Sivas-Massaker:
Verurteilung eines Verbrechens an der Menschlichkeit scheitert an Verjährung
Ankara – Das Gerichtsverfahren
gegen die ursprünglich sieben Angeklagten des Massakers von Sivas, das
am 2. Juli 1993 stattgefunden hat, wurde mit der Begründung der Verjährung
eingestellt. Zwei der Angeklagten waren im Laufe des Gerichtsverfahrens
gestorben. Gegen die übrigen fünf wurde das Verfahren gestern eingestellt.
Ministerpräsident Erdoğan begrüßte in einer kurzen Stellungnahme das Urteil
des Gerichts.
Nach Verkündung der Verjährung kam es vor dem Gerichtsgebäude in Ankara
zu Protesten. Die Polizei griff die protestierende Menge mit Wasserwerfern
und Gasgranaten an. Augenzeugen berichten, dass die Polizei auch auf die
Menge schoss. Durch die Angriffe der Polizei wurden unzählige Menschen
verletzt. Dutzende Demonstranten wurden festgenommen.
Was war 93 in Sivas
geschehen?
Im Juli 1993 hatten sich dutzende Aleviten, darunter zahlreiche KünstlerInnen,
zu einer kulturellen Veranstaltung im Madimak Hotel im Stadtzentrum von
Sivas getroffen. Islamistische Kreise hatten bereits vor der Veranstaltung
gegen die alevitische Bevölkerung der Stadt gehetzt. Am 02.Juli 1993 fand
diese Hetze ihren Höhepunkt, als in verschiedenen Moscheen der Stadt die
Vorbeter dazu aufriefen, die ungläubigen Aleviten umzubringen. Nach den
Freitagsgebeten begab sich daraufhin ein wütender Mob vor das Madimak
Hotel. Videoaufzeichnung bezeugen, dass das Militär daraufhin auch vor
dem Hotel zusammenkam, aber nicht ins Geschehen eingriff. Der Mob begrüßte
jubelnd die anrückenden Soldaten. Anschließend setze der Mob das Hotel
in Brand, wodurch insgesamt 37 Menschen durch das Feuer ums Leben kamen.
Die alevitische Bevölkerung wurde bereits im Osmanischen Reich als „ungläubige
Bevölkerungsgruppe“ bekämpft. Die Massaker an den Aleviten setzten sich
auch nach der Gründung der Republik Türkei fort. Das Massaker von Sivas
ist deshalb zu einem von vielen Sinnbildern der Pogrome gegen die alevitische
Bevölkerung in der Geschichte der Türkei geworden. Die Rolle des Staates
bei den verschiedenen Massakern reichte vom untätigen Zuschauer bis hin
zum aktiven Akteur.
Quelle: ANF, 13.03.2012,
ISKU
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