akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 375 / 08.02.1995

Wer gab den Mordauftrag?

Wird Spaniens "Antiterrorgruppe" zur Zerreißprobe für die Regierung Gonzáles?

Einmal mehr ist der jahrelang gegen die baskische Befreiungsbewegung ETA geführte schmutzige Krieg ins öffentliche Interesse geraten. Die Anklagen und Vorwürfe von Richter Baltazar Garzón, die Spaniens Regierung gerne als Spinnerei eines Profilierungssüchtigen abtut, sind seit langem bekannt. Neu sind nun die Verhaftungen des ehemaligen Zivilgouverneurs der baskischen Provinz Bizkaia und späteren Staatsschutzchefs Julián Sancristóbal, des Polizeichefs von Bilbao Francisco Alvarez und des Ex-Chefs der geheimdienstlichen Abteilung, Miguel Planchuelo. Richter Garzón untersucht jetzt, was die Presse bereits vor Jahren aufdeckte: "La Trama del GAL". Die Seilschaft der als "Antiterroristischen Befreiungsgruppen" (GAL) operierende internationale Söldnertruppe reichte bis weit in die Regierungskreise hinein. Auf ihr Konto lassen sich Entführungen, Bombenanschläge und Morde im französischen Teil des Baskenlandes verbuchen.

1982 war das Ende der bewegten Jahre des Übergangs von der Franco-Diktatur, die mit dessen Tod 1975 endete, zur Demokratie. Der Demokratisierungsprozeß, der am 23. Februar 1981 durch die bewaffnete Besetzung des Parlamentes und den Versuch der Machtübernahme durch Teile der Polizeitruppe Guardia Civil unter Coronel Antonio Tejero fast erstickt worden wäre, fand im Oktober 1982 in der Wahl des jungen Felipe González, Präsidentschaftskandidat der sozialistischen PSOE, mit zehn Millionen Stimmen seinen Abschluß.
Der Innenminister der neuen Regierung, José Barrionuevo, erbte einen alten Konflikt: die Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland. Fast täglich kam es zu Anschlägen der bewaffneten Befreiungsorganisation ETA im gesamten spanischen Staatsgebiet. Die Polizeispitze rekrutierte sich aus den ehemaligen Mitgliedern der frankistischen Geheimpolizei Brigada Politica Social. Das Militär war alles andere als demokratisch gesinnt. Euskadi glich einem besetzten Land. Kasernen hinter Sandsackbarrikaden, Straßenkontrollen und Razzien in den Dörfern und Städten der Nordregion gehörten ebenso zur Tagesordnung wie die Demonstrationen für den Abzug von Polizei und Militär. Im Kampf dagegen schien der Regierung jedes Mittel recht, wie der Fall Arregui zeigt: Eine Handvoll Madrider Polizisten mußte sich wegen des Todes des Etarras Joseba Arregui während des Verhöres vor Gericht verantworten. Zu offensichtlich waren die Folterspuren.

Im Ausland, insbesondere in Frankreich, bestärkte dies die Einschätzung, daß Spanien noch weit von einem demokratischen System entfernt sei. Flüchtige Basken und Baskinnen würde Asyl gewährt, so die Regierung in Paris. Das Nachbarland diene als Rückzugsgebiet und Operationsgrundlage für ETA, hielt Madrid dagegen, es ermögliche der Organisation die Eintreibung der Revolutionssteuer von spanischen Unternehmern aus dem französischen Teil des Baskenlandes.

Anstatt den Forderungen ETAs nach mehr Unabhängigkeit nachzugeben, beschloß die spanische Polizei, auf der französischen Seite der Pyrenäen selber für Ordnung zu sorgen. Nach der Entführung des als Geheimdienstagenten beschuldigten Militärs Alberto Martín Barrios durch ETA-AktivistInnen nahm die französische Polizei am 13. Oktober 1983 den Inspektor der spanischen Nationalpolizei, Jesus Alfredo Gutiérrez Arguelles, und die Mitglieder der Sondereinsatztruppe GEO, Javier López Bayeu, José María Rubo García und Sebastián Sotos García fest, als sie versuchten, den mutmaßlichen Etarra José María Larretxea Goñi zu entführen. Sie hatten Larretxea mit ETA Führer José Antonio Mugika Arregui verwechselt, den sie nach Spanien verschleppen wollten, um ihn zur Entführung von Martín Barrios zu verhören. Fransisco Alvarez, damaliger Polizeichef in Bilbao und jetzt von Richter Garzón im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die GAL verhaftet, erreichte die Freilassung der Beschuldigten. Trotz seines Ehrenwortes stellten sie sich aber nicht der französischen Justiz.

Lateinamerikanische Verhältnisse

In der gleichen Woche verschwanden die baskischen Flüchtlinge Lasa und Zabala spurlos. Die gestellte Anzeige wird bis heute von der französischen Polizei ignoriert. Auf Demonstrationen, die forderten, das Verschwinden der beiden aufzuklären, wurden die im Lande herrschenden Zustände mit der Praxis in lateinamerikanischen Diktaturen verglichen. Nur zwei Monate später kam es zu einer erneuten Entführung in Frankreich. Opfer war der Unternehmer Segundo Marey. Nach einem zehntägigen Verhör in Spanien wurde er in den französischen Pyrenäen nahe der Grenze freigelassen. Die Verantwortung für diese Aktion übernahm die bis dahin unbekannte "Antiterroristische Befreiungsgruppe" GAL. "Jede Aktion seitens der Terroristen wird beantwortet werden. Wir werden nicht ein einziges Opfer vergessen", heißt es im Bekennerschreiben. Und an die französische Regierung gerichtet: " Hiermit tun wir kund, daß wir französische Interessen in Europa angreifen werden, da Frankreichs Regierung dafür verantwortlich ist, daß die Terroristen auf ihrem Staatsgebiet unbehelligt agieren können."

Die GAL machte ihre Drohungen wahr. 40 Attentate in den folgenden drei Jahren zeugen davon. Der Gruppe werden bis zu 28 Morde zugeschrieben. Die Zahl der teils schwer Verletzten beläuft sich auf ein Vielfaches. Ziel waren immer baskische politische Flüchtlinge und deren Treffpunkte in Frankreich.

Die Rechnung ging auf, Frankreichs Regierung gab nach. 1984 kam es zu ersten Auslieferungen politisch verfolgter Basken. Belgien schloß sich noch im gleichen Jahr dieser Haltung an. 1986, ein Jahr nach dem Beitritt Spaniens zum Abkommen von Schengen, das die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich, Belgien, Holland, Deutschland und Luxemburg erheblich ausbaut, stellte die GAL ihre Aktivitäten ein.

Die Aussagen der beiden jeweils zu 108 Jahren verurteilten Ex-Polizisten José Amedo und Michel Domínguez gegenüber dem Ermittlungsrichter Baltasar Garzón bringen Erstaunliches an den Tag. Dank der Veröffentlichung der Memoiren der beiden Kronzeugen in der Tageszeitung "El Mundo" wird die Innenansicht der GAL einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Nach sechs Jahren Haft gaben Amedo und Domínguez ihre Entscheidung, die Spaniens Regierung in Aufregung versetzen sollte, bekannt: "Wir haben beschlossen zu reden, weil wir nicht als diejenigen in die Geschichte eingehen wollen, die die Korruption decken." Infolge der Aussagen gab es eine Reihe von Festnahmen. Richter Baltasar Garzón ließ den ehemaligen Zivilgouverneur der baskischen Provinz Bizkaia und späteren Staatsschutzchef, Julián Sancristóbal, den Polizeichef von Bilbao, Francisco Alvarez, und den Ex-Chef der geheimdienstlichen Abteilung, Miguel Planchuelo, in der Woche vor Weihnachten verhaften. Einen Monat später folgte ihnen Juan de Justo, Privatsekretär des Amtsnachfolgers von Sancristóbal. Rafael Vera befindet sich zusammen mit Barrionuevo, dem damaligen Innenminister und heutigen PSOE Abgeordneten, Vizcaya Ricardo García Damborenea, dem einstigen Vorsitzenden der baskischen Sozialisten in der Baskenprovinz und dessen Nachfolger, Ramón Jaurregui, einst Zivilgouverneur in Bilbao, ebenfalls im Visier der Justiz. Ermittelt wird außerdem gegen die zwei Polizeibeamten Julio Hiero und Francisco Sainz Ocesa aus dem Kommissariat in Bilbao, in dem die Fäden der GAL, so die bisherigen Ermittlungen, zusammenliefen.

Das ist eine hochrangige Liste, die aus einem Haufen rachsüchtiger Einzeltäter, die "tagtäglich ihr Leben im Kampf gegen den Terrorismus riskierten", wie es die Regierung gerne darstellt, eine innerpolizeiliche Truppe mit Führungsstrukturen bis auf Regierungsebene werden läßt. Für Amedo und Domínguez ist die Sache klar: "Für das, was wir im Zusammenhang mit der GAL unternommen haben, für jeden einzelnen Schritt hatten wir Anweisungen unserer Vorgesetzten. Alle Welt weiß, daß man in der Polizei nicht auf eigene Faust handeln kann." So sehen sie sich als Opfer, hineingezogen in Parallelstrukturen der Antiterrorismusabteilung der Polizei. Bis heute haben sie geschwiegen, um "den Staat nicht zu gefährden" und damit "ETA propagandistische Vorteile" zu verschaffen.

José Amedo war seit 1975 mit der Informationsbeschaffung über ETA-Flüchtlinge befaßt. Immer wieder unternahm er Ausflüge auf die andere Seite der Grenze. Aus dieser Zeit stammt sein Kontakt mit Guy Metge, Kommissar der französischen Grenzpolizei in Hendaya, einer Kleinstadt in Iparralde. Man freundete sich an und tauschte beim Wein, am Dienstweg vorbei, Wissen aus. Beiden kam dies sehr gelegen, da es keine offizielle Zusammenarbeit der Nachbarländer gab. Amedos Chef, Miguel Planchuelo, wollte den Informanten kennenlernen. Anfang 1983 kam es daraufhin zu einem Treffen in Bilbao unter der Anwesenheit des Polizeichefs von Bilbao, Francisco Alvarez. Aus heutiger Sicht für Amedo die Geburtsstunde der GAL.

Von da an überschlugen sich die Ereignisse. Seine Vorgesetzten beauftragten ihn immer häufiger, Geld für Metge mit über die Grenze zu nehmen, "bis er mich eines Tages auf ein Fest einlud. Ich fuhr nach Bayonne, wo Metge mich abends in die Kaserne der Fremdenlegion mitnahm. Er stellte mich einer großen Anzahl von Leuten vor." Unter ihnen befand sich auch der Chef der Rekrutierungsstelle, Gerard Manzanal Pan, der vier Jahre später am 1. März 1987 in Frankreich im Zusammenhang mit der GAL verhaftet wurde. Wie in den meisten Fällen wurde das Verfahren gegen ihn mangels Beweisen eingestellt. Manzanal stellte Amedo Kommissar Jaque Castets vor, der dank seiner Arbeit bestens über die baskischen Flüchtlinge informiert war. Er beschäftigte als Klempner in seinem Haus Raymond Sanchis, der wegen der Entführung des Unternehmers Segundo Marey, der ersten GAL-Aktion in Frankreich, verurteilt wurde. In der gleichen Nacht lernte er ein weiteres Mitglied des Kommandos Marey, den Ex-Legionär spanischer Abstammung Pedro Sánchez, kennen. Bei Sánchez kam es nach dessen Festnahme nie zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren, da er in der Haft schwer krank wurde und wenige Tage nach seiner Freilassung starb. Seine Komplizen waren davon überzeugt, daß er vergiftet worden war. Sánchez hatte der Justiz vor seinem Tod 35 Fotos von baskischen politischen Flüchtlingen, darunter alle späteren GAL-Opfer, gegeben. Die Fotos stammten aus dem Polizeiarchiv in Bilbao. In seinem Notizbuch hatte er fein säuberlich die Telefonnummer von Francisco Alvarez, Polizeichef in Bilbao, notiert.

Zurück in Bilbao wurde Amedo zum Rapport berufen. "Planchuelo bestellte mich zu einer Sitzung ein, auf der auch Sancristóbal und Alvarez anwesend waren. Sancristóbal hatte einen Koffer mit einer Million Francs bei sich, den er aus Madrid mitgebracht hatte. (...) Ich sollte 500.000 Francs an Metge übergeben." Sein französischer Freund verstand das Zeichen. Er war behilflich, das Kommando für die Entführung Marey zusammenzustellen. Zu diesem Zweck reisten er und Pedro Sánchez zusammen mit anderen Söldnern zu verschiedenen Treffen mit den drei höchsten polizeilichen Autoritäten in Bilbao: Alvarez, Planchuelo und Sancristóbal. Die GAL war gegründet.

Was wie eine billige Gangsterklamotte erscheint, wollen die beiden Kronzeugen jetzt als Wahrheit beweisen. Zu diesem Zweck wurden verschiedene handschriftliche Originale von GAL-Kommandoerklärungen vorgelegt. Auf einer tauchen zwei Wörter auf, die Sancristóbal angeblich selbst unter den Augen von Amedo eingefügt hat. Die von Richter Garzón bestellten Schriftgutachter bestätigen dies. Amedos Untergebener, Michel Domínguez, arbeitete für die GAL unter anderem als Übersetzer. Als Sohn spanischer Immigranten in Frankreich beherrscht er perfekt die Sprache des Nachbarlandes. Er legte das spanische Original einer GAL-Erklärung vor, deren Übersetzung er an französische Medien übermittelte. Die Schrift stammt aus der Feder von Miguel Planchuelo, das Papier aus dem Kommissariat in Bilbao. Leugnen hilft in diesem Falle nicht, deshalb tritt der Ex-Chef der geheimdienstlichen Abteilung die Flucht nach vorne an. Dies sei seine Handschrift, was allerdings gar nichts belege, er habe nämlich die Angewohnheit gehabt, alle GAL-Erklärungen abzuschreiben, um sie seinem Archiv beizufügen. Eine Ausrede, die vor Gericht wohl kaum Bestand haben wird. Des weiteren führten die Beiden Richter Garzón in verschiedene Wohnungen in Bilbao, die der GAL als Unterschlupf gedient hatten. Auch hier streiten Sancristóbal und Kumpanen alles ab. Die Polizei habe schon immer über Wohnungen für ihre verdeckten Ermittlungen verfügt, dies beweise nichts.

Richter Baltasar Garzón ermittelte weiter und förderte Erstaunliches zu Tage. Staatsschutzchef Sancristóbal verfügt in Genf über ein Nummernkonto mit 12 Millionen DM. Die Vermutung liegt nahe, daß ein Teil dieses Guthabens aus den Reptilienfonds des Innenministeriums zur Terrorismusbekämpfung stammt. Garzón nimmt derweilen die nächst höhere Ebene ins Visier. Vor einer Woche verhaftete er Juan de Justo, Privatsekretär des ehemaligen Antiterrorismusspezialisten Rafael Vera. Er soll für Amedo und Dominguez ebenfalls in der Schweiz Konten eröffnet haben, um so ihre Aktivitäten zu entlohnen. Der Schweizer Richter Paul Perraudin hat alle fraglichen Konten gesperrt. Es ist die Frage, ob Garzón in der Lage ist zu beweisen, daß dieses Geld tatsächlich aus dem Innenministerium stammte.

Reiner Wandler, Madrid


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