Wie
Vergewaltiger in einen Ort gelangen, in den noch nicht einmal das Essen
der Mutter Zugang findet?
Im Gefängnis finden
die Qualen kein Ende. Kind zu sein ist immer ein Nachteil. Sofern Kinder
nicht mit politisch gleichgesinnten Erwachsenen untergebracht sind, wird
ihre Stimme niemand wahrnehmen.
Dieses grausame Gefängnis
hat bei mir tiefe Spuren hinterlassen. Außer im politischen und wirtschaftlichen
Bereich schreibe ich nicht viel, aber meine größte psychische Wunde ist,
„als Kind im Gefängnis" gewesen zu sein. Wenn ich jetzt nicht darüber
schreibe, fühlt sich das so an, als würde meine Vergangenheit in einem
unendlich dunklen Brunnen ertrinken. Als ich das erste Mal erfahren habe,
was Macht – und zwar in jeder Hinsicht – bedeutet, war ich gerade 17 Jahre
alt. Ich gehöre zu den ersten Kindern, die als „Steine werfende Kinder"
bekannt geworden und verurteilt worden sind. Möge es mir keiner übel nehmen,
aber keiner hat sich an den Überschriften aus dem Jahr 1999 wie „Im Revier
wie ein Fruchtdrossel, beim Staatsanwalt taub" gestört. Die Kinder
waren unter den Erwachsenen politischen Gefangenen in Sicherheit. Was
mich von den anderen Steine werfenden Kindern unterschied ist die Tatsache,
dass ich der erste politische Gefangene war, der in ein Gefängnis des
F-Typs gekommen ist. In einem riesen Gefängnis war ich ein einzelnes Kind.
Es ist nicht meine Absicht meine Wunden zu zeigen, sofern dies meine Absicht
gewesen wäre, hätte ich das 13 Jahre lang tun können. Obwohl ich das in
den Anfängen versucht habe, aber dann habe ich begriffen, was wirkliche
Empathie ist. Anscheinend ist Empathie etwas, was sich aufbaut, wenn bei
einem Vorfall eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass ihnen etwas passieren
wird. Sind sie kein Kind, so können sie auch mit Kindern keine Empathie
aufbauen. Damit sie es gar nicht erst versuchen, sage ich ihnen das im
Vorfeld. Sie werden nicht verstehen was es bedeutet als Kind im Gefängnis
zu sein, aussichtlos zu sein oder was es bedeutet zu sehen, wie ihr Aufschrei
auf zwei Quadratmetern verstummt.
Jeder versucht sich in ihre Lage zu versetzen. Damit geht auch der Versuch
einher Empathie aufzubauen. Aber nicht wissend, dass sie sich als Kind
in einem Moment aufgrund ihrer Liebe zum Leben zwischen den vielen Todesmöglichkeiten
für einen Tod entschieden haben. Zunächst verschwindet ein Soldat nach
dem anderen vor ihrem Kopf, dann werden sie entweder splitternackt ausgezogen
und allem Übel ausgesetzt oder sie werden solange geschlagen, so dass
sie ein paar Wochen nichts sehen können. Allerdings erhalten sie kein
Attest über die Misshandlungen. Damals habe ich verstanden, dass die Ärzte
in den Gefängnissen einen Eid abgelegt haben, nachdem sie sich nicht an
den hippokratischen Eid gehalten haben.
Dann kamen die Wärter lauten Schrittes an die Tür. Die Schinderei hat
damit begonnen, dass man einen Wischmopp in die Hand gedrückt bekommen
hat. Sobald man den Mopp genommen hat, fand die Tyrannei der Despoten
kein Ende mehr. Im Gefängnis finden die Qualen kein Ende. Kind sein ist
immer ein Nachteil. Sofern Kinder nicht mit politisch gleichgesinnten
Erwachsenen untergebracht sind, wird ihre Stimme niemand hören, weil keiner
ihre Stimme, dass was sie zu sagen haben hören will, die schauen einen
so in die Augen und wollen mit ihren Blicken sagen „Erzähle mir bloß nicht
was passiert ist, sonst werde ich wegen dem Unerträglichem vor Kummer
sterben.“
Wie kann einer, der das hört, still bleiben? Wie kann einer, der ein bisschen
menschliches in sich trägt, nicht diese Wände einreißen und sie aus den
Händen der Despoten befreien? Die tiefen Wunden meiner Seele, sind eure
Sünden. Sofern ihr nicht so laut ihr könnt aufschreit, seid ihr alle Teil
der Sünde.
Die Täter der Niederträchtigkeit
sind seit langem bekannt
Diese Kinder erfassen die Situation noch nicht allumfassend, wissen sie
das? Sie erfahren wahrscheinlich vorerst die Freude darüber, nicht mehr
der Schinderei ausgesetzt zu sein. Sie sind noch nicht soweit, die Zahnstücke
aus ihrem Mund, die entstanden sind nachdem sie die ganze Nacht auf ihre
Zähne gebissen haben, vorzufinden. Aber sie, die feinen Herren, denken
von den Kindern eine wahre Antwort auf die Vorwürfe zu erhalten oder?
Entweder seid ihr Despoten bzw. tragt Mitschuld an der Despotie oder einfach
nur Dummköpfe. Was erwartet ihr von denen, wenn ihr diese Fragen stellt?
Als ich meinte, ihr könnt keine Empathie aufbauen, meinte ich genau das.
Könnt ihr euch überhaupt vorstellen, welche Folgen die seelische Schinderei
der Kinder für einen Druck auf die Gesellschaft haben werden? Welch ein
Geständnis erwartet ihr? Erwartet ihr sogar, dass die euch die ganze Wahrheit
erzählen werden? Es sind zwar Kinder, aber sie haben so viel Lebenserfahrung,
um euch wegen eurem offensichtlichen oder solchen nicht offensichtlichen
Absichten zu beurteilen. Was nach dem ganzen Rummel passieren wird, wie
das ganze aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verschwindet wird, wissen
sie zu gut. In dem die nicht heilende Wunde jedem gezeigt wird, versuchen
sie unter den mitleidenden Blicken der Umgebung mit dem Leben fortzufahren,
aber es irgendwie nicht können. Warum? Damit ihr, was ihr während der
Misshandlungen nicht wahrgenommen habt, jetzt wahrnehmt und die Vergewaltiger
verfolgt. Es ist alles unter der Staatskontrolle passiert. Wie könnt ihr
das sonst erklären, dass die Vergewaltiger in einen Ort gelangen, wohin
noch nicht einmal das Essen der Mutter zugelassen wird? Wissen sie es
nicht, dass es seit Jahrhunderten so ist, auch wenn es sich um Kinder
handelt, dass die Gedanken gegen die man nicht aufkommen kann, in dem
jeweiligen Körper eingesperrt und die Existenz dieses Lebens von den Machthabern
mit Mitteln wie Vergewaltigung und Misshandlung unsichtbar gemacht werden.
Sie wissen Bescheid über die Neugier der Gesellschaft die Wunden mit Balsam
einzureiben, diese nicht heilenden Wunden bluten durch das Streicheln
der Bekannten, und wozu die Despoten im Stande sind wissen sie auch.
Ich appelliere an ihre Menschlichkeit, berührt nicht die Wunden dieser
Kinder, erwähnt noch nicht einmal die Anfangsbuchstaben ihrer Namen, es
tut weh, versteht ihr das denn nicht? Wollt ihr nach Rechenschaft fragen,
wollt ihr diese Erbärmlichkeit ans Tageslicht bringen, die Täter sind
bekannt. In den Gefängnissen, wo nicht einmal die Vögel landen können,
weiß der Staat nicht Bescheid, was im dessen Hof passiert.
(YUNUS ŞALIŞ: Experte
für internationalen Handel. Er hat nach seinem Gefängnisaufenthalt das
Gymnasium und die Universität abgeschlossen. Seit drei Jahren arbeitet
er an seinem politisch-wirtschaftlichen Buch, welches er im Gefängnis
begonnen hatte.)
Radikal, 07.03.2012
http://www.radikal.com.tr/Radikal.aspx?aType=RadikalDetayV3&ArticleID=1080944&CategoryID=99
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