Neues Vollzugsgesetz: Kein Fortschritt für kranke Gefangene

„Die Frage der kranken Gefangenen kann nicht durch vage juristische Definitionen gelöst werden“

Der Vorsitzende der HDP-Parlamentariergruppe Idris Baluken kritisierte die neue gesetzliche Regelung zu kranken Gefangenen: „Sie bringt keine Lösung. Sie ermöglicht weder eine Behandlung noch die Freilassung kranker Gefangener. Es ist unethisch und falsch so zu tun, als würde man durch ungenaue juristische Definitionen eine Lösung herbeiführen.“

Baluken betonte, dass die Freilassung kranker Gefangener sichergestellt werden müsse, um Fortschritte im Lösungsprozess zu ermöglichen.

Das Reformpaket mit dem Namen „Gesetzentwurf zur Änderung des türkischen Strafgesetzbuchs und bestimmter Gesetze“, auch bekannt als „neues Justizpaket“, wurde vom Parlament angenommen.

Das neue Gesetz enthält keine neuen Bestimmungen für kranke Gefangene, sondern wurde nur um ein neues Kriterium zu dem bereits gültigen ergänzt, das faktisch bereits als Vorwand genutzt wurde, um die Haftentlassung kranker Gefangener abzulehnen. Im alten Gesetz wurde die Freilassung kranker Gefangener davon abhängig gemacht, ob sie nach Einschätzung der Polizei oder Staatsanwaltschaft eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellen. Das neue Gesetz wird durch die Formulierung „konkrete und schwere Gefahr für die öffentlichen Sicherheit“ ergänzt.

Im Interview mit ANF sagte Idris Baluken, das neue Gesetz setze konkrete und schwerwiegende Gründe voraus, um jemanden als Gefahr für die Öffentlichkeit einstufen zu können, die vage Definition werde jedoch dazu führen, dass weiterhin Entlassungen abgelehnt werden trotz entsprechender Gutachten von gerichtsmedizinischen Instituten oder Universitätsklinken.

Baluken sagte, dass keine Notwendigkeit für einen solchen Gesetzentwurf bestanden habe. Die Ergänzung soll lediglich böswilligen Absichten der Polizei oder Staatsanwälte bei der Bewertung der Situation der Gefangenen vorbeugen.

Baluken erläuterte die Erwartungen seiner Partei folgendermaßen:

„Es sollte eine neue Regelung geben für die Behandlung und Haftentlassung der 252 schwerstkranken Gefangenen, einschließlich derer, die wahrscheinlich sterben werden.[1] Die Bewertung der Situation kranker Gefangener müsse auf den medizinischen Gutachten von Universitätsklinken oder anderen qualifizierten Krankenhäusern basieren. Kranke Gefangene, die unter schweren psychischen Erkrankungen leiden, müssen von diesen Verfahren ausgenommen werden. Zudem muss die Entlassung von Schwangeren und Frauen, die kurz vor ihrer Verhaftung entbunden haben, sichergestellt werden.“

„Die neue Regelung ergänzt lediglich den letzten Schritt (des Beurteilungsverfahrens), bei dem Polizei und Staatsanwaltschaft darüber entscheiden, ob der/die Gefangene „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellen könnte, nachdem ein gerichtsmedizinisches Institut in einem Gutachten festgestellt hat, dass der/die Gefangene „im Gefängnis nicht überleben kann“. Dieses Vorgehen war bereits eine Schande.“ (...)

Er erinnerte daran, dass die Behörden ihnen versprochen hatten, für eine Lösung der Probleme der kranken Gefangenen zu sorgen [2], und fügte bezüglich der neuen Regelung hinzu: „Es ist absolut falsch und unethisch, diese Regelung als Fortschritt für die kranken Gefangenen zu präsentieren. Wenn der Lösungsprozess weitergehen soll, müssen die todkranken Gefangenen sofort entlassen werden. Wenn die Regierung meint, dass sie dies mit den bestehenden Gesetzen umsetzen kann, sollte sie damit sofort beginnen.“

Baluken betonte, dass das Problem der kranken Gefangenen nicht nur in Verbindung mit dem Lösungsprozess stehe, sondern eine Frage der Humanität, der Moral und des Gewissens sei: „Wir werden nicht mehr von Vertrauen sprechen können, wenn die Regierung in einer so einfachen humanitären und moralischen Angelegenheit keine konkreten Maßnahmen ergreifen kann.“


[1] Anm.: Nach neuesten Berichten des Menschenrechtsvereins IHD gibt es in den Gefängnissen der Türkei 641 kranke Gefangene, 252 sind in einem lebensbedrohlichen Zustand. Die meisten von ihnen sind politische Gefangene.

[2] Anm.: Vor den Kommunalwahlen im März 2014 hatte der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç erklärt: „Nach den Wahlen werden wir Regelungen für 40-50 Gefangene treffen.“

ANF, 18.06.2014, Demokratie hinter Gittern

ISKU | Informationsstelle Kurdistan