Die Verschwundenen

3 Beispiele

Fehmi Tosun
Fehmi Tosun wurde am 19. 0ktober 1995 festgenommen. Seitdem hat man keine Nachricht von ihm erhalten. Er war damals 37 Jahre alt, geboren in Diyarbakir, im Bezirk Lice, im Dorf Calindir. Er ist verheiratet und Vater von 5 Kindern. Fehmi Tosun wurde 1991 mit sechs weiteren Personen  bei einer Razzia im Dorf festgenommen. Die anderen wurden freigelassen. Fehmi Tosun blieb in Haft wegen angeblicher Hilfe für die PKK.
Am 19.10.1995 wurde er erneut mit einem Bekannten in Istanbul, im Stadtteil Aksaray festgenommen. Abends um 19 Uhr sah seine Tochter beim Verlassen ihres Arbeitsplatzes, ihren Vater in einem weißen Wagen vor ihrem Haus. Als seine Frau dies hörte, rannte sie zum Fenster und hörte Fehmi schreien: „Sie versuchen, mich verschwinden zu lassen.“ Der große Sohn hängte sich an seinen Vater. Die Zivilpolizisten sagten zu ihm: „Wenn du auch mitkommen willst, nehmen wir dich mit.“ Als die Familie versuchte, herauszufinden wo er ist, wurde ihnen nur mitgeteilt: „So einen haben wir nicht in Haft genommen.„
Die Ehefrau von Fehmi Tosun nimmt jeden Samstag an den Mahnwachen teil und kämpft für das Wiederfinden von Fehmi und den anderen Verschwundenen. Ein Bruder von Fehmi ist im kurdischen Befreiungskampf gefallen. Das Dorf, in dem der Vater wohnt, wird ständig von Sicherheitskräften angegriffen. Bis heute ist Fehmi Tosun verschwunden.

Ferhat Tepe
Ferhat Tepe wurde im Mai 1974 in Bitlis geboren. Er arbeitete seit April 1993 als Korrespondent für die Tageszeitung Özgür Gündem in Bitlis. Er wurde am 28. Juli 1993 von der Kontraguerilla im Stadtzentrum von Bitlis verschleppt. Es gibt Augenzeugen, die gesehen haben, wie Ferhat Tepe in ein Auto gezerrt wurde. Ferhat Tepe hatte schon vorher aufgrund seiner Arbeit bei Özgür Gündem Drohanrufe bekommen. Einen Tag nach der Entführung rief eine Person im Namen der „Türkischen Rachebrigaden“ an und sagte dem Vater von Ferhat Tepe, dem DEP-Vorsitzenden von Bitlis: „Wir werden euch zeigen, was der Verlust eines Kindes bedeutet. Die PKK ermordet türkische Kinder. Beschwert euch nicht beim Staat. Wir verlangen, daß ihr das Parteibüro der DEP in Bitlis schließt, und eine Milliarde Türkische Lira Lösegeld zahlt!“ Mit Aktionen wie z.B. einem Hungerstreik und vielen Gesprächen wurde versucht, Ferhat Tepe freizubekommen.
Am 3.8.1993 wurde der Vater von Ferhat Tepe noch einmal angerufen, er solle das Geld an einen bestimmten Ort bringen. Der Vater fuhr dorthin, aber nichts passierte. Am 6.8.1993 rief eine Person im Namen der „Türkischen Rachebrigaden“ im Büro von Özgür Gündem in Ankara an und sagte: „Heute wurde Ferhat Tepe in der Nähe von Genc in Bingöl hingerichtet.“ Am 8.8.1993 wurde der Vater von Ferhat Tepe, Ishak Tepe, zum dritten Mal angerufen: „Die Leiche deines Sohnes liegt im Leichenhaus von Elazig, er ist im See ertrunken.“ Als der Vater seinen Sohn identifizierte, stellte er Schlagspuren am ganzen Körper und am Hals fest. Es gibt Zeugen, die Ferhat Tepe in der Kommandantur der Provinzgendarmerie in Diyarbakir gesehen haben.Es ist eines der Folterzentren des Gendarmerie-Sicherheitsdienstes (JITEM). Andere Gefangene bestätigen, daß Ferhat Tepe bis zum 2. oder 3.8.1993 dort gewesen ist.

Hüseyin Toraman
Hüseyin Toraman studierte an der Marmara-Universität Erziehungswissenschaften zu einer Zeit, als die Studenten und Jugendlichen massiv eingeschüchtert, entpolitisiert und verängstigt waren. Am 27.4.1991 wurde die Wohnung von Hüseyin in Kartal-Maltepe von der Polizei gestürmt. Er war nicht zu Hause. Die Polizei legte daraufhin in der Wohnung einen Hinterhalt. Eine andere Polizeieinheit wollte ebenfalls Hüseyin zu Hause festnehmen. Sie vermuteten ihn und seine Freunde in der Wohnung und stürmten diese. Es kam zwischen den beiden Polizeieinheiten, die voneinander nichts wußten, zu einem Feuergefecht, bei dem ein Polizist getötet und zwei weitere verletzt wurden. Die Polizisten schworen Rache und hinterließen einen Brief in der Wohnung: „Hier wurde ein Freund zum Märtyrer. Wir werden Rache nehmen.“ Am 27.10.1991 verließ Hüseyin morgens seine neue Wohnung in Kocamustafa Pasa zum Einkaufen. Seine Frau Gülay Toraman beobachtete aus dem Fenster, wie Hüseyin von mehreren Männern in ein weißes Auto gezerrt wurde und er sich dagegen wehrte. Die Familie hat die Entführung national sowie international in die Öffentlichkeit gebracht. Aufgrund des damit erzeugten Drucks mußten die staatlichen Institutionen Stellung nehmen. Aber die Antworten hatten den üblichen Wortlaut: „Die Polizei hat ihn nicht.“ Der damalige Sicherheitsdirektor Mehmet Agar (später Innenminister unter Tansu Ciller, mußte nach dem „Susurluk-Skandal“ zurücktreten) gab in einem Telefongespräch mit dem Abgeordneten Mustafa Kul zunächst zu, Hüseyin sei bei ihnen, was er später aber wieder leugnete.
Ein Jahr nach der Entführung von Hüseyin Toraman berichtete Firat Dincer der Zeitung Özgür Gündem, daß er ihn in Gayretepe in einer Folterkammer gesehen habe: „Sie brachten mich nach Gayretepe. Hier hörte ich laute Schreie (...) Als sie mich zu einer Zelle gebracht hatten, öffneten sie diese und zeigten mir einen, der auf dem Boden lag. Er war nackt. Sein Körper hatte überall blaue Flecken. Er bewegte sich überhaupt nicht. Sie haben ihn nie aus der Zelle rausgenommen. Er trank kein Wasser und ging auch nicht zur Toilette. Ich habe zu den Beamten gesagt, bringt ihn zu einem Arzt. (...) Sie haben nur Schimpfworte von sich gegeben. „Warum sollen wir ihn zu einem Arzt bringen? Der ist sowieso tot.“ Hüseyin Toraman wurde unter massiver Folter ermordet. Seine Leiche wurde nie gefunden.