Auf
der Suche nach kurdischen AgentInnen
Kurdische Jugendliche
sind in letzter Zeit verstärkt Anwerbeversuchen von Beamten des Verfassungsschutzes
ausgesetzt. Im Folgenden findet ihr eine gekürzte Zusammenfassung des
ersten Teils einer Artikelserie der Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“,
in welcher die Anquatschversuche der Verfassungsschutzes im Raum Hessen
dokumentiert werden.
Wir haben die Versuche
des Verfassungsschutzes, kurdische Jugendliche aus den Städten Frankfurt,
Darmstadt, Fulda und Hanau als Agenten anzuwerben, recherchiert und möchten
die erschreckenden Berichte der Jugendlichen mit unseren Leserinnen und
Lesern teilen. Dabei gehen die Beamten des Verfassungsschutzes oft nach
einem ähnlichen Muster vor. Sie sprechen vor allem Jugendliche an, die
trotz Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus an kurdischen Demonstrationen
teilnehmen oder sich in den kurdischen Strukturen engagieren. Diese versuchen
sie als Agenten anzuwerben. Haben die Beamten des Verfassungsschutzes
hiermit keinen Erfolg, versuchen sie die Jugendlichen davon zu überzeugen,
nicht mehr an Demos teilzunehmen und ihr Engagement zu brechen. Wenn auch
diese Versuche erfolglos bleiben, versuchen sie, die Jugendlichen durch
Festnahme einzuschüchtern oder sie sorgen dafür, dass der Aufenthaltsstatus
der Jugendlichen in Gefahr gerät. Im Folgenden berichten wir von den Erzählungen
der Jugendlichen. Aus Sicherheitsgründen haben wir die Namen der betroffenen
Jugendlichen anonymisiert.
„Wir wollen mir dir über die
Aktivitäten der Kurden diskutieren“
Um auf den Hungerstreik in den Gefängnissen der Türkei und die Totalisolation
Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen, hatten kurdische Jugendliche am
05. Oktober die Zentrale der Nachrichtenagentur Reuters in Frankfurt besetzt.
Der 19-jährige S. U. war bei der Besetzung und wollte Bilder für die kurdische
Presse von der Aktion machen. Aber die Polizeibeamten vor Ort beschlagnahmten
die Speicherkarte seiner Kamera. Als S. U. später bei der Polizei anrief,
um seine Speicherkarte wiederzubekommen, bekam er am Hörer eine unerwartete
Antwort vom Polizeibeamten: „Du brauchst nicht auf die Polizeistation
zu kommen. Wir werden deine Speicherkarte beim kurdischen Zelt vorbeibringen.“
Mit dem Zelt war das kurdische Infozelt in der Frankfurter Innenstadt
gemeint, das aus Solidarität zum Hungerstreik in den Gefängnissen aufgebaut
worden war und die hiesige Öffentlichkeit für die Aktion der politischen
Gefangenen in der Türkei sensibilisieren sollte. S. U. wartete vor dem
Zelt auf die Beamten, und als diese schließlich kamen, hatten sie noch
eine „kleine Bitte“ an ihn. „Wir wollen, dass du bezüglich einiger Aktionen
als Zeuge aussagst. Wenn du das nicht tust, wird dich die Staatsanwaltschaft
ohnehin vorladen.“
S. U. ignorierte die Bitte der Beamten und dachte, dass es sich damit
schon erledigt habe. Aber damit hatte er Unrecht. Denn als er sich einige
Tage später auf den Weg nach Darmstadt machen wollte, näherten sich im
zwei Männer, zeigten ihre Ausweise und stellten sich als Beamte des Verfassungsschutzes
vor. „Wir wollen mit dir über die Aktivitäten der Kurden diskutieren“,
sagten sie zu S. U.
S. U. war ein wenig erschreckt von der unerwarteten Begegnung mit dem
Verfassungsschutz, aber sagte, sobald er sich wieder fing, dass er mit
ihnen nicht sprechen wolle und sie kein Recht hätten, ihn so auf der Straße
zu stören. Nach dieser Reaktion waren die Stimmen der Beamten auf einmal
sanfter und einer von ihnen sagte, dass S. U. doch noch nicht einmal wisse,
worüber sie mit ihm sprechen wollten. „Hör uns doch erst einmal zu! Ihr
habt die Informationen über die Grauen Wölfe und die Kurden. Und wir wollen
von eurem Wissen profitieren.“ S. U. fühlte sich genervt von den beiden
Herrschaften und begegnete ihnen wie folgt: „Ihr sagt, dass ihr vom Verfassungsschutz
seid! Dann wisst ihr vermutlich mehr von der kurdischen Bevölkerung hier
als ich. Und wenn ihr wirklich nur Infos wollt, dann gibt es bestimmt
dutzende Vereine und Institutionen, die ihr ansprechen könntet. Da ist
es doch nur schwachsinnig, dass ihr genau zu mir kommt. Auch die Polizei
aus Frankfurt wollte mit mir sprechen. Aber ich bin nicht hingegangen.
Und gegenüber euch, werde ich mich genauso verhalten. Damit ihr es wisst!“
Die Beamten des Verfassungsschutzes starteten noch einen letzten Versuch
und wollten S. U. auf einen Kaffee einladen, „um ihn Ruhe“ mit ihm sprechen
zu können. S. U. schlug auch dieses Angebot ab und wollte noch einmal
die Ausweise der Beamten sehen und fragte nach ihren Visitenkarten. Die
Beamten zeigten nochmals ihre Ausweise, gaben aber an, leider keine Visitenkarten
bei sich zu haben. Stattdessen gaben sie S. U. einen Zettel mit, auf den
die Beamten ihre Telefonnummer niedergeschrieben hatten. Als schließlich
der Bus kam, stieg S .U. ein und die Beamten bewegten sich eilig von der
Haltestelle weg.
Wenn der Aufenthaltstitel ausläuft
…
Die 19-jährige Z. A. nahm, trotz ihrer Aufenthaltsprobleme, an Veranstaltungen
der KurdInnen in ihrer Region teil. Im Juli musste sie dann zur Ausländerbehörde,
um ihren Aufenthalt zu verlängern. Die Beamtin vor Ort erklärte ihr, dass
noch einige Papiere für die Verlängerung ihres Aufenthalts fehlen würden,
sie daher zu einem späteren Termin nochmals vorbeikommen solle. Das tat
Z. A. dann auch, doch bei ihrem nächsten Besuch erwartete sie eine Überraschung
bei der Behörde. Die Beamtin erklärte ihr, dass zwei Herren mit ihr sprechen
wollen würden und sie doch hierfür in ein benachbartes Zimmer gehen solle.
Im anderen Zimmer stellten sich die zwei Männer vor und erklärten, dass
sie von der Kriminalpolizei seien. Anschließend bombardierten sie Z. A.
mit ihren Fragen: „Wir wissen, dass du regelmäßig in den kurdischen Verein
gehst und dort aktiv bist. Letztes Jahr warst du auch auf der Demo in
Berlin und wurdest dort festgenommen, weil du einen Polizisten angegriffen
hattest. Warum nimmst du an solchen Demos teil?“
Z. A. gab an, dass sie an verschiedenen Demos teilgenommen habe, aber
in Berlin habe sie keinen Polizisten angegriffen. Die Polizisten zeigten
Z. A. daraufhin einige Bilder und sagten: „Das sind die Jugendlichen,
die sich auf der Demo in Berlin vermummt hatten. Sag uns, wer diese Jugendlichen
sind, hilf uns dabei sie ausfindig zu machen. Wenn du das machst, kannst
du dir auch ein wenig Geld damit verdienen.“ Z. A. akzeptierte das Angebot
nicht, woraufhin die Polizisten anfingen ihr zu drohen. Zum Abschluss
wurden die Beamten dann doch noch einmal nett und gaben ihr ihre Visitenkarten,
für den Fall, dass sie es sich doch noch anders überlegen würde.
Bevor sie das Zimmer wieder verließ, hatte Z. A. den Beamten lautstark
gesagt, dass sie von ihr nichts hören werden. Die Reaktion hierauf fiel
für Z. A. hart aus. Seit Juli wurde ihr Aufenthalt nicht mehr verlängert
und nun hat sie zusätzlich noch eine Anklage am Hals.
Repressionen und Schikane
Der 20-jähirge B. Y. gehört zwar nicht zu den kurdischen Jugendlichen,
denen Angebote des Verfassungsschutzes unterbreitet worden sind. Stattdessen
hat B. Y. allerdings anderweitige Bekanntschaften mit den Beamten der
BRD gemacht. Nachdem B. Y. bei einer Demonstration anlässlich des Jahrestags
des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan festgenommen worden
war, ist er mit ständiger Schikane und Repression des Polizeiapparats
konfrontiert. „Es ist mir schon passiert, dass ich auf der Straße mit
meinen Freunden einfach unterwegs war und ein Polizist auf einmal zu uns
kamen, um meine Freunde vor mir zu warnen, da ich ja ein Terrorist sei“,
berichtet B. Y.
Außerdem finden Versuche der Einschüchterng gegen ihn statt. So erzählt
B. Y. von zwei weiteren Vorfällen: „Einmal bin ich aus dem Haus gegangen,
um zu einer Demo zu gehen. Vor der Tür sind mir zwei Männer in einem Auto
aufgefallen, die mich anscheinend beobachteten. Als ich später auf der
Demo war, habe ich sie wiedergetroffen. Ein andermal, das war nach der
Jugenddemo in Frankfurt, wollten wir nach der Aktion mit ein paar Freunden
etwas Essen gehen. Dann hat die Polizei das Restaurant, in dem wir saßen,
gestürmt. Sie haben mich und die anderen Freunde in den Keller des Restaurants
gebracht, um dort unsere Ausweise zu kontrollieren. Anschließend haben
sie mich und einen weiteren Freund festgenommen. Sie haben uns zunächst
versucht einzuschüchtern und anschließend haben sie, als sei gar nichts
geschehen, einfach wieder gehen lassen. Seit zwei Jahren mache ich diese
Repressionen mit. Aber es wird ihnen nicht gelingen, mich einzuschüchtern.“
Erstes Angebot mit 15 Jahren
Die 17-jährige H. C. berichtet, dass sie ihr erstes Angebot, als Agentin
zu arbeiten, im Alter von 15 Jahren erhalten habe. „Ich hatte den Verein
neu kennengelernt und bin angefangen dort ab und an vorbeizuschauen. Als
ich an einer Aktion teilgenommen hatte, kam ein Polizist zu mir, gab mir
seine Visitenkarte und erklärte, dass er mit mir sprechen wolle. Meine
Freunde sagten mir, ich solle die Karte wegschmeißen. Ich zerriss sie
und schmiss sie dann weg“, berichtet H. C. Später wurde sie dann zu 50
Sozialstunden verurteilt, weil sie angeblich einen Polizisten bei der
Demonstration in Berlin im letzten Jahr getreten habe.
„Du bist der einzig
saubere unter deinen Geschwistern“
Auch M. S. wurde nach der genannten Demonstration in Berlin zu einer Strafe
verurteilt. Er erhielt eine Geldstrafe in Höhe von 1.200 €. Doch als die
Polizei merkte, dass er trotz der Strafe weiterhin Demonstrationen besuchte,
versuchte sie nun seine Geschwister einzuschüchtern. Bei einer Demo in
diesem Jahr, wurde dann der kleine Bruder von ihm festgenommen, weil er
verbotene Parolen gerufen haben soll. Die Polizisten erklärten dem Bruder
äußerst fürsorglich, dass er doch der einzig saubere unter seinen Geschwistern
sei und deshalb von nun an nicht mehr an den Demos teilnehmen solle. „Bei
der nächsten Demo trat dann einer der Polizisten wieder auf meinen Bruder
zu und rief ihm, vor den anderen Demonstranten, zu, dass sie doch vereinbart
hätten, dass er auf keine Demos mehr gehen würde. Mein Bruder hat ihm
dann geantwortet, dass er nichts mit ihnen vereinbart hat. So versuchen
sie, meinen Bruder und andere Jugendliche öffentlich vor den anderen Teilnehmern
der Demonstration als Agenten darzustellen“, erklärte M. S.
Quelle: Yeni Özgür
Politika, 22.12.2012, ISKU |