Kurdische
Bevölkerung leistet entschlossen Widerstand gegen den Krieg
Seit dem 17.08.11
bombardieren Dutzende türkische Kriegsflugzeuge und Artilleriestellungen
zivile Gebiete föderales kurdisches Gebiet. An der Grenze zu Südkurdistan/Nordirak
werden zehntausende Soldaten zusammengezogen, Spezialeinheiten abgestellt
und neue Militärstützpunkte gebaut, um den Krieg noch intensiver führen
zu können. Der türkische Ministerpräsident Erdoğan hat für September großangelegte
Operationen angekündigt und der Begriff einer „tamilischen“ Vernichtungslösung
steht in Regierungskreisen im Raum. Die türkische Regierung ist der Meinung,
die PKK militärisch Vernichten zu können und damit die kurdische Freiheitsbewegung
ebenfalls zu zerstören und die Bevölkerung zu demoralisieren. In Kurdistan
gehen täglich aber Hunderttausende auf die Straßen und Zehntausende ziehen
als „Lebende Schutzschilde“ in Richtung Kampfgebiet.
AKTION DER „LEBENDEN
SCHUTZSCHILDE“ IN SÜD- UND NORDKURDISTAN
Mit dem Beginn der Angriffe auf die kurdischen Regionen am 17.08.11 begannen
die Initiative der Friedensmütter, die aus Müttern gefallener Guerillas
aber auch Soldaten besteht, eine Aktion der „Lebenden Schutzschilde“,
mit der sie gezielt, in großen Gruppen möglichst weit in die Kriegsgebiete
vorzudringen versuchen. Die Beteiligten an dieser Aktion strömen immer
noch in Bussen in die Grenzregionen, sie kommen u.a. aus Amed (Diyarbakır),
Elih (Batman), Sêrt (Siirt), Dersim, Mêrdin (Mardin), Şırnex (Şırnak),
Agiri (Ağrı), Wan und vielen anderen kurdischen Städten.
Seit mehr als fünf Tagen befinden sich Tausende, unter ihnen Friedensmütter
in den kurdischen Bergen, in den Grenzstädten oder auf dem Weg dorthin.
Sie werden immer wieder vom Militär bedroht und behindert.
Schon zu Beginn der Aktionen wurden sie in der Region Şırnex von Soldaten
gestoppt und der Befehl wurde an die Soldaten ausgegeben, sie sollten
ihre Handgranaten fertig machen. Die Bevölkerung ließ sich daraufhin nieder
und nach einer Weile wurden die Soldaten zurückgezogen. Von ihrer Basis
aus belästigten sie die Protestierenden u.a. mit Laserzielgeräten. Die
Menge entgegnete mit Parolen wie „Die PKK ist das Volk und das Volk ist
hier!“ Jugendliche schrieben in der Nacht direkt gegenüber dem Militärstützpunkt
mit Feuer „Apo“ auf einen Berg.
Es wurden immer mehr Soldaten mit Sikorsky Hubschraubern an den Ort der
Aktion transportiert worauf die Menge Parolen wie: „Die Repression kann
uns nicht einschüchtern“ skandierte.
Schon in der Nacht konnte beobachtet werden, wie F-16 Bomber die Grenze
überflogen und in Sichtweite Bomben auf südkurdisches Gebiet abwarfen.
Der Provinzpräfekt stieß gegenüber dem BDP-Verantwortlichen massive Drohungen
aus, als er erklärte: „Morgen geht ihr weg von hier, das hier ist Militärgebiet,
wenn ihr nicht geht, kann das Militär in eigener Initiative gegen euch
vorgehen.“
Trotz der Drohungen halten sie immer noch das Armeegebiet unter weißen
Fahnen sowie KCK-Fahnen besetzt und leben dort ein Beispiel an Kollektivität
auch in der Alltagsorganisierung. Die „Lebenden Schutzschilde“ kündigten
an, in einer Aktion des zivilen Ungehorsams, die Grenze zu überwinden.
Ebenfalls in der Nähe von Qilaban (Uluder) wurde ein Konvoy von Bussen
aus Mêrdin, Amed, Elih und Sêrt gestoppt. Hunderte TeilnehmerInnen verbrachten
die Nacht in der Stadtverwaltung von Balveren, unter ihnen auch die Abgeordneten
der linken, prokurischen BDP Ayla Akat Ata und Sebahat Tuncel. Der Abend
wurde in Balveren mit Tänzen, revolutionären Liedern und Parolen für PKK,
KCK und ihren Vorsitzenden verbracht. Vermummte Jugendliche sicherten
den Ort indem sie an den Eingängen Straßenkontrollen durchführten. Die
Istanbuler BDP-Abgeordnete Sebahat Tuncel erklärte: „Die kurdische Bevölkerung
führt einen würdevollen Kampf. Es gibt keine Grausamkeit und kein Leid
was die Bevölkerung in diesem Freiheitskampf nicht erfahren hätte. Der
Ministerpräsident spricht von Lösung und Öffnung, während er mit Unterstützung
der Gülen-Stiftung die Operationen im Fastenmonat beginnt. Die Vorbereitung
dieser Operationen hat die AKP schon Monate vorher durchgeführt. Aber
wir sagen, die Regierenden sollen nicht woanders hinschauen, sie sollten
Libyen als Beispiel nehmen. Wir akzeptieren diese Operationen bei denen
ZivilistInnen und Babies massakriert werden nicht, wir sagen, der Ansprechpartner
ist Herr Öcalan.“
In den frühen Morgenstunden brachen die anwesenden „Lebenden Schutzschilde“
zu einer Demonstration in Richtung Qilaban auf. Sie wurden auf Befehl
des Gouverneurs etwa 30 km vor dem Ort gestoppt. Spezialeinheiten haben
Aufstellung genommen während immer noch angespannt am Militärstützpunkt
gewartet wird.
Am 23.08. wurde die Straße Şirnex-Cizîr-Qilaban auf Gerichtsentscheidung
hin gesperrt, um weiteren Zustrom zu den Protestcamps zu verhindern. Zunächst
hatte der Gouverneur die Straße für die Friedensgruppen gesperrt, ein
Gericht beschloss die vollkommene Schließung der Straße.
„LEBENDE SCHUTZSCHILDE“
AN DER GRENZE
Die Frauengruppe aus Wan, Agiri, Muş und Iğdır, an der auch die BDP-Abgeordnete
Pervin Buldan teilnimmt, wurde in der kurdischen Grenzstadt Celê (Çukurca)
in der Region Colêmerg (Hakkari) etwa 200m vor der Grenze von Soldaten
gestoppt. Sie führen einen Sitzstreik an der Grenze unter der Parole „Wir
sagen Nein zum Krieg Frieden jetzt sofort“ durch.
Auch in Şemzinan (Şemdinli) versuchen Friedensgruppen aus verschiedenen
Gruppen ins Kriegsgebiet vorzudringen. Da die Absperrungen nicht überwunden
werden konnten, blockieren sie die Straßen und haben vor den Absperrungen
Protestcamps aufgebaut.
SCHUTZSCHILDE ZIEHEN
IN DEN KANDIL
Insbesondere aus den südkurdischen Städten wie Duhok, Suleymaniye, Hewler,
Ranya, Kerkuk und Germiyan ziehen TausendePersonen als „Lebende Schutzschilde“
in das Kandil-Gebiet. Hunderte haben am 24.08.11 einige der Dörfer unter
Bombardement erreicht. Hunderte Jugendliche ziehen im Moment in drei Zügen
in die Berge, einige haben sogar vor, ins umkämpfte Zap-Gebiet vorzudringen.
An verschiedenen Stellen wurden Demonstrationszüge mit teilweise über
tausend TeilnehmerInnen in Südkurdistan von Sicherheitskräften gestoppt,
die Absperrungen wurden aber immer wieder durch die entschlossene Menschenmenge
überwunden. Sie werden immer wieder von türkischen Bombern und Aufklärungsflugzeugen
im Tiefflug überflogen.
MASSIVER WIDERSTAND
DER BEVÖLKERUNG STEIGERT SICH WEITER
Die Koordination der kurdischen Frauenguerilla YJA erklärte zu den kraftvollen
Aktionen der Bevölkerung, insbesondere der Frauen und der Jugend: „Als
YJA-Koordination begrüßen wir die von den nordkurdischen Friedensmüttern
initiierte und von den Frauen und der Jugend getragenen Aktionen der „Lebenden
Schutzschilde“ mit großer Freude.“
Herausragend sind die Entschlossenheit und die breite Beteiligung so vieler
Menschen, die dabei ein hohes persönliches Risiko eingehen. Insbesondere
die Entschlossenheit der Friedensmütter, ins Kriegsgebiet vorzudringen,
zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Für die nächsten Tage sind Großdemonstrationen
in 16 Landkreisen ins Kriegsgebiet geplant. Die Bevölkerung wird so selbst
zum Akteur gegen den Krieg.
Mit den Bombardierungen ziviler Siedlungen, mit der Vertreibung von Menschen
aus über 124 Dörfern in Südkurdistan seit dem 17.08.11, der massiven Repression
gegen die Bevölkerung, dem Einsatz von Minen und schweren Übergriffen
soll die Bevölkerung von KCK und PKK isoliert werden. Auch Europa versucht
sich daran durch die Kriminalisierung der kurdischen Strukturen nach dem
Terrorparagrafen 129b und dem PKK-Verbot. Sowohl die europäischen Regierungen
als auch die türkische Regierung sind nicht bereit zu verstehen, dass
sich große Teile der Bevölkerung Nordkurdistans durch die kurdische Freiheitsbewegung
nicht nur repräsentiert fühlen, sondern sich als Teil dieser Bewegung
sehen. Das machen Parolen wie „Die PKK ist das Volk und das Volk ist hier!“
deutlich und zeigen, dass eine militärische oder polizeiliche Vernichtung
der kurdischen Freiheitsbewegung nicht möglich sein wird.
Quellen: ANF; ÖP,
HAKKARINEWS, YÜKSEKOVAGUNCEL, YÜKSEKOVAHABER; SEMDINLIHABER, DIHA
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