streik bericht/flugblatt | prols 2/2002
Kampf der Bahn-ReinigungsarbeiterInnen in Italien
[english][prol-position]

1. Bericht / 18. Februar 2002
(Dieser Bericht beruht auf einer Diskussion mit einem Arbeiter, der in der Basisgewerkschaft CUB aktiv ist, und einigen Zeitungsberichten.)
Am Montag und Dienstag haben ReinigungsarbeiterInnen u.a. auf Bahnhöfen in Rom, Palermo, Mailand, Florenz, Bologna und Neapel Aktionen gemacht, um die angekündigten Entlassungen, Lohnkürzungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu verhindern. Die staatliche Eisenbahngesellschaft FS - mittlerweile ähnlich wie die Deutsche Bahn in verschiedene Unternehmen unterteilt - hat die Reinigungsaufträge neu ausgeschrieben. Die Reinigung selber machen mehrere Privatfirmen. Ende Dezember sollte die Entscheidung über die Ausschreibung fallen, wobei die FS angekündigt hatte, das sie etwa 40 Prozent weniger für die Reinigung zur Verfügung stellen werde. Die Entscheidung wurde dann auf Ende Februar vertagt. Die Aktionen der ArbeiterInnen sollen bewirken, dass die Entscheidung über die Reduzierung des Budgets und die schon angekündigten Entlassungen bei den privaten Reinigungsfirmen doch noch zurückgenommen werden.
Die ArbeiterInnen, die sich in der Regel nicht zentral treffen, sondern an unterschiedlichen Orten über die Stadt verteilt, bevor sie dann Züge und Bahnhöfen putzen, machen seit Montag einen Bummelstreik, was bedeutet, dass sie zwar zur Arbeit erscheinen, aber dann mehr oder weniger nicht arbeiten. In Mailand waren einige Bahnhöfe am Donnerstag übersät mit Müll. Montag und Dienstag haben die ArbeiterInnen zudem stundenlang die Gleise besetzt. In einige Städten waren dabei mehrere Hunderte ArbeiterInnen beteiligt. Viele Züge wurden aufgehalten. Die Reisenden mussten zum Teil mit der U-Bahn weiterfahren, um an anderen Bahnhöfen andere Züge zu kriegen. Die Bahn hat auch Busse eingesetzt.
Insgesamt arbeiten etwa 13.000 ArbeiterInnen für die privaten Reinigungsfirmen, allein in der Lombardei 5.000, in Mailand 2.000. Wenn die Pläne der FS - Teil eines Umstrukturierungsplanes - durchkommen, sollen 5.000 der ArbeiterInnen entlassen werden. Die restlichen erwarten Lohnkürzungen um 150 bis 200 Euro (in einem Bericht war gar von 350 Euro weniger die Rede; bei einem Lohn - je nach Dienstalter - von unter 1000 Euro). In Mailand sind fast die Hälfte der ArbeiterInnen über 40 und diese meist ItalienerInnen. Von den Jüngeren sind viele ImmigrantInnen, vor allem aus Asien und Nordafrika. In der Mehrzahl putzen hier Männer.
Die Stimmung ist äußerst angespannt, weil die Bedingungen seit Jahren schlechter geworden sind. Im Moment wollen die ArbeiterInnen mit weiteren Gleisbesetzungen warten, bis die Entscheidung über die Vergabe der Reinigungsaufträge und die tatsächliche Höhe des Budgets gefallen ist. Donnerstag wurden dazu Gespräche geführt, die endgültige Entscheidung soll diese Woche fallen.
In einem Interview hat ein Arbeiter gemeint, dass sie bisher keine Pendlerzüge blockiert hätten, um andere ArbeiterInnen nicht mit reinzuziehen. Wenn jetzt aber nicht bald was geschehe, würden sie dafür sorgen, dass alle sie hören und verstehen könnten, auch wenn es dann Anzeigen und Verhaftungen gäbe.

Mal sehen...


2. Bericht / 23. Februar 2002
Auch dieser Bericht beruht auf Treffen mit CUB-ArbeiterInnen und Zeitungsberichten: Am Donnerstag, den 14. Februar, trafen sich Vertreter der FS (Eisenbahn), der Regierung und der offiziellen Gewerkschaften CGIL, CSIL und UIL, um den Streik der ArbeiterInnen zu brechen. Sie beschlossen, die Entscheidung über die Ausschreibung der Reinigungsverträge auf Mai zu verschieben. Ohne irgendwelche Garantien in bezug auf die Kündigungen oder Kürzungen sagten die Gewerkschaften den für den 18. Und 19. Februar geplanten Streik ab. Darüber hinaus wird es einen Untersuchungsausschuss geben, der die Verkehrsblockaden während des Streiks untersuchen und Geldstrafen gegen die daran teilnehmenden ArbeiterInnen verhängen wird.
Die FS brachte vor, dass sie die vorgesehenen Kürzungen und Kündigungen nicht übersehen kann, weil es bei der Ausschreibung um 70 Verträge handelt (mit unterschiedlichen privaten Firmen). Trotzdem geht die Regierung von etwa 3000 Entlassungen aus.
Momentan gibt es keinen offenen Kampf, aber die Situation hat sich nicht wirklich verändert und die Entscheidung über die Kündigungen wird Anfang April fallen.
Inzwischen versuchen einige AktivistInnen der Basisgewerkschaft CUB und andere Streik- UnterstützerInnen, mehr Verbindungen zwischen den ArbeiterInnen aus den verschiedenen Städten hinzukriegen. Mitte März soll es ein Treffen von Eisenbahn-ArbeiterInnen aus Basisgewerkschaften und anderen Initiativen geben. In Mailand gibt es auch Pläne für eine öffentliche lokale Versammlung der ReinigungsarbeiterInnen.

Fragen bleiben, u.a.:
- Warum haben die ArbeiterInnen die Absage des Streiks am 18. und 19. Februar zugelassen?
- Welches Verhältnis besteht zwischen MigrantInnen und die "italienischen" ArbeiterInnen? Hat sich das im Streik verändert?
- Welche Formen der Kommunikation und der Koordination gibt es schon unter den ArbeiterInnen?
- Welche Rolle spielen die Gewerkschaften, die "offiziellen" wie die Basisgewerkschaften?

Wir bleiben dran...


Flugblatt, 23. Februar 2002
(Dies wurde von einigen AktivistInnen in Mailand geschrieben und wird an ArbeiterInnen und PendlerInnen auf den Bahnhöfen dort verteilt)

Der Kampf der ReinigungsarbeiterInnen bei der Eisenbahn
ist der Kampf aller ArbeiterInnen


Dies ist nur der Anfang...
Das Treffen von FS, Regierung und den vereinigten Gewerkschaften (sindacati confederali: CGIL, CSIL, UIL) am 14. Februar in Rom hat gar nichts an den Bedingungen der ReinigungsarbeiterInnen bei der Bahn geändert. Die nochmalige Verschiebung der Ausschreibungsfrist auf den 6. Mai, ohne Rücknahme der Entlassungen und ohne Verzicht auf die erneut diskutierten Kürzungen, sowie die Absage der für den 18. und 19. Februar vorgesehenen Streiks wird den Kampf der ArbeiterInnen nur verlängern und nimmt ihnen das einzige Instrument, das geeignet ist, die Umstrukturierung der Unternehmer wirklich zu stören und das allgemeine Totschweigen der Gewerkschaften, Politiker und der Massenmedien zu durchbrechen: der Kampf.
Außerdem ist die Aufstellung einer Untersuchungskommission, welche die von den Streikenden während des Kampfes begangenen "Unregelmäßigkeiten" feststellen soll und hohe Strafen verhängen wird, einerseits ein Versuch der Einschüchterung gegen all jene, die erneut Formen der effektiven Agitation anwenden. Andererseits wird damit der Wille ausgedrückt, die aktivsten und entschlossensten ArbeiterInnen in dieser Auseinandersetzung zu bestrafen.
Die Eröffnung von Verhandlungen, die die Gewerkschaften nicht wollten und die rein gar nichts an den Bedingungen der Beschäftigung, der Entlohnung und der gesamten sozialen Absicherung dieser ArbeiterInnen geändert haben, hat die angelaufene Initiative gestoppt und zielt darauf, zukünftig anderen Initiativen zuvorzukommen: Das ist eine Warnung an alle ArbeiterInnen, das eigene Schicksal an niemanden abzutreten!
Momentan versuchen die aktivsten ArbeiterInnen, sich gegenseitig kennenzulernen und auf lokaler und landesweiter Ebene zu vernetzen, damit sie in der Lage sind, ihren Kampf gegen die Pläne der Regierung, der Unternehmer und der staatlichen Gewerkschaften autonom zu koordinieren.

Was ist passiert?
In den größeren Städten Italiens kämpfen die ReinigungsarbeiterInnen bei der Eisenbahn, um ihre Arbeitsplätze zu behalten und eine Senkung ihrer Löhne sowie die komplette Streichung ihrer jetzt schon kargen sozialen Absicherung zu verhindern.
Irgendwas ist faul bei der FS [Ferrovie dello Stato: staatliche Eisenbahngesellschaft] und bei der Desinformation durch Presse und Fernsehen!
Die FS hat tatsächlich in bezug auf das Gesamtbudget für die Reinigung den privaten Putzfirmen unglaubliche Ausschreibungsbedingungen gesetzt. Sie hat das Budget drastisch, nämlich fast um die Hälfte, gesenkt und so einen Unterbietungswettbewerb ausgelöst. Und dass, obwohl die derzeitigen Bedingungen allen zeigen, dass der "Service" schon nicht ausreichend ist - worauf die ArbeiterInnen auch deutlich hingewiesen haben. In der Lombardei hat die FS zum Beispiel einer Firma, Mazzoni, bereits den Zuschlag versprochen. Mazzoni hat angekündigt, denselben Service wie bisher mit 40 Prozent weniger Kosten als bisher anzubieten.

Wo liegt der Haken?
Diese Kette mieser Entscheidungen wirkt sich direkt auf die ArbeiterInnen aus, indirekt auch auf die Fahrgäste. Auf der einen Seite werden die Arbeitsplätze gestrichen und damit die Belegschaft reduziert, wo es doch offensichtlich ist dass eine Vergrößerung um mindestens 20 Prozent notwendig wäre. Auf der anderen Seite wird die Ausbeutung intensiviert und die Anzahl entlohnter Arbeitsstunden reduziert. Das bedeutet, dass dieselbe Arbeit in weniger Zeit erledigt werden muss. Gleichzeitig werden die Zuschläge für längere Dienstzeit weiter zusammengestrichen. Man spricht von 300 bis 400 Tausend Lire [150 bis 200 Euro] weniger im Monat. Die PendlerInnen werden dabei für einen schlechteren "Service" mehr zahlen!

Wie viel ist ein Scheißlohn in Euro?
Inzwischen ist das Entlassungsschreiben bei allen angekommen. Die magere Verlängerung der Ausschreibung um zwei Monate, vom 21. Dezember auf den 21. Februar, dient nur dazu, die schon erregten Gemüter zu beruhigen und die Probleme zu vermeiden, die während der für gewöhnlich anstehenden Verstopfung des Eisenbahnverkehrs in der Weihnachtszeit entstehen, und die Situation der ArbeiterInnen noch aussichtsloser zu machen.
Dies alles ist nur ein kleiner Teil der Welle von Umstrukturierung, mit der die Bosse versuchen, die ArbeiterInnen für die Krise zahlen zu lassen. Es zeigt auch die allgemeine soziale Unsicherheit, der mensch sich frontal entgegenstellen muss, wie es die ReinigungsarbeiterInnen der Bahn gemacht haben:

Wer nichts zu verlieren hat, kämpft!
Sie haben eine effektivere Kampfform gewählt - in Mailand z.B. einen Bummelstreik (sciopero bianco: weißer Streik) von sechs Tagen und die Blockierung des Bahnverkehrs für zwölf Stunden. Damit verhinderten sie, dass die Geschäftsleitung StreikbrecherInnen einsetzt. Sie haben damit auch eine klare Lösung für konkrete Probleme verlangt und sich nicht auf das Gequatsche der Politiker verlassen und die Aufforderungen der Gewerkschaftsbosse, Ruhe zu bewahren.
Ihr Kampf ist unser Kampf, der aller ArbeiterInnen bei der Eisenbahn, die sich zusammenschließen und koordinieren müssen, um ihre tatsächliche soziale Macht und die Wirkung der Aktionen zu vergrößern.
Ihr Kampf ist unser Kampf, der aller ArbeiterInnen/PendlerInnen, die von der Verteuerung der Fahrpreise getroffen werden, die wir schlucken sollen, während sie uns mit dem euphorischen Euro-Schwachsinn betäuben und unsere Geldbörse ausrauben.
Ihr Kampf ist unser Kampf, der aller ArbeiterInnen, die wirklich gegen die möglichen Entlassungen kämpfen, die soziale Prekarisierung, die Intensivierung der Ausbeutung.
Nur durch Angriffe auf die offenen Nervenstränge der gesellschaftlichen Organisation, in diesem Falle das System des fließenden PendlerInnen-Verkehrs, nur indem wir Formen von regionalen Zusammenhängen entwickeln, die von uns ArbeiterInnen getragen werden, sowie entsprechende Instrumente der direkten Kommunikation, nur indem wir uns koordinieren, um die Auswirkungen unser Aktionen zu vergrößern und die Kosten des Kampfes auf die Bosse abzuladen, können wir eine wirkliche Alternative zu Verschlechterung unser Lebensbedingungen schaffen.

Lasst die Bosse für die Krise zahlen!
Für die Entwicklung unser sozialen Macht!
Lasst uns direkte Aktionen machen und die Umstrukturierungspläne sabotieren!


Kollektiv von ArbeiterInnen in der CUB (Basisgewerkschaft) im Kampf
Viale Lombardia 27, Mailand, Tel.: 706 31 804

Für ein ArbeiterInnen-Netzwerk treffen wir uns jeden Dienstag, 21:30 Uhr in der Panetteria Occupata, Via Conterosso N.17, Milano, email: [rossoconte@hotmail.com]


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