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INFORMATIONSMAPPE ZU DEN NEWROZFEIERLICHKEITEN 1998
   
 

Newroz 

Ein kurdischer Nationalfeiertag und Tage des Widerstandes 

"Der neue Tag", kurdisch Newroz, basiert auf einer Legende aus dem Jahre 612 v. Chr.. Damals tötete der sagenhafte Schmied Kawa den Tyrannen Dehak. Nach der Befreiung von der jahrelangen Tyrannei wurden auf den Bergen Feuer als Signal des Sieges gezündet. Im Gedenken an die Erlangung der Freiheit entzünden seitdem Kurdinnen und Kurden am 21. März die traditionellen Newrozfeuer. Durch die jahrhundertelange Unterdrückung entwickelte sich das Newrozfest zu einem bedeutenden kurdischen Nationalfeiertag. 

Seit 1990 wurde das Newrozfest durch die Widerstandsaktionen des kurdischen Volkes mit neuem Leben erfüllt. Seitdem ist Newroz für die kurdische Bevölkerung nicht nur ein Tag geschichtlicher Erinnerung, sondern vor allem Ausdruck des wachsenden Widerstands gegen den türkischen Staat. Zu diesen Widerstandsformen gehören Streiks der Händler und Taxifahrer, Demonstrationen und Kundgebungen. Dieses neu erwachte kurdische Selbstbewußtsein versucht der türkische Staat, besonders am Newroztag, mit massiven Armee- und Polizeieinsätzen zu unterdrücken. So wurden am 21. März 1992 die Newrozfeiern mit Waffeneinsatz aufgelöst und mehrtägige Ausgangssperren verhängt. 100 Tote und schätzungsweise 300 Verletzte waren zu zählen. 

Newrozfeste wurden bis 1996 durch die türkische Regierung mit Gewalt verhindert. Dabei kamen viele Menschen ums Leben, viele wurden verletzt und Tausende verhaftet. Um diesem kurdischen Feiertag seine Bedeutung zu nehmen und die andauernden Menschenrechtsverletzungen gegenüber den europäischen Staaten zu vertuschen, erklärte die türkische Regierung den von ihr "Nevruz-Fest" genannten Tag zu einem Frühlingsfest der Türken. Sie ließ "Nevruz" in den Metropolen der Türkei offiziell feiern. In den kurdischen Regionen jedoch war der Newroztag weiterhin von der Gewalt der türkischen Gewehrläufe geprägt. Trotz der offiziell initiierten Nevruzfeiern und Verbote nichtstaatlicher Newrozveranstaltunngen feierte das kurdische Volk im Jahre 1997 in verschiedenen kurdisschen Städten gemäß der geschichtlichen, gesellschaftlichen und mythologischen Tradition zu Tausenden auf den Straßen sein Neujahrsfest Newroz. 

Newroz 1998 

Die Entschlossenheit des kurdischen Volkes führte dazu,daß am 21. März -Newroz-Tag Millionen von Menschen die auf den Straßen mit Freude gefeiert haben. In Diyarbakir, Van und in den Großstädten Kurdistans, Kurden überall auf der Welt haben das Newroz-Fest gefeiert. In den türkischen Metropolen fand zum ersten Mal das Newroz-Fest mit der Teilnahme einer so großen Menschenmenge statt. 

Die Feierlichkeiten fanden von Europa bis Japan statt. Ursprünglich planten der Ministerpräsident, Mesut Yilmaz im Siirt und sein Stellvertretender, Bülent Ecevit im Diyarbakir an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Doch die Entschlossenheit des kurdischen Volkes und die großartigen Feierlichkeiten brachte die Minister dazu auf, daß sie ihre Reise abbrechen mußten. 

Die türkische Armee führte an diesem Tag Angriffe durch, wobei hunderte von Patrioten Verletzungen erlitten haben. Sogar die Delegationen aus Europa sind nicht verschont geblieben. Der italienische Journalist Dino Fisullo sitzt immer noch in Diyarbakir im Gefängnis. Um gegen die Angriffe und Unterdrückungen zu protestieren verbrannten sich die ARGK-Gefangenen, Sema Yücel und Fikri Baygeldi im Canakkale-Gefängnis. Fikri Baygeldi ist am 20. März 1998 gefallen und Sema Yücel ist immer noch in Lebensgefahr. Newroz-Feierlichkeiten 1998 ist gleichzeitig Andenken an Massaker in Halapcha. 


21. März 1998 in Kurdistan und in der Türkei 

Diyarbakir: Die Einwohner von Diyarbakir sind in den frühen Morgenstunden, trotz eines massiven Polizeiaufgebots im Stadtteil Batikent zusammengeströmt. An der Kundgebung nahmen annähernd 80.000 Menschen teil. Feuer wurden entzündet und zudem ließ man Tauben und Luftballons fliegen. In traditionellen Kleidern haben die Menschen in Batikent tanzend das Newrozfest gefeiert. Der Vorsitzende des IHD, Akin Birdal, hat in seiner Rede erklärt: "Tausende Menschen sind heute hier für den Frieden zusammengekommen. Sie feiern friedlich ihr Fest. Der türkische Staat muß hierfür ein Ohr haben." Zu dem Fest in Diyarbakir waren 140 Besucher aus verschiedenen europäischen Staaten angereist. 

Gegen 11.30 Uhr Ortszeit begannen die Sicherheitskräfte an drei verschieden Punkten die eintreffenden Menschen daran zu hindern, sich der versammelten Menge anzuschließen. Trotz massiver Behinderungsversuche seitens der Polizei und Sicherheitskräfte haben die Menschen bis 14.00 Uhr Newroz gefeiert. 

Im folgenden geben wir ein Telefongespräch mit dem deutschen Arzt Knut Rauchfuss über die Ereignisse in Diyarbakir wieder: 

"Gegen Ende des Festes haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer Demonstration formiert. Sie sind zunächst von der Polizei gestoppt worden und haben den Platz dann in der anderen Richtung verlassen. Die Demonstration wurden nun von Polizeieinheiten aufgeteilt, die Leute eingekesselt und schließlich in kleinen Gruppen verhaftet. Gleichzeitig wurde der Demonstrationszug von hinten durch ein großes Polizeiaufgebot angegriffen. Motorradkommandos fuhren in die Menge hinein, wobei auch Menschen überfahren wurden. Eine Frau habe ich persönlich untersucht, sie war nicht bei Bewußtsein. Sie mußte ins Krankenhaus transportiert werden. Mir kamen zahlreiche Verletzte entgegen. Im Demonstrationszug waren noch Ulla Jelpke (MdB) und ihre Mitarbeiterin Gülten Sahin. Auch sie wurden massiv verprügelt und mußten durch ein Spalier laufen, wobei Sicherheitskräfte ständig auf sie einschlugen. Sehr viele Demonstranten sind verhaftet wurden. Die Demonstranten wurden busseweise abtransportiert. Das haben wir noch gesehen." 

Infolge dieses Angriffes wurden zwanzig Menschen verletzt und über 200 Personen festgenommen. 

Die Menschen haben außerhalb von Batikent ebenfalls auf den Straßen Newroz gefeiert. So kamen mehrere hundert Menschen in den Stadtteilen Seyrantepe, Bes Nisan, Hancepek, Alipasa, Alipar, Kosuyolu, Benüsen, Mardin Kapi, Kantar und Iskanevleri zusammen. Sie zündeten Newrozfeuer an und tanzten auf den Straßen. Annähernd 400 Menschen kamen vor dem Parteigebäude der Demokratischen Friedenspartei zusammen. Die Teilnehmer waren aufgrund des Eingreifens der Sicherheitskräfte gezwungen, in den Räumlichkeiten der Partei weiterzufeiern. 

Lice: Am Vorabend des 21. März 1998 wurden in nahezu allen Stadtteilen Neworzfeuer angezündet. Hunderte von Menschen tanzten um die Feuer. Am Newroztag wurden erneut Feuer entzündet. Die Menschen nahmen in traditioneller Kleidung an den jeweiligen Festen teil. 

Die Sicherheitskräfte nahmen in Bismil während eines Überfalles auf die Parteiräumlichkeiten des HADEP-Kreisverbandes mehrere Parteimitglieder fest. Die Festgenommenen wurden gegen Morgen wieder freigelassen. Trotz der Polizeiüberfälle kamen über 1000 Menschen in Akpinar zusammen, um das Newrozfest zu feiern. 

Batman: Die Newrozfeierlichkeiten, die schon zwei Tage vor dem 21. März begonnen hatten, erreichten ihren Höhepunkt am Vorabend des Newroztages. Zu später Stunde kamen in Karsiyaka, Petrolkent, 19. Mayis, Safak, Yavuzselim Mahellesi, Yesiltepe, Kismet, Meydan, 206 Evler, Kültür Mahallesi, Pazaryeri, Bahcelievler, Iluh, GAP, Ziya Gökalp, Ipragaz, Gri Savari Tepesi und Koriki und anderen Stadtteilen zahlreiche Menschen zusammen. Sie zündeten Newrozfeuer an. Die versammelten Menschen sangen kurdische Lieder und tanzten kurdische Tänze. Am Newroztag versammelten sich die Menschen erneut zu Newrozfeierlichkeiten auf den Straßen. Über 30.000 Menschen kamen im Stadtteil Karsikaya zusammen und feierten bis in die späten Abendstunden in ihrer traditionellen Kleidung Newroz. Bei der Auflösung der Feierlichkeiten wurden mehrere Menschen festgenommen. Im Stadtteil Baglar kamen 6.000 Menschen zusammen, im Stadtteil Isparta waren es 10.000 Menschen. 

Van: Ab 8.00 Uhr morgens strömten die Menschen vor dem Parteigebäude in Van zusammen. Trotz Behinderungen entfachte die Menge neben dem Hotel Asur das Newrozfeuer. In kurzer Zeit wuchs die Zahl der Teilnehmer auf rund 30.000 Menschen an. Als die Masse in Richtung Rathaus aufbrach, wurden sie von Sicherheitskräften angegriffen. Infolge dieser Angriffe wurden Isa Aslan, A. Rahman Kaya, Salih Acar und weitere acht Personen verletzt. Die Verletzten wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Nachdem die Großdemonstration gegen 13.00 aufgelöst worden war, wurden in verschiedenen anderen Stadtteilen Newrozfeuer angezündet. In Van wurden am Newroztag über 100 Menschen festgenommen. 

Urfa: Das Newrozfest wurde von der Jugendkommission der HADEP organisiert und fand auf dem Halepli-Bahce-Platz statt. Am Morgen des 21. März 1998 wurden sieben Kommissionsmitglieder festgenommen, als sie sich zum Platz begeben wollten. Trotz Behinderungsversuchen versammelten sich ab 11.00 Uhr über 10.000 Menschen auf dem Platz. Der Vorsitzende des Kreisverbandes der HADEP, Celalettin Erkmen, hielt eine Rede: "Wir feiern Newroz gemäß seiner Bedeutung. Somit geben wir denjenigen, die versuchen, Newroz seines Sinnes zu entleeren, die angemessene Antwort." Nachdem Grußbotschaften des verhafteten HADEP-Vorsitzenden Murat Bozlak und der inhaftierten DEP-Abgeordneten verlesen worden sind, löste sich das Fest friedlich auf. 

In der nahegelegenen Kreisstadt Halfeti kamen annähernd 4.000 Menschen zusammen. In Aligör bei Suruc versammelten sich über 2.000 Menschen zum Newrozfest. In Birecik waren es ca. 500 Menschen, die sich vor dem Parteigebäude der HADEP versammelt hatten. 

Mardin: In Mardin wurde Newroz in den Stadtteilen Yalim Beldesi, Istasyon Caddesi und Saracoglu Mahellesi gefeiert. In Istasyon Caddesi und Yalim Beldesi kamen jeweils 500 Menschen zusammen, in Saracoglu waren es 3.000 Personen. Der Vorsitzende der örtlichen IHD-Sektion von Mardin hielt eine Rede auf der Kundgebung in Saracoglu. 

In Kiziltepe fand trotz zahlreicher Verhaftungen am Vorabend des 21. März ein sehr fröhliches Newrozfest statt. An der Kundgebung in Ipek nahmen 3.000 Menschen teil und weitere 4.000 Menschen haben in verschiedenen Stadtteilen das Newrozfest gefeiert. In beiden Fällen gingen die Sicherheitskräfte mit Panzern gegen die Feiern vor. Viele Teilnehmer, darunter auch das Vorstandsmitglied des Kreisverbandes der HADEP, Cemal Veske, wurden bei den Angriffe verletzt. Annähernd zehn Personen wurden festgenommen. Die Menge löste sich aufgrund der polizeilichen Angriffe auf und kam später jedoch erneut zusammen. Auch hier wurde das Newrozfeuer entfacht, um das die Menschen tanzten. 

In Nusaybin wurden bereits am 20. März in allen Stadtteilen Newrozfeuer entzündet. Tausende Menschen gingen auf die Straße und riefen Friedensparolen. 

Newrozfeuer in den Gemeinden von Derik und Dargecit wurden von den Sicherheitskräften gelöscht. Die Polizei erklärte gegenüber der Bevölkerung: "Weder wir werden Newroz feiern, noch werden wir zulassen, daß ihr es feiert." 

Igdir: Ca. 9.000 Menschen kamen vor dem Parteigebäude der HADEP zusammen. Acht Menschen wurden nach Beendigung der Kundgebung festgenommen. Außer Melahat Cakmaz wurden alle wieder freigelassen. 

Bitlis: An den Feierlichkeiten vor dem Büro des HADEP-Kreisverbandes nahmen Hunderte Menschen teil. Unmittelbar nach Beginn der Feierlichkeiten stürmten türkische Sicherheitskräfte das Parteigebäude. Diese führten Ausweiskontrollen durch und beschlagnahmten die Newrozplakate sowie einen Kalender des Mesopotamischen Kulturvereins. Die Newrozfeierlichkeiten wurden dennoch fortgeführt. 

Sirnak: Auf den Straßen von Idil feierten Hunderte Menschen Newroz, indem sie Feuer anzündeten und Halay tanzten. Die Sicherheitskräfte löschten das Feuer und lösten die Feierlichkeiten auf. Auch in Cizre wurde das Feiern des Newrozfestes verhindert. Die türkischen Stellen hatten alle Feierlichkeiten verboten. Nur ein vom türkischen Staat im Stadion von Cizre inszeniertes Fest durfte stattfinden. Die Menschen protestierten jedoch gegen diese Veranstaltung. 

Mus: Trotz eines Verbotes kamen in Malazgirt Hunderte von Menschen zusammen. Unter dem Einsatz von Panzern trieben türkische Sicherheitskräfte die Bevölkerung auseinander. 

Elazig: In Elazig nahmen über 2.500 Menschen an den Newrozfeierlichkeiten teil. Es kam zu keinen Auseinandersetzungen. 

Malatya: In Malatya war von dem HADEP- Kreisverband ein Newrozveranstaltung im Seker-Stadion organisiert worden. An dieser Veranstaltung nahmen über 3.000 Menschen teil. 

Bingöl: An einer Feier, die in einer großen Passage stattfand, nahmen 1.000 Menschen teil. Die Polizei ließ die Menschen nicht auf die Straße gehen. Auch hier wurden Newrozfeuer entzündet. 

Adiyaman: Trotz regnerischen Wetters nahmen annähernd 3.000 Menschen an den Newroz-Feierlichkeiten teil. Die Kundgebung war von der HADEP organisiert worden. Zwanzig Fahrzeuge, die aus Kahta zu dem Fest angereist waren, wurden von der Polizei gestoppt und zurückgeschickt. 

Dersim: Newroz wurde in den Räumlichkeiten der HADEP gefeiert. An dieser Feier nahmen ca. 400 Menschen teil. Obwohl das Parteigebäude von der Polizei eingekesselt war, wurde das Fest mit Tänzen, Musikbeiträgen usw. fortgeführt. 

Kars: Ca. 1.000 Menschen kamen vor dem Parteigebäude der HADEP zusammen. Als die Menschen ein Feuer machen wollten, griff die Polizei ein und nahm fünfzehn Personen fest. 

Maras: An den Feierlichkeiten, die von der HADEP organisiert wurden, nahmen etwa 2000 Menschen teil. 

Sivas: 500 Menschen kamen in Alibaba zusammen. Zu kurdischen Liedern tanzten die Menschen traditionelle Tänze. Während der Feierlichkeiten riegelte die Polizei den Platz ab. 

Newrozfeiern in den türkischen Metropolen 

Der türkische Staat versuchte in den türkischen Metropolen, ebenso wie in Kurdistan, Newroz durch staatliche "Nevruzfeiern" zu vereinnahmen und das Fest seines Sinnes zu entleeren. Dagegen wurde seitens der Bevölkerung protestiert. Alternative Feste wurden auf den Straßen gefeiert. 

Istanbul: Newroz wurde in Istanbul mit einem gemeinsamen Programm der Parteien HADEP, ÖDP, SIP und EMEP im Stadtteil Zeytinburunu Kazlicesme gefeiert. Spezialeinheiten hatten den Platz weitgehend abgeriegelt und an zehn unterschiedlichen Punkten Polizeikontrollen durchgeführt. Außer der Polizei wurde auch die Bereitstellung von Militär beobachtet. Mitglieder und Sympathisanten der HADEP sowie der anderen in Istanbul organisierten Gruppierungen begaben sich durch die zehn Kontrollpunkte der Polizei auf den Versammlungsplatz, wo sie ein Newroz Feuer entzündeten. In kurdischer und türkischer Sprache wurden Lieder gesungen. Dazu wurde getanzt und Parolen gerufen. Die Zahl der Teilnehmer erreichte in später Stunde die Zahl von ca. 25.000 Menschen; es kam zu keinerlei Angriffen seitens der Polizei. Auch in vier weiteren von militärischen Panzern umstellten Gegenden wurden Feuer angezündet. Die Menschen tanzten um diese herum und Frauen, Kinder, ältere Menschen und Jugendliche sprangen über das Feuer und riefen Parolen wie: "Es lebe Newroz!", "Es lebe die PKK!", "Es lebe Apo!", "Es lebe die Brüderlichkeit der Völker!" und "Guerilla schlage zu! Befreie Kurdistan!" Der Platz füllte sich mit den Farben Rot, Grün und Gelb. Plakate mit der Aufschrift: "Ich bin auch PKK", "Es lebe die PKK, die ARGK" und "Es lebe die Brüderlichkeit der Völker", waren zu sehen ebenso wie die Fahne der ERNK. 

Auf der Veranstaltung traten als Redner der Kreisverbandsvorsitzende der HADEP in Istanbul, Mahmut Sakar, der Kreisverbandsvorsitzende der ÖDP, Mehmet Atay, sowie das Vorstandsmitglied der sozialistischen Arbeiterpartei, Fatih Akkaya, auf. Sakar machte in seiner Rede darauf aufmerksam, daß die türkische Regierung auch heute die Identität des kurdischen Volkes, seine Sprache und seine Feste verleugne. Sie versuche zudem das Newrozfest als "Nevruz" zu vereinnahmen. Dabei stehe Newroz doch für Feuer und Freiheit. 

Die Grußbotschaft des HADEP-Vorsitzenden Murat Bozlak wurde mit viel Beifall verlesen. Dabei wurden Parolen gerufen wie: "Die Mitglieder der Banden sind frei, und die HADEP-Mitglieder sind eingesperrt." 

Der Istanbuler Polizeipräsident Hasan Özdemir kam am frühen Morgen in seinem Büro in Zeytinburnu mit seinen Stellvertretern zu einer Sitzung zusammen. Er veranlaßte, daß an den Kontrollpunkten keine Frauen mit kleinen Kindern durchgelassen wurden. Zudem wurden viele Personen verhaftet. 

Die Newrozfeier in den Räumlichkeiten der Gewerkschaft Egitim-Sen, Istanbul Abteilung, Vierte Sektion-Kultur-Kommission, wurde mit großer Freude gefeiert. 

25.000 Menschen riefen: "Biji Newroz" 

Izmir: 25.000 Menschen beteiligten sich an der friedlichen Newrozfeier, die von politischen Parteien und demokratischen Massenorganisationen organisiert war. Auch hier wurden verschiedene Parolen gerufen: "Es lebe Newroz", "Es lebe Apo", "Die PKK ist das Volk und das Volk ist hier." Trotz regnerischen Wetters wurden Poster von Mazlum Dogan, Murat Bozlak, Vedat Aydin, Muhsin Melik, Leyla Zana, Mirza Mehmet Cimen, Ronahi und Berivan, Rahsan Demirel und von Zekiye Alkan getragen. Frauen und Kinder in Nationaltracht befanden sich in der ersten Reihe. Die versammelte Menge rief: "Es lebe die Brüderlichkeit der Völker", "Zahn um Zahn und Blut um Blut sind wir mit dir, Öcalan" und "Es lebe die PKK, ARGK, ERNK". Die Veranstaltung begann mit einer Gedenkminute für die Gefallenen. Anschließend wurden Fackeln angezündet. Mit der Begleitung von Musik wurden traditionelle Rundtänze getanzt. Fahnen der PKK, ERNK und ARGK wurden gezeigt ebenso wie ein Poster von Abdullah Öcalan. Grußbotschaften der DEP und HADEP wurden verlesen. Nach dem Auftritt der Folkloregruppe 'Koma Kendal' hielt der Sekretär des Kreisverbandes von HADEP in Izmir eine Rede. Er sagte, daß Newroz ein Fest der Wiedergeburt und des Widerstandes der Kurden sei. Trotz großer Unterdrückung werde Newroz in allen Gebieten gefeiert. 

Turgutlu: In Turgutlu wurde das Fest am 20. März am Bahnhof von über 5.000 Menschen gefeiert. Hier wurde auch ein Feuer entzündet. Verschiedene Parolen wurden gerufen, Gedichte vorgelesen und Folkloretänze aufgeführt. Polizisten, die auf die Versammlung warteten, wurden von Jugendlichen mit Steinen beworfen. Daraufhin kam zu einer harmlosen Auseinandersetzung. Später hat die Polizei Ausweiskontrollen durchgeführt und Nachzügler nicht auf den Platz gelassen. 

Torbali: In Izmir-Torbali haben am Vorabend des 21. März 2.000 Menschen auf der Atatürk Mahallesi sechs Stunden lang mit Begleitung der Davul-Trommel und der Zurna-Flöte Newroz gefeiert. Auch hier wurde ein Feuer entzündet, getanzt und verschiedene Parolen gerufen. Das Newrozfest war von der HADEP organisiert. Der Bürgermeister von Torbali, Hasan Karatoklu, beteiligte sich an der Feier. 

Mugla: Vor dem HADEP -Gebäude in Mugla wurde das Fest am frühen Morgen von ca. 400 Menschen gefeiert. Die ÖDP in Mugla und das Volkshaus nahmen zudem an dem Fest teil. Kurdische Lieder wurden gesungen und Rundtänze getanzt. Auch hier wurden Grußbotschaften aus den Gefängnissen und von Murat Bozlak verlesen. Eine große Zahl Polizisten hielt sich im Hintergrund. 

Didim: In der Kreisstadt Didim, Bezirk Aydin, begann das Newrozfest um 10.00 Uhr mit einer Gedenkminute für die Märtyrer der Revolution. Trotz starken Regens nahmen auch hier 500 Menschen an der Feier teil und riefen Parolen. Während des Singens von Liedern und der Rundtänze wurde das Feuer entfacht. Polizei und Militär kesselte die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein. 

Denizli: Vor dem HADEP-Gebäude in Denizli begann das Fest um 10.00 Uhr. Rund 400 Personen hatten sich versammelt. Vertreter von ÖDP, EMEP und anderen demokratischen Massenorganisationen nahmen daran teil. Mit regionalen Musikgruppen und Rundtänzen wurde Newroz gefeiert. 

Lebhafte Newrozfeier in der Cukurova: 

Adana: Das Newrozfest in Adana wurde von der HADEP organisiert und fand vor dem Gebäude dieser Partei in Yüregir statt. In vier Marschsäulen strömten trotz starken Regens 15.000 Menschen zusammen. Die Feier wurde mit einer Gedenkminute an die Gefallenen eröffnet. Danach hielt der Sekretär des Kreisverbandes der HADEP, Arif Atalay, eine Rede. Später wurden Grußbotschaften aus den Gefängnissen und von verschiedenen Organisationen und Parteien verlesen. Anschließend trat der Sänger Xanemir, Mitglied des MKM in Istanbul, auf. Die Menschen tanzten und riefen Parolen. Wegen sehr starken Regens ging die Feier mit Parolen und Zilgit-Rufen zu Ende. Auch wurde beobachtet, daß die Polizei Verstärkung herbeigezogen hatte. In vielen Vierteln Adanas wurde das Newrozfest mit Parolen, Liedern und Tänzen gefeiert. 

Osmaniye: Auch in Osmaniye hatte die HADEP das Newrozfest in Gebieten organisiert, in denen hauptsächlich Kurden wohnen. So feierten im Bezirk der Yunus Emre Mahallesi mehr als 2.000 Menschen. Das Fest stand unter Beobachtung hunderter von Polizisten. 

Iskenderun: In Iskenderun wurde das Newrozfest von der HADEP organisiert. 5.000 Menschen feierten in Yildirimtepe. Höhepunkt dieser lebendigen Feier waren der Auftritt der Musikgruppe 'Nidal' und die Folkloretänze der Jugendkommission. 

Ceyhan: Am Newrozfest in Ceyhan nahmen über 10.000 Menschen teil. Die Feier fand schon am frühen Morgen nahe beim Sportstadion statt. Nach einer Gedenkminute für die Gefallenen hielt der Kreisvorsitzende der HADEP, Abdullah Aydemir, eine Rede: "Gegen das unechte Nevruz, das von der Regierung hervorgebracht worden ist, und gegen Dehaq macht sich der Schmied Kawa in allen Orten mit vielen Newroz-Feierlichkeiten bemerkbar." Nach der Rede wurden Feuer angezündet, um die herum getanzt wurde. Mehrere Musikgruppen und Sänger umrahmten das Programm. Auch die regionalen Vorsitzenden der Gewerkschaften und Parteien ÖDP, EMEP und KESK nahmen an den Feierlichkeiten teil. 

Antep: In Antep wurde das Newrozfest in vielen Stadtteilen trotz Gewaltanwendung der Polizei gefeiert. Auch hier wurden Feuer entzündet, Lieder gesungen, Halay getanzt und Parolen gerufen. In den Kreisstädten Sehitkamil und Sahinbey nahmen Zehntausende an den Feierlichkeiten teil. Auch hier hielt sich ein starkes Polizeiaufgebot im Hintergrund. In der Kreisstadt Nizip feierten vor dem HADEP-Gebäude ca. 1.000 Menschen. 

Mersin: In Mersin wurde das Newrozfest am Vorabend des 21. März in vielen Vierteln, in denen überwiegend Kurden wohnen, von Tausenden von Menschen gefeiert. Bis in die tiefe Nacht dauerte das Fest an. Die Teilnehmerzahl wurde auf insgesamt 20.000 Menschen geschätzt. Auch hier wurden Feuer entzündet, Parolen gerufen und Halay getanzt. Trotz starker Polizeipräsenz kam es nicht zu Auseinandersetzungen. 

Tarsus: In der Kreisstadt Tarsus organisierte die HADEP das Newroz Fest. Trotz starker Regenfälle nahmen 10.000 Menschen an der Feier teil. Die Feier wurde mit einer Gedenkminute eröffnet. Nach einer Rede des HADEP-Kreisvorsitzenden Haci Ates wurde das Feuer angezündet. Die Menschen riefen viele verschiedene Parolen. Anschließend traten Musikgruppen des MKM auf. Wegen vieler polizeilicher Vorsichtsmaßnahmen unterstützten die Vertreter der demokratischen Massenorganisationen die Newrozfeier. 

Ankara: HADEP, ÖDP, EMEP, SIP, demokratische Massenorganisationen und Studenten trafen sich um 11.00 Uhr auf der Sihhiye-Brücke in Ankara. Sie machten sich gemeinsam auf den Weg zum Tandogan-Platz, um dort das Newroz Fest zu feiern. Unterwegs trafen sie auf eine Straßensperre der Polizei. Die Polizei wollte sowohl die Kinder als auch die Träger der Plakatstangen nicht durchlassen. Bei einem Gespräch zwischen der Polizei und dem Newroz-Vorbereitungskomitee einigte man sich darauf, die Stangen zu verkürzen. Die Frauen und Kinder waren prachtvolle anzusehen mit ihren Nationaltrachten. Auf dem Platz wurde ein großes Feuer angezündet. 7.000 Menschen hatten sich versammelt. Newroz wurde mit der Parole: "Das Newrozfeuer wird die Banden verbrennen!", begrüßt. Unter großem Beifall wurden die Grußbotschaften von Murat Bozlak und der DEP-Abgeordneten verlesen. 

Der HADEP-Kreisverbandsvorsitzende Kemal Bülbül hielt in kurdischer und türkischer Sprache eine Rede. Danach traten viele Sänger und Dichter auf. Auch hier waren Parolen zu hören: "Murat Bozlak, wir sind mit dir", "HADEP ist das Volk, das Volk ist hier", "wir werden den Frieden bringen", "Kurdistan wird das Grab der Faschismus" usw. 

Eskisehir: Hier nahmen 1.000 Menschen an der Newrozfeier teil. Sie waren Aufrufen der HADEP, EMEP, ÖDP, SIP und der demokratischen Massenorganisationen gefolgt. Das Fest fand hinter dem Gebäude des Haci-Bektas-Kulturvereins statt. Begleitet von Musikgruppen des MKM wurde getanzt, das Feuer angezündet und "Es lebe Newroz" gerufen. 

Konya: Trotz starken Schneefalls wurde in den frühen Morgenstunden in der Fatih-Isiklar-Mahallesi das Newroz Feuer angezündet. Nach Ausweiskontrollen kam die Menge auf dem Platz an. Auch hier haben die Menschen Parolen gerufen, Lieder gesungen und Halay getanzt. Frauen, die sich an der Feier beteiligen wollten, mußten ihre Kopftücher bei der Polizei abgeben, weil diese rot, grün und gelb gefärbt waren. Auch einige Plakate wurden von der Polizei beschlagnahmt. Ca. 1500 Teilnehmer feierten das Newroz Fest in fröhlicher Stimmung, indem sie sangen und Halay tanzten. 

Manisa: Um 12.00 Uhr begann das Newrozfest in der Nurlupinar-Mahallesi. Es wurde von HADEP organisiert. 4.000 Menschen haben an der Feier teilgenommen. Auch hier wurde ein großes Feuer entzündet und Parolen gerufen. Die Feier endete gegen 15.30 Uhr mit kurdischen Liedern und Rundtänzen. 

Newroz-Feuer an den Universitäten: 

Newroz, das nationale Widerstandsfest Kurdistans, wurde am 20. März auch an den Universitäten der Türkei begangen. So haben ca. 1.000 Studentinnen und Studenten der Ege- und Dokuz-Eylül-Universität in Izmir haben das Newrozfest gefeiert. Auch sie haben ihre Feier mit einer Gedenkminute eröffnet und viele verschiedene Parolen gerufen. Mit Musik- und Theatergruppen vom MKM ging die Feier nach drei Stunden zu Ende. Ähnliche Feierlichkeiten fanden auch in Mersin mit 500 Studentinnen und Studenten statt. Rund 600 patriotische Studentinnen und Studenten der Cukurova-Universität in Adana begingen das Newroz Fest. 

In den Metropolen Europas: 

Die Kurden haben heute fast in allen europäischen Staaten das Newrozfest gefeiert. In Berlin, Hamburg, München, Bonn, London, Paris, Kopenhagen, Wien, Stockholm, Oslo, Bern, Den Haag, Amsterdam nahmen zehntausende Menschen an den Feierlichkeiten teil. 


Die Erläuterungen der Abkürzungen: 

HADEP: Die demokratische Partei des Volkes; 

DEP: Partei der Demokratie; 

ÖDP: Die Partei der Freiheit und Solidarität; 

EMEP:Partei der Arbeiter; 

PKK: Arbeiter Partei Kurdistan; 

ERNK: Nationale Befreiungsfront Kurdistans; 

ARGK: Volksbefreiungsarmee Kurdistans; 

IHD:Menschenrechtsverein in der Türkei; 

SIP: Die sozialistische Arbeiter Partei; 

MKM: Mesopotamische Kultur Zentrum; 

KESK: Konföderation der Werkstätigen im öffentlichen Dienst; 

EGIT-Sen: Bildungs- und Erziehungsgewerkschaft; 


Newroz in Diyarbakir 

Kurdistan lebt 

Aufstandsähnliche Zustände in Diyarbakir 

Am Morgen des 21. März zeigt das Gesicht der Stadt seine häßliche Fratze. Über Nacht sind an jeder Straßenecke Uniformierte aus dem Boden gewachsen; Militärkolonnen, Mannschaftstransporter, Wasserwerfer, Räumfahrzeuge und Schützenpanzer beherrschen das Straßenbild der wie ausgestorben daliegenden kurdischen Metropole. Der wenige Verkehr stockt an den Kontrollstellen und ein paar Geschäftsleute versuchen den Eindruck zu erwecken, als sei der 21. ein ganz normaler Märztag. 

Doch nichts ist normal an diesem Datum, an dem die kurdische Bevölkerung traditionell ihr Newrozfest begeht. Wie in jedem Jahr versucht der türkische Staat dem Fest durch Repression seinen rebellischen Charakter zu nehmen. Seit zwei Jahren flankiert die Regierung die Unterdrückung des kurdischen Festes mit einer gezielten kulturellen Vereinnahmungsstrategie. Seither wird am selben Tag eine neu entdeckte türkische Tradition, das staatlich verordnete "Nevruz"-Fest begangen und Regierungspolitiker hüpfen vor laufenden Kameras über kleine Ölfeuer. Doch die kurdische Bevölkerung zeigt sich von diesen lächerlichen Kunststückchen ebenso unbeeindruckt, wie von der omnipräsenten Propagandalüge, die PKK sei militärisch besiegt und politisch marginalisiert. 

So offenbart das Gesicht der Stadt Diyarbakir am Morgen des 21. März nicht nur die häßliche Fratze des Militärs. Aus allen Teilen der Stadt und den umliegenden Dörfern machen sich Menschen auf den Weg zum Batikent-Platz, um unweit der offiziellen, staatlichen Kundgebung ihr eigenes Newrozfest zu begehen. Die Wenigsten von ihnen erreichen ihr Ziel. Sie werden in den Sperren aufgehalten und zurückgeschickt, im schlimmeren Fall festgenommen. 

Trotz aller Schwierigkeiten versammeln sich bis zum Mittag rund 80 000 Menschen in Batikent, unter ihnen rund 130 Menschenrechtsdelegierte aus 12 europäischen Ländern. Auf dem Platz werden Feuer entzündet und die kurdischen Farben rot, gelb und grün dominieren das Bild der feiernden Menge. Immer wieder lösen sich Einzelne aus den um die Feuer tanzenden Kreisen und springen durch die hochauflodernden Flammen. In Liedern und Sprechchören lassen die Feiernden die Guerilla hochleben und beschwören den Traum von einem freien Kurdistan. 

Auf den Schultern der Menschen werden Akin Birdal, der Vorsitzende des Menschenrechtsvereines IHD, und der italienische Delegierte Dino Frisullo durch die Menge getragen. "Kurdistan lebt" steht auf einem Plakat, das Frisullo vor laufenden Polizeikameras den Feiernden entgegenhält. Wie lebendig dieses Kurdistan ist, zeigt sich an diesem Newroz auf dem Batikant-Platz aufs Neue. Und genau diese Wahrheit ist es, die die sogenannten Sicherheitskräfte an diesem Tag ein weiteres Mal zur Raserei treibt. 

Unterdessen ist die Feier eingekreist. Eine mehrreihige Phalanx aus "Robocops", Räumpanzern und Wasserwerfern hat die offene Seite des Platzes abgeriegelt. Kleinere Einheiten mit Schützenpanzern, verstärkt von mit Maschinenpistolen bewaffneten Zivilisten versperren die Seitenstraßen. Unter den Feiernden macht sich eine deutliche Unruhe breit. Immer wieder brechen Greiftrupps aus dem Polizeiring aus, verhaften und verprügeln kleinere Menschengruppen am Rand des Geländes und provozieren tumultartige Szenen. Das Fest ist zuende und die Menschen beginnen, sich zu einer Demonstration zu formieren. Hubschrauber kreisen, FestteilnehmerInnen rennen durcheinander und VertreterInnen der kurdischen Partei HADEP rufen zu Ruhe und Besonnenheit auf. 

Als für einen Moment eine der wegführenden Straßen freigegeben scheint, setzt sich der Demonstrationszug unter lauten Rufen in Bewegung. Die letzten haben gerade den Platz verlassen, als der Polizeieinsatz wie ein Gewitter über die Demonstration hereinbricht. Aus den Nebenstraßen stürzen sich die Einsatzkommandos auf den Zug und zerteilen die Menge. Der Verkehr wird freigegeben und schneidet den Fliehenden den Rückweg ab. Während die abgeschnittenen Gruppen eingekesselt, zusammengeprügelt und verhaftet werden, setzt der Hauptzug seinen Weg in Richtung Innenstadt in schnellem Lauf fort. Eine Staffel Motorradpolizei verfolgt den Zug und bricht mit hoher Geschwindigkeit von hinten in die dicht gedrängt laufende Menge. Zahlreiche DemonstrantInnen werden angefahren, die übrigen von den Knüppeln der motorisierten Einheit erfaßt. Räumpanzer und Wasserwerfer folgen. Hunderte von Kindern und Jugendlichen versuchen verzweifelt, ihnen Einhalt zu gebieten. Ein Hagel aus Pflastersteinen prasselt auf die gepanzerten Fahrzeuge nieder. 

Zahlreiche Menschen flüchten sich mit blutenden Schädeln und gebrochenen Knochen in Nebenstraßen und Geschäfte. Wo immer jemand zu Boden fällt schlagen nachfolgende Einheiten auf ihn ein. Eine Gruppe weinender Männer schreit nach einem Taxi. Sie tragen eine schwerverletzte Frau, die durch die Schläge ihr Bewußtsein verloren hat. 

Auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und ihre Mitarbeiterin Gülten Sahin werden in einer Sackgasse von der Polizei eingekesselt. Mit aller Härte prügeln die Spezialeinheiten die Eingekesselten nieder. Beide können den Kessel nur durch ein Polizeispalier verlassen. Während sie durch das Spalier gejagt werden, knüppeln die Polizeikräfte auf ihre Köpfe und Körper ein und stoßen den Frauen ihre Schlagstöcke gezielt zwischen die Beine. 

Helfende Ladenbesitzer, die Flüchtenden Zuflucht gewährt haben, werden gewaltsam gezwungen, die Türen wieder zu öffnen. Die Geflüchteten werden aus den Läden gezerrt und ebenfalls verprügelt. 

Bis zum Nachmittag werden 25 Verletzte stationär im Krankenhaus aufgenommen. Zu den mehr als 200 Verhafteten gehören auch drei Mitglieder der italienischen Delegation, unter ihnen Dino Frisullo. Während die beiden anderen nach wenigen Tagen freigelassen und mit den anderen Delegationen aus Diyarbakir abgeschoben werden, wird er weiter gefangen gehalten. Der Journalist steht am Monatsende bereits wegen seiner Verhaftung während des Friedenszuges "Musa Anter" vor Gericht. Nach dem Prozeßtermin will die Staatsanwaltschaft über seine Weiterinhaftierung neu entscheiden. Zusätzlich erwartet ihn nun eine weitere Anklage. Frisullo wird vorgeworfen, während der Demonstration die Bevölkerung zum Widerstand aufgewiegelt und ein Komplott der italienischen Rifondazione Communista (RC) gegen die türkische Regierung vorbereitet zu haben. 

Unterdessen demonstriert die Fraktion der RC im italienischen Parlament mit PKK-Fahnen gegen die Verhaftung. Ihr Vorsitzender Bertinotti hat bereits angekündigt, gegebenenfalls selbst in Diyarbakir Flugblätter zu verteilen um unter denselben Vorwürfen angeklagt zu werden. 

Die Ereignisse rund um das Newrozfest belegen deutlich die brutale Härte, mit der die türkische Regierung, Polizei und Militär auch weiterhin die kulturellen und demokratischen Rechte der kurdischen Bevölkerung zu unterdrücken versucht. Sie zeigen aber auch, daß sich der Widerstand dieser Bevölkerung weder verbieten, noch vereinnahmen, noch für besiegt erklären läßt. Sie beweisen, daß "Kurdistan lebt", wie der italienische Schriftsteller Dario Fo erklärt: "Es ist lebendig in den Feuern von Newroz, in den Gefängnissen, in der Erinnerung an die Verschwundenen und in den Narben der Gefolterten. Eingebrannt und lebendig im Widerstand in den Bergen, der im Westen als Terrorismus diffamiert wird..." 

Knut Rauchfuss 


Freiheit für Dino Frisullo 

Freiheit für Dino Frisullo und alle anderen politischen Häftlinge in türkischen Gefängnissen 

Am Samstag, dem 21. März 1998 wurde der italienische Journalist und Fraktionsmitarbeiter im italienischen Parlament, Damiano Frisullo (Rom), in Diyarbakir festgenommen. Seitdem wird er im Gefängnis von Diyarbakir gefangengehalten. 

Frisullo war mit einer Menschenrechtsdelegation anläßlich des Newroz-Festes als Beobachter in die Türkei gereist. An Newroz war die italienische Delegation Teil der 80 000 friedlich feiernden Menschen auf dem Batikent-Platz. Doch Polizei und Militär verwandelten das Fest und die nachfolgende Demonstration in eine Menschenjagd, bei der ca. 200 TeilnehmerInnen verhaftet und mehr als 25 schwer verletzt wurden. BeobachterInnen berichteten, daß Menschen mit aufgeplatzten Wunden und gebrochenen Knochen versuchten, sich in Seitenstraßen in Sicherheit zu bringen, während die Polizei auf Frauen und Kinder einschlug, die bereits verletzt auf dem Boden lagen. Auch zwei deutsche Delegationsmitglieder wurden während der Demonstration eingekesselt und zusammengeschlagen. 

Damiano Frisullo wird vorgeworfen gegen § 312 des Strafrechtes verstoßen und auf der Demonstration Kinder zum Werfen von Steinen aufgewiegelt zu haben. Diese Vorwürfe sind frei erfunden. Damiano Frisullo hat sich nach Aussagen der deutschen Delegation mit ausschließlich gewaltfreien Mitteln als internationaler Menschenrechtsbeobachter in der Demonstration aufgehalten. Rechtlich sind die Vorwürfe gegen Frisullo unhaltbar. Daß sich die Staatsanwaltschaft bis heute weigert, ihn freizulassen entbehrt jeder juristischen Handhabe und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kriminalisierung des Friedenszuges "Musa Anter" vom vergangenen Jahr. Als Teilnehmer des Friedenszuges war Damiano Frisullo auch damals verhaftet worden und steht derzeit deswegen zusätzlich unter Anklage. Alle in beiden Verfahren mit ihm Angeklagten befinden sich jedoch auf freiem Fuß. 

Wir fordern daher die Türkei mit aller Schärfe auf, Damiano Frisullo und alle weiteren politischen Gefangenen, die menschenrechtswidrig in türkischen Gefängnissen gefangengehalten werden unverzüglich freizulassen. 

Ich unterstütze den Aufruf "Freiheit für Dino Frisullo und alle anderen politischen Häftlinge in türkischen Gefängnissen": 

Name: 

Adresse: 

Funktion / Beruf: 

Unterschrift: 

Bitte zurücksenden an: Knut Rauchfuss, Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum, 

c/o Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg108, 

44894 Bochum 

oder  

an Fax Nummer: 0234-9270338 


Newroz-Rede der internationalen Delegation 

Newroz lebt 

Rede der "Internationalen Menschenrechtsdelegation 1998" Am 28.3.1998 auf dem Newrozfest in Gießen gehalten von Nurten Sahin, auf dem Newrozfest am 4.4.98 in Köln von Knut Rauchfuss 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde! 

Ich begrüße Euch im Namen der "Internationalen Menschenrechtsdelegation 1998" aus Spanien, der Schweiz und Deutschland und bedanke mich ganz herzlich für die Einladung, hier auf dem Newroz-Fest in Köln zu Euch sprechen zu dürfen. 

Die "Internationale Menschenrechtsdelegation" war in den vergangenen zwei Wochen in Kurdistan und in der Türkei, um sich vor Ort ein Bild zu machen, von den Lebensbedingungen der Menschen, von der Unterdrückung und von ihrem Widerstand gegen den staatlichen Terror. 

Die Delegation nahm teil an einer Demonstration der Studentinnen und Studenten, die vor der Universität in Istanbul gegen den 10. Jahrestag des Massakers von Halabja protestierten. Wir wurden Zeugen, wie Zivilpolizei friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten umzingelte, packte und verschleppte. 

Wir haben versucht, nach Lice, Kulp und Dersim zu gelangen, um als Vertreterinnen und Vertreter der Internationalen Solidarität Beweise zu sammeln, daß das türkische Militär seinen schmutzigen Krieg gegen das kurdische Volk fortsetzt, auch wenn Zeitungen in der Türkei und in Deutschland die Propagandalüge ihrer Regierungen verbreiten, der Krieg sei vorbei. Wir haben versucht, in die Kriegsgebiete zu gelangen, um den Menschen zu zeigen, daß sie in ihrem Kampf nicht alleine stehen. 

Trotz diplomatischen Drucks aus Deutschland verweigerte uns das türkische Außenministerium die Einreise nach Lice, Kulp und Dersim und ließ uns durch Dorfschützer und Militär nach Diyarbakir zurückschaffen. 

An Newroz war die Delegation unter den friedlich Feiernden auf dem Batikent-Platz. Sie reihte sich ein in die Demonstrantinnen und Demonstranten, flüchtete mit ihnen vor Schlagstöcken, Räumpanzern und Wasserwerfern. Zwei Delegationsmitglieder, die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und ihre Mitarbeiterin Nurten Sahin, wurden während der Demonstration eingekesselt und zusammengeschlagen. Sie konnten den Kessel nur durch ein Spalier von Polizisten verlassen, die mit Knüppeln auf ihre Köpfe und Körper einschlugen. 

Wir wurden Zeugen zahlreicher brutaler Übergriffe von Polizei und Militär. Menschen mit aufgeplatzten Wunden und gebrochenen Knochen flüchteten in Seitenstraßen, während die Polizei auf Frauen und Kinder einschlug, die bereits verletzt auf dem Boden lagen. Vor unseren Augen wurde eine Frau so schwer zusammengeschlagen, daß sie bis heute ihr Bewußtsein nicht wiedererlangt hat. 

Im Vergleich zu den beiden Vorjahren erlebten wir ein Newroz, voller brutaler Repression, aber auch das kraftvolle Fest eines Volkes, das sich seinen Widerstand niemals verbieten läßt. 

Zu den mehr als 200 Verhafteten gehörten auch drei Mitglieder der italienischen Delegation, unter ihnen unser Freund und Genosse Dino Frisullo, der noch immer im Gefängnis von Diyarbakir gefangengehalten wird. Man wirft ihm vor, das Gastrecht der Türkei verletzt und die Menschen zum Widerstand aufgewiegelt zu haben. 

Ich frage Euch: Wie kann man das Gastrecht von Mördern verletzen, deren Gäste wir nie sein wollten? Wir waren Gäste des kurdischen Volkes und als seine Gäste haben wir an den Feiern und Demonstrationen teilgenommen. 

Man wirft Dino Frisullo vor, seine Verhaftung provoziert und ein Komplott der italienischen Kommunisten gegen die türkische Regierung vorbereitet zu haben. Ich sage Euch: Dino Frisullo ist ein Freund, der fühlt was er sieht, ein Freund, der mit Herz und Verstand für die Freiheit des kurdischen Volkes kämpft.Wenn es ein Komplott gibt, 

ein Komplott gegen Unterdrückung und Völkermord, 

ein Komplott für Freiheit, Menschenrechte und Frieden, 

ein Komplott für eine menschenwürdige Zukunft, 

dann ist Dino Frisullo, 

dann sind wir alle Verschwörerinnen und Verschwörer dieses Komplotts. 

Wir fordern die Türkei mit aller Schärfe auf, ihn 

- ebenso wie alle politischen Gefangenen, 

die noch in türkischen Knästen sitzen - unverzüglich freizulassen. 

Sie haben uns im Morgengrauen aus den Hotelbetten geholt, haben uns in Busse verfrachtet, 

uns zum Flughafen geschafft und aus Diyarbakir abgeschoben. 

Ich sage Euch: 

die Mörder wünschen nicht gestört zu werden, sie wollen nicht, daß man ihnen auf ihre schmutzigen Finger schaut. 

Aber ich sage Euch auch: 

Wir werden so lange wiederkommen, bis auch der letzte von ihnen seiner gerechten Strafe nicht mehr entgeht. 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich zu bedanken, mich zu bedanken beim Volk Kurdistans, dessen Gäste wir waren, aber auch bei jenen mutigen Kurdinnen, 

die sich von Europa aus unseren Delegationen angeschlossen haben und sich in vorderster Reihe in den Protest ihres Volkes eingereiht haben. 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, 

ich sage Euch Newroz lebt. 

Sie können es weder verbieten, noch können sie es vereinnahmen. 

Newroz lebt, 

sooft sie auch mit ihren Kugeln den Himmel durchlöchern mögen. 

Newroz lebt 

und mit ihm der Widerstand des Volkes. 

Newroz lebt, 

denn die Feuer in den Herzen der Menschen 

werden sie niemals zum Erlöschen bringen. 

Biji Newroz, biji azadi, biji Kurdistan !