Öcalan: Eine hundertjährige Frage lässt sich nicht mit einem Reformpaket lösen

Gegenüber der Nachrichtenagentur Dicle (DIHA) teilte die stellvertretende BDP- Vorsitzende Pervin Buldan die Einzelheiten ihres Besuchs auf der Insel Imrali beim inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan der Öffentlichkeit mit. Demnach hat Öcalan, der auf die Notwendigkeit eines neuen Niveaus des gegenwärtigen Prozesses aufmerksam gemacht hat, den Staatsvertretern in einem Brief die notwendigen Veränderungen bei der Antiterror-Gesetzgebung sowie auf zahlreiche Veränderungen im Bereich der Sicherheit, der Wirtschaft, der Rechtsprechung und der Geschlechterfrage geschildert. Für die Ausarbeitung dieser Veränderungsvorschläge sei die Einberufung von Kommissionen notwendig. Auch eine Kommission, die den Verlauf des Prozesses verfolgt, ist laut Öcalan unabdingbar. Diese soll Initiative ergreifen, sobald der Prozess ins Stocken gerät.

Keine Gespräche mir Öcalan bezüglich des AKP “Demokratisierungspakets”

Buldan erklärte, dass das Gespräch mit Öcalan etwa zweieinhalb Stunden gedauert hat. Man habe den bisherigen Verlauf des Dialogprozesses mit dem Staat bewertet. Die Schritte, die getätigt wurden und diejenigen, die bisher ausgeblieben sind, habe man breit diskutiert.
Öcalan habe seine Perspektiven geschildert. Der PKK-Vorsitzende widersprach gegenüber der BDP-Delegation auch den Behauptungen, dass die Regierung mit ihm über das aktuelle Demokratisierungspaket, dessen Inhalt der öffentlichkeit noch nicht mitgeteilt wurde, gesprochen habe. “Herr Öcalan kritisierte die Tatsache, dass die AKP-Regierung das Demokratisierungspaket alleine, ohne die Mitwirkung des Verhandlungspartners in diesem Prozess angefertigt hat. Allerdings erklärte er auch, dass eine hundertjährige Frage sich wohl nicht mit einem einzelnen Reformpaket lösen lasse. Dennoch hoffe er, dass sich dadurch zumindest die verstopften Kanäle für eine politische Lösung öffnen werden”, so Buldan.

BDP-Delegation wird Öcalans Nachricht an Kandil weiterleiten

Buldan teilte mit, dass Öcalan zwischen dem neunten BDP-Delegationsbesuch von 17. August und dem nun zehnten Besuch am 15. September zwei Mal von einer Delegation des Staates besucht worden ist. Öcalan habe dem Staat in einem Brief seine Vorstellungen vom weiteren Verlauf des Prozesses mitgeteilt. Zugleich werde eine BDP-Delegation die Inhalte des letzten Imrali-Gesprächx an die KCK-Führung in den Kandil-Bergen weiterleiten. Daraufhin stehe ein erneuter Besuch einer BDP-Delegation auf Imrali an, bei dem die Reaktionen aus Kandil und der Staatsvertreter an Öcalan herangetragen werden sollen.

Öcalans Vorschläge

„Damit aus dem gegenwärtigen Prozess ein Verhandlungsprozess entstehen kann, hat Herr Öcalan für den weiteren Fortgang des Prozesses seine Vorschläge in drei Überschriften kategorisiert“, erklärt Buldan und fährt wie folgt fort: „Die erste Überschrift betrifft die Veränderungen hinsichtlich der Antiterror-Gesetzgebung. Hier macht Herr Öcalan deutlich, dass die Veränderungen so schnell wie möglich vorgenommen werden müssen, damit die KCK-Gefangenen entlassen werden, die Verantwortlichen im Kandil legal Politik betreiben können und notwendige weitere Veränderungen endlich eingeleitet werden können. Unter der zweiten Überschrift macht Herr Öcalan auf die Notwendigkeit zur Bildung von insgesamt acht Arbeitsgruppen und Kommissionen aufmerksam. Diese Kommissionen befassen sich mit Fragen zur Neuregelungen von Bereichen wie der Rechtsprechung, der Wirtschaft, der Sicherheit und der Geschlechterfrage. Die dritte Überschrift betrifft die Frage der Umsetzung. Hierzu soll eine Beobachtungskommission eingerichtet werden. Diese soll Initiative ergreifen, wenn der Prozess ins Stocken gerät. Beispielsweise werden gegenwärtig weiterhin neue Militärstationen errichtet. Die Aufgabe solch einer Kommission wäre es, diese Bauvorhaben vor Ort zu untersuchen, ihr Wissen schließlich der Öffentlichkeit mitzuteilen und gegebenenfalls dafür einzutreten, diese Bauvorhaben zu stoppen. Herr Öcalan hat in unserem Gespräch betont, dass die Schritte, die er unter den drei Überschriften angeführt hat, nicht zeitlich nacheinander, sondern parallel zueinander umgesetzt werden müssen. Alle Schritte stehen miteinander in Verbindung.

„Öcalan muss Gespräche mit breiteren Kreisen führen dürfen“

Pervin Buldan forderte im Gespräch mit DIHA die türkische Regierung dazu auf, auch Besuche von Mitgliedern zivilgesellschaftlicher Organisationen auf der Insel Imrali zuzulassen. „Im gegenwärtigen Prozess müssen die Bedingungen von Herrn Öcalan verändert werden. Nach der Gründung der von ihm geforderten Kommissionen, sollten auch deren Mitglieder mit Herrn Öcalan über den Prozess diskutieren können. Da Herr Öcalan der wichtigste Akteur in diesem Prozess ist, müssen breite Kreise die Möglichkeit bekommen, mit ihm zu diskutieren. Und selbstverständlich sollten auch seine Anwälte ihren Mandanten wieder auf Imrali besuchen können“, so Buldan.

DIHA, 16.09.13, ISKU


ISKU | Informationsstelle Kurdistan