„Ich
erschaff mir meine Medien“
Pressegleichschaltung
statt Pressefreiheit in der Türkei
von Mako Qoçgirî
Was gibt es schöneres
für eine Regierung, als zu sehen, dass die Medien im eigenen Land nur
Positives über einen schreiben?! Gewiss würde dies die öffentliche Meinung
im Land zugunsten der Regierung beeinflussen, was wiederum einer Wiederwahl
den Weg ebnen würde. Leider ist das nicht immer so einfach für manch eine
Regierung. Denn dort, wo Demokratie herrscht, sollten die Medien die Politik
der Regierung stets kritisch unter die Lupe nehmen. Gerade deshalb muss
sich die Regierung umso mehr bemühen, sich in ihrer Politik keine Fehltritte
zu leisten, denn die MedienvertreterInnen sitzen ihnen im Nacken. Soweit
die Theorie …
In der Türkei hat sich die AKP-Regierung einen anderen Weg für den Umgang
mit den Medien ausgesucht. Kritische Medien werden einfach zum Schweigen
und Mainstreammedien auf die eigene Linie gebracht. So kann man es natürlich
auch machen. Zumindest wenn man auf Demokratie und Pressefreiheit keinen
besonderen Wert legt.
In der Türkei sitzen rund hundert JournalistInnen aktuell hinter Gittern.
Diese Zahl stellt jedes andere, offen als antidemokratisch angeprangerte,
Land in den Schatten. Der mit Abstand größte Teil dieser JournalistInnen
stammen aus den kurdischen Medien. Allein diese Tatsache legt die Verbindung
zwischen der fehlenden Pressefreiheit der Türkei und der ungelösten kurdischen
Frage in aller Deutlichkeit offen. Aber die Angriffe auf die Pressefreiheit
treffen nicht allein die kurdischen Medienvertreter. Auch die Mainstreammedien
bekommen ihren Senf ab.
Es dauerte bis ins Frühjahr 2011 als die Angriffe der AKP-Regierung auf
die Medien auch international Beachtung fanden. Damals wurden die beiden
bekannten Journalisten Ahmet Şık und Nedim Şener mit dem Vorwurf der Ergenekon-Mitgliedschaft
festgenommen. Abgesehen hatte es die AKP-Regierung auch auf das noch nicht
veröffentlichte Buch „Die Armee des Imams“ von Ahmet Şık, in welchem der
Einfluss der Gülen-Sekte auf die türkischen Sicherheitskräfte aufgedeckt
wurden. Mit diesen Festnahmen machte die Regierung ganz klar auch deutlich,
dass sie nicht nur die kurdischen und sozialistischen Journalisten im
Visier hat, sondern alles und jeden, der oder die nicht im Sinne der Regierung
„journalistische Arbeit“ betreibt.
Ein weiteres bekanntes Opfer der „Medienpolitik“ der AKP wurde kurz vor
den Wahlen 2011 die Moderatorin des türkischen Nachrichtensenders NTV
Banu Güven. Kurz vor den Wahlen ist im türkischen Fernsehen Hochsaison
für Diskussionsveranstaltungen mit allen möglichen Parteivertretern. Da
dachte sich Güven wohl auch nichts weiter dabei, als sie die kurdische
Politikerin Leyla Zana für solch eine Diskussionsveranstaltung einladen
wollte. Doch da hatte sie sich geirrt. Ihre Redaktion wurde wohl von irgendeiner
Stelle unter Druck gesetzt, und so wurde die Einladung an Leyla Zana zurückgenommen.
Zana zeigte sich nicht wirklich überrascht von dieser Entscheidung, immerhin
war sie schon ganz anderen Repressionen durch den Staat ausgesetzt. Umso
überraschter war jedoch Güven, die solch eine unverfrorene Einmischung
in ihr Sendeprogramm bisher nicht kannte. Als sie dann noch erfuhr, dass
auf Druck der AKP-Regierung die Einladung an Leyla Zana zurückgenommen
wurde, weil man Stimmeinbußen befürchte, wenn Zana öffentliche Bühne geboten
werde, quittierte Banu Güven nach einem vorgezogenen Urlaub den Dienst
bei NTV.
Die Regierung dürfte es gefreut haben, dass eine unliebsame Person wie
Banu Güven freiwillig die Segel gestrichen hat. Auch wenn sie selbst nicht
unbedingt eine unliebsame Stimme für die Regierung darstellte, so wollte
sie doch unliebsamen Stimmen ein Gehör verschaffen. Und dieses Vergehen
ist in den Augen der Regierung mindestens genauso schlimm.
Dabei hat die Regierung doch mittlerweile den JournalistInnen im Lande
Mittel und Wege zur Verfügung gestellt, wie diese ihre Arbeit ohne Probleme
und ohne große Mühen bewerkstelligen können. Sie gibt einfach regelmäßig
mündliche und schriftliche Statements zu den verschiedensten Ereignissen
im In- und Ausland ab, und die Journalisten müssen diese einfach in ihre
Artikel einarbeiten. So fällt das lästige Recherchieren und Untersuchen
für die JournalistInnen ganz von alleine weg.
Sollte sich aber dennoch ein/e JournalistIn dazu entschließen selber zu
recherchieren und dann noch abweichend von den Statements der Regierung
zu berichten, bekommt er oder sie es mit dem Ministerpräsidenten der Türkei
Recep Tayyip Erdoğan persönlich zu tun. Regelmäßig verlautbart Erdoğan,
über was die Medien berichten oder vielmehr nicht berichten sollen. Oft
sind dann der Kurdenkonflikt und die eskalierenden bewaffneten Auseinandersetzung
auf der Verbotsliste. Gerne nennt Erdoğan den einen oder die andere Journalistin
von seiner Abschussliste auch öffentlich beim Namen. So geschehen vor
kurzem auch im Fall des Journalisten Yildirim Türker. Türker hat die liberale
Tageszeitung Radikal mit aufgebaut und insgesamt 16 Jahre für sie gearbeitet.
Diesem langjährigen Journalisten wurde nun zum Verhängnis, dass er bei
der Berichterstattung über die rund drei Wochen anhaltenden Gefechten
von Şemzînan (Şemdinli) nicht blindlings die Vorgaben der Regierung eingehalten
hat, sondern sich ein differenziertes Bild über die Situation vor Ort
verschaffen wollte. Das erregte den Unmut der AKP-Regierung, und selbst
eine Tageszeitung wie Radikal konnte Türker nicht mehr halten, und man
trennte sich im Einvernehmen am 12. August. Ähnliches widerfuhr zwei Tage
zuvor auch dem Journalisten Serdar Akinan von der konservativen Tageszeitung
Akşam. Auch dessen Kolumnen passten nicht so recht in das Bild eines „guten“
Journalisten der AKP-Regierung. Es reichte aus, dass Erdoğan erklärte,
man nehme Notiz von den Artikeln Akinans, und die Zeitung Akşam setzte
diesen umgehend vor die Tür.
Zum Berichterstattungsverbot für Şemzînan schrieb der Kolumnist Cüneyit
Özdemir, ein weiterer Name im Visier Erdoğans, für die Radikal zutreffend
folgendes: „Wir sehen im Fall von Şemdinli, dass der Staat den Medien
eine große Zensur auferlegt. Früher, also in den 90er Jahren wurde diese
Zensur vom Militär auferlegt. Damit damals nicht über die PKK berichtet
werden sollte, hat das Militär die Journalisten, manchmal gar die Redaktion,
angerufen und ihre ‚Bitte‘ weitergeleitet. Nun, mittlerweile haben sich
die Zeiten geändert. Die ‚bittende‘ Stimme am anderen Ende des Hörers
ist nun eine zivile (und keine militärische) Stimme, aber das Verbot bleibt
gleich.“
Zum Schluss noch ein Veranstaltungshinweis: Der oben genannte ehemalige
Journalist der Tageszeitung Radikal Yildirim Türker ist auf der diesjährigen
Buchmesse in Frankfurt am 13. Oktober als Referent für eine Diskussionsveranstaltung
mit dem Titel „Pressefreiheit und Demokratie in der Türkei“ eingeladen.
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