„Lösungsprozess“: 341 neue Militärstationen und zweitausend neue Dorfschützer

Die „Kommission zur Beobachtung des Rückzugs“ war vor einem Jahr vom Menschenrechtsverein der Türkei IHD mit dem Ziel gegründet worden, den ordnungsgemäßen Rückzug der Guerillakräfte der PKK aus der Türkei zu beobachten und die Einhaltung des Waffenstillstands zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu kontrollieren. Nun hat die Kommission ihren ersten Jahresbericht vorgelegt, dessen Inhalt den gesamten Prozess infrage stellt.

Die Inhalte des Berichts wurden im Dorf Kayacık (Landkreis Lice) vom stellvertretenden IHD Vorsitzenden Serdar Çelebi, dem Vorsitzenden der IHD Zweigstelle in Amed (Diyarbakir) Raci Bilici und der Ko-Bürgermeisterin von Lice Rezan Zuğurli vorgestellt. Im besagten Dorf wurde bei einem Protest gegen den Bau neuer Militärstationen am 28.Juni 2013 der 18-jährige Medeni Yildirim durch das Militär getötet.

Laut des Berichts der Kommission wurde von der türkischen Regierung allein innerhalb des letzten Jahres die Entscheidung zum Bau von 341 neuen Militärstationen gefällt. Zudem wurden elf neue sogenannte „Sicherheitsstaudämme“ errichtet sowie „Sicherheitsstraßen“ in der Länge von 820 km, vor allem am türkisch-südkurdischen Grenzverlauf, gebaut. Zudem wurden 2000 neue Dorfschützer eingestellt.

Im selben Bericht wird festgehalten, dass die 25.köpfige Kommission bis in den September 2013 die Bewegung von Guerillakräften aus dem türkischen Staatsgebiet heraus verfolgen konnte, doch dass dieser Rückzug in Reaktion auf die fehlenden Schritte der türkischen Regierung in Richtung einer Lösung der kurdischen Frage seitdem gestoppt worden ist. Im Zuge der Neuerrichtungen von Militärstationen sei es wie in Lice auch in Städten wie Amed, Colemêrg (Hakkari), Şirnex (Şırnak) und Dersim zu Protesten der Bevölkerung gekommen, der zum Teil mit roher Gewalt durch staatliche Kräfte begegnet worden ist. Von den 341 beschlossenen Neuerrichtungen von Militärstationen befinden sich aktuell 143 im Bau.

Der stellvertretende IHD-Vorsitzende Çelebi zog aus den vorgelegten Zahlen folgendes Zwischenfazit für den Lösungsprozess: „Der Lösungsprozess, der von Herrn Öcalan vor einem Jahr initiiert und von der türkischen Regierung scheinbar aufrechterhalten wird, durchlebt derzeit eine ernstzunehmende Krise. Wir sehen vor allem, dass die AKP-Regierung nach dem Beginn des Rückzugs der Guerillakräfte nicht die Schritte getätigt hat, die ihr in diesem Prozess zufallen. Auch das mit großen Erwartungen von der türkischen Regierung verkündete ‚Demokratisierungspaket‘ war inhaltlich weit davon entfernt, einen wichtigen Beitrag zur Lösung zu leisten.“

Zum Abschluss verlautbarte Çelebi die Vorschläge der Kommission, die für die Fortführung des Prozesses notwendig sind:

  • Zunächst einmal müssen der Bau von neuen Militärstationen, Staudämmen und Sicherheitswegen gestoppt werden. Diese erregen den starken Unmut innerhalb der Bevölkerung der Region.
  • Die Anwerbung neuer Dorfschützer muss gestoppt, das gesamte Dorfschützersystem abgeschafft werden. Es muss in diesem Rahmen ein Projekt entwickelt werden, dass die Rehabilitation und Reintegration der bisherigen Dorfschützer in die Gesellschaft ermöglicht.
  • Die verminten Gebiete müssen so schnell wie möglich gesäubert werden. In diesem Rahmen müssen die hierzu auch von der Türkei unterzeichneten internationalen Abkommen umgesetzt werden.
  • Der Friedensprozess, der die demokratische Lösung der kurdischen Frage zum Ziel hat und der durch die oben geschilderten Umstände ins Stocken geraten ist, muss auf Basis von Verhandlungen fortgesetzt werden. Alle Hindernisse für eine Demokratisierung der Türkei müssen beseitigt werden.
  • Die Etappen des Prozesses müssen an gewisse verbindliche Termine gebunden und das türkische Parlament in diesen Prozess eingebunden werden. Der gesamte Prozess muss eine rechtliche Basis und die getätigten Schritte eine rechtliche Form erhalten.
  • Im Gegenzug hierzu muss die PKK den Rückzug ihrer bewaffneten Kräfte erneut aufnehmen, alle von ihr festgenommenen Zivilisten freilassen und ihrer Verantwortung im Prozess gerecht werden.
  • Damit in der Türkei ein nachhaltiger und demokratischer Frieden erreicht werden kann, muss Herr Abdullah Öcalan, als einer der Architekten dieses Prozesses, alsbald in die Freiheit entlassen werden.

ANF, 08.05.2014, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan