegen seine Abschiebung in die Türkei geklagt hatte, bekommt vom Verwaltungsgericht Bremen Recht. Nach der jetzt bekanntgegebenen Urteilsbegründung habe die Ausländerbehörde eine falsche Ermessensentscheidung gefällt, da sie nicht berücksichtigt habe, daß der derzeit im Knast sitzende Zahar A. als armenischer Christ in der Türkei mit erheblichen persönlichen und finanziellen Nachteilen rechnen müsse.
A. hatte im März 1994 einen Anschlag auf die Gaststättenabteilung des Stadtamts am Rembertiring verübt, dabei das Mobiliar, zwei Sachbearbeiterinnen, allerdings auch einen Unbeteiligten mit Benzin übergossen und dann Feuer gelegt. Die Personen konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Der Anschlag war ein hilfloser Protest dagegen, daß die beiden Schreibtischtäterinnen ihn in Sippenhaft genommen und ihm eine Konzession für eine Gaststätte in Walle verweigert hatten. Als Begründung mußte herhalten, daß A.s Vater, dem Vorbesitzer der Kneipe, Drogenhandel vorgeworfen wurde. Das ganze zog nicht nur eine auch rassistisch motivierte Kampagne nach sich, in der behauptet wurde, Sachbearbeiterinnen deutscher Behörden seien permanenten Bedrohungen durch Ausländer und andere Sozialschmarotzer ausgeliefert, sondern für A. im November 1994 auch eine Strafe von vier Jahren und drei Monaten wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Trotz des jetzt ergangenen Urteils muß A. weiterhin mit seiner Abschiebung rechnen, denn, so Verwaltungsgerichtspräsident Hasso Kliese: "Die Grundtendenz des Urteils ist: Ausgewiesen werden darf." Bei einer erneuten Prüfung könne das Ausländeramt durchaus wieder zu einem Abschiebebeschluß kommen, habe es doch, außer eben die Religionszugehörigkeit des Betroffenen zu berücksichtigen, alles richtig gemacht. Denn eigentlich mache die Schwere der Tat, hier: das Anzünden einer Polizeidienststelle samt Personal, die Ausweisung zum Regelfall. Und nur die Tatsache, daß A. schon 1975 als Minderjähriger in die BRD eingereist sei, mache, so das Ausländeramt, das Ganze zur "Ermessensabschiebung". Aber für die Abschiebung spreche eben auch, daß A. - ledig, kinderlos und in den letzten Jahren nur unregelmäßig einer Erwerbsarbeit nachgehend - sozial weder besonders an die BRD gebunden noch in die Gesellschaft integriert sei.

28. Dezember
Entlassung aus Abschiebehaft gefordert
Ein albanischer Mann, der seit Ende August in Abschiebehaft sitzt, erfährt erst, als er seinem Sohn telefonisch zu dessen 18. Geburtstag gratulieren will, von dessen Tod. Der Jugendliche war am 21. Dezember gemeinsam mit einem weiteren jungen Mann bei einem Autounfall auf der Otto-Brenner-Allee ums Leben gekommen. Die Asylgruppe Ostertor, die den Gefangenen betreut, fordert, daß er "in Würde" an der Beerdigung seines Sohnes am 3. Januar teilnehmen kann und daß der er bis zum Abschiebetermin freigelassen wird. Er könne bei Freunden und Verwandten den Trost finden, den er in seiner Trauer brauche. Schon 1990 war ein anderer Sohn des Mannes bei einem Unfall ums Leben gekommen. Hans Meyer-Mews, Anwalt des Betroffenen, hat Beschwerde gegen die Abschiebehaft eingelegt und weist darauf hin, daß der zwar straffällig geworden sei, die Strafe aber bereits verbüßt habe. Auch sei er schon einmal nach Belgrad abgeschoben worden, dort aber sofort im Gefängnis gelandet. Als er fliehen konnte, habe er sich sofort wieder auf den Weg nach Deutschland gemacht. Der Anwalt fordert zudem, die Ausweisung zeitlich zu begrenzen, damit der Mann mit seinem Anspruch auf Familienzusammenführung wieder einreisen könne.

31. Dezember
"Bremer Jugendkultur"
Nur wenige Leute mochten bei -15° C Silvester auf der Sielwallkreuzung feiern - und sah sich einem Großaufgebot Polizei in voller Kampfmontur gegenüber. Mangels Beschäftigung räumte die eine Party in einem angrenzenden Haus ab und nahm alle 27 Gäste vorläufig fest, weil angeblich vom Dach Flaschen geworfen worden seien. Innensenator Borttscheller sieht seine Strategie, "von Anfang an starke Präsenz zu zeigen", voll bestätigt und kündigt the same procedure für next year an, denn "es gehört zu den traurigen Kapiteln Bremer Jugendkultur, daß manche Wohlstandskinder ein Bürgerkriegsszenario brauchen, um in die richtige Stimmung zu kommen". Womit Borttscheller natürlich nicht sagen will, daß er lieber Flüchtlingswohnheim als Lagerfeuer auf der Sielwallkreuzung brennen sehen will ...

Abschnitt II: 15. bis 13. Januar 1997 (Kurzmeldungen)



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kombo(p) - 21.06.1997