Ein Auszug aus kassiber 28 - Februar 96

Raves

Soundsystem Exodus

Techno, Raves - laute, monoton pochende Maschinenmusik. Vereinzelung und Kommerz, ohne Inhalte und Identität, dergleichen hört mensch zu diesem Thema immer wieder. Zwar hat sich die eine oder der andere mittlerweile mit den "repetitive beats" angefreundet und die eine oder andere Tanzveranstaltung besucht und sich kräftig amüsiert, aber eine Menge solcher Vorurteile sind immer noch weit verbreitet. Sicherlich, England ist nicht Deutschland. Doch auch hier bei uns ist Techno nicht gleich Techno. Aber das ist eine andere Geschichte. Es folgt ein ins Deutsche übertragener Bericht über das Soundsystem EXODUS aus England.

P.S.: Auch wenn Raves, House und Techno durchaus in einem politischen Kontext existieren (können), ist sehr zu hoffen, daß Linke, die sich mit diesem Thema beschäftigen, nicht eine ähnlich kurzsichtige Vereinnahmung betreiben, wie es vor fünf Jahren mit HipHop versucht wurde. Immerhin sind bei dieser zeitgenössischen Tanzmusik die sich anbietenden Fettnäpfchen noch um einiges größer.

Anfang

"Sie haben versucht, uns auf verschiedene Arten zu zerstören. Sie haben versucht, unsere Einnahmequellen zu kappen, indem sie unsere Partys verboten. Sie brachten uns durch falsche Anklagen in Mißkredit, so daß wir ein Jahr lang kaum noch etwas unternehmen konnten. Sie dachten: 'Niemand sollte sich mehr bei Exodus anschließen.' Aber sie begriffen nicht, wofür diese freien Partys standen, daß sie mehr als nur ein Tanzfest waren. Wir wußten, daß wir eine Tatsache sind, eine Herausforderung darstellten, auch daß die staatliche Gewalt eingreifen würde - und das taten sie auch", meint Bigs, Angehöriger des Soundsystems und Wohnkollektivs Exodus aus England.

Wenn du den Reitweg nimmst, vorbei an dem ,schönen Rasen' des Golfplatzes, erreichst du am Stadtrand die Cavern Hills. Von da aus hast du eine gute Aussicht über die englische Stadt Luton und ihre Umgebung. Schlichte Neubauviertel umringen das Stadtzentrum. Im Zentrum dominieren McDonald's und Warenhäuser wie Marks & Spencer das Straßenbild. Die Jugend von Luton hängt gelangweilt auf Kunststoffbänken herum, Kinder spielen auf Klettergerüsten aus Plastik. Aus verborgenen Lautsprechern klingt Musik. Du kannst dich fragen, warum die Jüngeren in diesem kommerziellen ,Paradies" rumhängen. Geld um irgendwas zu kaufen haben sie nicht. Die Arbeitslosigkeit in Luton ist hoch, ebenso die Wohnungsnot. Aber auch wenn sie Geld haben sollten, ist es noch die Frage, ob sie sich freuen würden über die Produkte in den Schaufenstern.

Wenn du dich dann zur anderen Seite umdrehst, siehst du ein ganz anderes Bild. Dort steht mitten in der Plastik-Landschaft von Luton ,The Housing Action Zone" (HAZ) - ein ehemaliges Altersheim, daß nun bewohnt und verwaltet wird von der Tanz- und Wohngemeinschaft Exodus. Wenn du hier eintrittst, triffst du ein ganz anderes Luton an. Eine positive Atmosphäre und viel Betriebsamkeit. Dort wird an einem Sportraum, einem Gemeinschaftsraum, 40 Schlafräumen, einer riesigen Küche, einem Gemüsegarten, einer Werkstatt und einem Lagerraum hart gearbeitet. Ein besonderer Platz ist ausgewählt für "the speakers that pump up dance", denn mit den Speakers (Lautsprechern) beginnt die Geschichte von Exodus.

Drei Speakers

Im Juni 1992 fanden einige junge gelangweilte Arbeitslose in einer Garage in Luton unbenutzte Speakers. Diese Boxen wurden repariert, zum naheliegenden Wald gebracht und die erste Party von The Exodus Soundsystem konnte beginnen. Kamen auf diese erste Party knapp 150 Menschen, waren es auf der folgenden Party schon 1.000 und nach ein paar Monaten schon 10.000. "Es gab nicht ein mal Flyer, es war alles Mund-zu-Mund-Propaganda", erzählt Ruth, eine Bewohnerin der HAZ: "Menschen die zu den Partys kamen, waren enorm enthusiastisch und erzählten es weiter, so bin auch ich selbst hinzugekommen. Dieser Enthusiasmus steigt noch immer. Jeden Tag kommen wieder Menschen vorbei, um zu gucken was hier passiert."

Direkt nach der ersten Party wird ein leerstehendes Bürogebäude besetzt, aus dem sie leider nach einem Monat wieder rausflogen. Noch am Tag der Räumung besetzten sie einen leerstehenden Bauernhof, die Long Meadow Farm. Diese war früher wegen einer geplantem Straßenbau enteignet worden, aber der Baubeginn war erst im Jahr 2000 vorgesehen.

Die Anziehungskraft von Exodus war schnell so groß, daß nicht jede und jeder auf dem Bauernhof untergebracht werden konnte und mensch ging auf die Suche nach zusätzlichen Räumen. Diese wurden Anfang Januar 1993 gefunden, in der Form eines alten leerstehenden Hotels, dem Oakmore Hotel. Nach der Besetzung wird es in einem rasenden Tempo hergerichtet. Finanziert mit dem Geld, daß während der Raves des Soundsystems Exodus eingesammelt wurde. Leider stand noch keine zwei Wochen später die britischen Riotcops vor der Tür und es wurde alles wieder zerstört. Vier Leute vom Exodus-Kollektiv wurden eingeknastet und Captain, ein ehemaliger Bauarbeiter und nun Angehöriger des Kollektivs, hatte während der Räumung einen Schlag mit einem Vorschlaghammer abbekommen, wodurch sein Oberschenkel dauerhaft gelähmt wurde. Die vier Festgenommenen werden schnell wieder freigelassen, weil die Anklage wegen öffentlicher Gewaltanwendung nicht stattgegeben wurde. Inzwischen wurden auch die Bewohner auf der Straße gesetzt. Es war ein harter Winter und sie gingen auf die Suche nach neuem Wohnraum.

Nach sechs Wochen Umherschweifen fiel das Auge auf ein ungenutztes Altersheim auf dem Cavern Hill. Hier möchten sie bleiben und die Gemeinde erteilte sogar eine Erlaubnis um das Gebäude bewohnbar zu machen.

Die Razzia

Die Entwicklungen in den vorausgehenden Monaten haben sicher zu der wohlwollenden Meinung der Gemeinde beigetragen. Die Räumung des Oakmore Hotel verbleicht hinter der ersten von fünf koordinierten Polizei-Operationen gegen Exodus (die Operationen wurden von den Bullen Anatomy, Anchovy, Anagram und Ashanti genannt).

Bigs, einer der Menschen, die von Anfang an bei Exodus dabei waren, findet dies im nachhinein nicht seltsam: "Du konntest nicht annehmen, wenn du was illegales machst, daß die Polizei nichts unternehmen würde. Wir wußten auch schon, daß sie kommen wollten, aber nicht wann. Die Partys gingen weiter, jede Woche und manchmal kamen fast 10.000 Menschen - von überall her und das in dem kleinen Städtchen Luton. Die Behörden vor Ort konnten nichts gegen die Massen tun." Allerdings begann in der Presse eine Hetze gegen Exodus und die örtliche Polizei gab bekannt, daß sie mindestens fünf überregionale Polizeieinheiten angefordert hatte, um die Partys stoppen zu können. Diese Einheiten kamen auch.

Am 31. Januar 1993 wird die Operation Anagram ausgeführt. Die Long Meadow Farm wurde durch die Riotcops umstellt. 36 Angehörige des Kollektivs wurden auf die Bullenwache mitgenommen. Was die Polizei nicht wußte, daß an dem Abend ein Rave stattfinden sollte und das ca. 4.000 Menschen unterwegs waren. Ruth: "Ich war während der Polizeirazzia nicht zu Hause. Als ich an dem Haus ankam und sah, daß es durch Polizei und Riotcops umstellt war, bin ich schnell in die Stadt gelaufen, um zu sehen, ob ich noch andere Leute von Exodus finden konnte. Wir gingen zu dem Treffpunkt (wo die BesucherInnen den Ort des Festes erfahren sollten) um zu erzählen, was sich ereignet hatte. Nicht viel später war das Polizeirevier umzingelt. Plötzlich wurden große Lautsprecher rangeschleppt und die Party konnte beginnen. Die vierspurige Straße an der Vorderseite der Station war vollständig blockiert." Die Polizei konnte nicht viel gegen diese tanzende Menge machen.

Ruth erinnert sich, daß während der Umzingelung des Polizeireviers ein Mann ständig schrie: "'Kill the bill, kill the bill!'. Er wurde dreimal von der Polizei aus der Menge geholt, aber er kehrte stets wieder zurück. Es scheint, daß er mit seinem Geschrei auf einen Krawall aus war. Das geschah nicht, trotz der Tatsache, das 4.000 Menschen anwesend waren." Nachdem die Bewohner aus dem Bauernhof geholt waren, versteckte die Polizei Extasy im Wert von 2.000 Pfund im Zimmer von Bigs, worauf er wegen Besitz von Drogen angeklagt wurde. Während des Prozesses erklärte die Jury, daß die Beweisführung der Polizei von keiner Seite aus taugte. Daraufhin wurde Bigs freigesprochen. Es schien auch noch anderes falsches Beweismaterial produziert worden sein. Dadurch entstand in Luton große Aufregung. Es war die Rede von einer zielgerichteten Kampagne, um Exodus in Mißkredit zu bringen. Der verantwortliche Bulle, Alan Marlow, ersuchte daraufhin um seine vorzeitige Pensionierung. Seitdem haben sie mit der Polizei nur noch wenig Ärger gehabt.

Später schickte Exodus sogar eine Einladung an die Polizei, die Beigeordneten und den Gemeinderat, um an einen "Runden Tisch" über das neue Gesetz, den ,Criminal Justice Bill" zu sprechen. Der neue Polizeipräsident, Andy Nash, kam dieser Einladung nach und gab zu erkennen die neuen Befugnisse, die ihm der 'Bill' bot, nicht anzuwenden. Vorheriges Jahr im Sommer hat Exodus wieder mit den Raves begonnen, ohne daß die Polizei eingriff. Diesen Sommer hat der Gemeinderat nach langem Drängen zugestimmt, in einer öffentlichen Untersuchung den falschen Anschuldigungen der Polizei gegen Exodus nachzugehen.

Jah people

Exodus hat mittlerweile einen rechtlichen Status als Wohnkooperative. Für das ehemalige Altersheim bezahlen sie an die Gemeinde einen symbolischen Betrag von einem Pfund pro Jahr. Die BewohnerInnen bezahlen dennoch Miete, diese wird aber direkt genutzt, um Materialien zu kaufen, um die Wohnungen zu renovieren. Ruth: "Es ist ein gewaltiges Projekt. Hier wohnt ein Haufen ausgebildeter Leute, die jedoch keine Arbeit finden konnten. Es gibt Bleigießer, Zimmerleute, alle arbeiten sie auf freiwilliger Basis, aus Liebe, weil sie die Wohnungen so gewaltig finden." Was auffällt, ist die unterschiedliche Zusammensetzung der Menschen in dem Kollektiv, Schwarze, Weiße, Frauen, Männer, etwas, daß du in England nicht oft antriffst. Nach Bigs ist es das, warum es geht: "Exodus, Movement of Jah people. Wir bieten Platz für Menschen aus den verschiedensten verschiedenen Ecken. Es gibt auch Ex-Alkoholiker, ehemalige Koks-Süchtige oder Menschen, die versuchen, von ihrer Abhängigkeit wegzukommen. Bei uns finden sie eine lebbare Alternative. Die Behörden versuchen zu kontrollieren, ob es funktioniert und es funktioniert."

"Es ist nun mal viel schöner hier zu arbeiten, als sich ein ums andere Mal einen Job zu suchen von neun Uhr früh bis fünf Uhr abend." Jaqui, Mutter von zwei Kindern, kann dies bestätigen. Sie hat sechs Jahre als Bürokraft im örtlichen Warenhaus Marks & Spencer gearbeitet, bis sie es satt war. "Ich wurde so eine Art Roboter", erinnert sie sich, "um halb sieben aufstehen , die Kids zur Kindertagestätte bringen und dann von acht bis fünf zu meiner Arbeit - wieder zu Hause angekommen, mußte ich noch den Haushalt machen."

Die Kombination, den Job aufzugeben und bei Exodus zu helfen war nach Jaqui so etwas wie, das Wegwerfen von dem Roboter und sich-selbst werden. Nun macht sie den Bürokram für den Bauernhof. Sie hat noch keinen Augenblick diese Transformation bedauert. "Es ist nun so viel einfacher, eine gute Mutter zu sein. Ich hab zwar jetzt kein Geld mehr, um mit ihnen irgendwohin zu gehen, aber sie helfen nun auf dem Bauernhof, anstatt auf der Straße rumzuhängen und Bushaltestellen auseinanderzunehmen." Die Tanz-Partys interessieren sie nicht so sehr. Dennoch, sagt sie, hat sie viel Vergnügen daran, freundlich Wasser an die Partybesucher zu verteilen, z.B. in dem nun leerstehenden Marks & Spencer-Warenhaus, in dem Exodus eine Party machte.

"Long Meadow Community Free Farm", wie der Bauernhof nun heißt, hat auch eine wahre Transformation erfahren. Alle Ställe sind repariert und es laufen Ziegen, Schafe, Hühner, Gänze und zwei Generationen vietnamesische Hängebauchschweine herum. Viele Kinder aus der Umgebung kommen zum Bauernhof und regelmäßig kommen Schulklassen zu Besuch. Sie versuchen jetzt auch, für den Bauernhof einen legalen Status zu bekommen, wodurch er dann ein offizieller Bestandteil der Wohnkooperative werden könnte. Ziel ist es, diesem Beispiel noch mehr Häuser folgen zu lassen.

Zur Zeit hat Exodus ein Auge auf ein leerstehendes Gemeinschaftszentrum in der Innenstadt geworfen. Hier sollen Workshopsdurchgeführt werden, eine Kindertagestätte soll errichtet werden und regelmäßig ein Markt stattfinden, um die Dinge zu verkaufen, die sie selber herstellen. Diesmal versuchen sie allerdings vorher eine Zustimmung zu bekommen, um das Haus zu beziehen. Obwohl ein erster Versuch abgewiesen wurde, bleiben sie optimistisch. Falls ein weiterer Versuch abgewiesen wird, suchen sie sich einen anderen Ort oder sie beschließen, es zu besetzen.

Die Raves

Obwohl die Raves von Exodus nun durch die Autoritäten toleriert werden, sorgt die negative Publizität, die die letzte Zeit rund um House-Partys gemacht wird, für eine Bedrohung. Vor allem, nachdem es einige Male bei Raves zu Toten kam. Ruth meint, daß es zu Todesfällen überwiegend während der Partys in großen Clubs kommt. "Clubbesitzer geben ganz und gar nichts für die Kids, aber sind auf das Geld aus. Um rein zu kommen mußt du schon fünfzehn Pfund bezahlen und du bezahlst 3 Pfund für eine Flasche Wasser. Inzwischen drehen sie das Wasser in den WC's ab, so daß du da nicht trinken kannst (Hier in Dt. ist das mittlerweile auch oft so, d.T.) und sie drehen oft auch noch die Heizung auf. (Wärme = Durst = Umsatzsteigerung, d.T.) Logisch das es Tote gibt."

"Wir haben immer ein Erste-Hilfe-Zelt bei unseren Raves. Bei mehr als fünfzig Partys, die wir gegeben haben, ist noch nie jemand ohnmächtig geworden oder zusammengebrochen." Das Verbot von freien Festivals und Partys in den letzten Jahren ist die vorrangige Ursache dieser negativen Entwicklung. Soundsystems werden dadurch gezwungen, Genehmigungen für ihre Partys einzuholen und diese kosten schrecklich viel Geld. Dadurch wird die Raveszene in eine kommerzielle Richtung gedrängt. Exodus hat sich immer geweigert, seine Feste anzumelden und erhebt auch keinen Eintritt. Es stehen lediglich Büchsen herum, mit denen Spenden gesammelt werden. Exodus will auch kein Geld verdienen, aber der Gemeinschaft etwas Positives bieten.

Bigs: "Vor Zwanzig Jahren hattest du die Reggae SoundSystems, die aus der selben Idee entstanden. Aber die Frage nach der Musik und den DJ's wurde zu wichtig. Das endete mit goldenen Ketten und BMW's. Dadurch hatten sie der Jugend - uns also - nichts mehr zu sagen. Darum bauten wir uns selbst was auf und daraus ist Exodus entstanden. Wir hatten keinen Kalender oder eine feste Planung. Wir kamen wie gewöhnlich zusammen, wir waren alle schon lange Zeit arbeitslos und hatten kaum Geld, dennoch wollten wir korrekt wohnen und Feste feiern."

Mit dem nötigen Überlebenswillen und mit dem Bewußtsein, daß du das, was du willst, selbst erreichen kannst, ist Exodus entstanden und so soll es auch weiterbestehen. Bigs: "Wir könnten uns natürlich ganz normal auf unseren Bauernhof und die 17 Hektar Land drumherum zurückziehen, aber selbst wenn sich hier in Luton die Geschichte zum Guten gewendet hat, liegt zum Beispiel anderswo noch immer die Scheiße herum. Irgendwo gibt es immer noch was zu tun."

Marks Spencer


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kombo(p) - 06.01.1997