12 kurdische Guerillas vom türkischen Militär getötet – Hunderttausende beteiligen sich an Protest- und Widerstandsaktionen

Bei einem Angriff des türkischen Militärs wurden zwischen dem 12. und 14. Mai 2011 12 kurdische Guerillas in Defensivposition in der Region (Qilaban) Uludere getötet. Die kurdische Bevölkerung reagierte auf diese Nachricht mit vielfältigen Protest- und Widerstandsaktionen, an denen sich Hunderttausende beteiligten. Ein Großteil der Geschäfte in Amed (Diyarbakır), Agirî (Ağrı), Wan (Van), Colemêrg (Hakkari), Geva (Yüksekova), Mûş, Sêrt (Siirt), Kelê (Malazgırt), Misirc (Kurtalan), Mêrdîn (Mardin), Êlîh (Batman) und anderen Städten blieben aus Protest geschlossen, Schüler_innen boykottierten den Unterricht. Da das Militär die Leichen gefallener Guerillas systematisch schändet und verstümmelt – erst vor zwei Wochen wieder in Dêrsim geschehen – entschlossen sich mehrere tausend Menschen selbst ins Operationsgebiet vorzudringen, um die Körper der Gefallenen zu bergen. Das Militär und die Polizei reagierten von Qilaban (Uludere) bis Istanbul auf die Aktionen der Bevölkerung mit Repression und eröffneten mehrfach das Feuer, u.a. beschossen Soldaten ein Gymnasium, nachdem die Schüler_innen Parolen gerufen hatten– mindestens 153 Menschen wurden in den letzten 24 Stunden festgenommen.
Aufgrund der Breite der Proteste in fast allen kurdischen Städten, können hier nur einige Ereignisse hervorgehoben werden.

AMED – 80% DER GESCHÄFTE GESCHLOSSEN – SCHULEN BOYKOTTIERT– MASSENHAFTER SITZSTREIK – STRASSENKÄMPFE
In Amed (Diyarbakır) wurden ab dem 16. Mai 2011 aufgrund der ausgerufenen Trauer mindestens 80% der Geschäfte geschlossen und die Schulen wurden boykottiert. Dies soll für drei Tage so bleiben.
Aus Protest gegen die Militäroperationen wurde eine Großdemonstration und ein Sitzstreik durchgeführt, an denen Zehntausende, darunter auch mehrere Abgeordnete der linken, prokurdischen Friedens und Demokratiepartei BDP bzw. deren Kandidaten und Kandidat_innen teilnahmen. Es wurden Fahnen des demokratischen Konföderalismus, der PKK und ihres Vorsitzenden gezeigt.
Der Sitzstreik wurde schließlich von der Polizei angegriffen. Viele Leute erlitten gesundheitliche Probleme aufgrund des massiven Tränengaseinsatzes. Die Jugendlichen erwiderten den Angriff mit Steinwürfen. Neben dem massiven Tränengas wurden mindestens 20 Personen verhaftet, die in der Antiterrorabteilung der Polizei von Amed (Diyarbakır) festgehalten werden.

PROVINZ AMED – STREIKS, DEMONSTRATIONEN, STRASSENKÄMPFE – POLIZEI SETZT SCHARFE MUNITION EIN
Auch in vielen Kreisstädten der Provinz Amed kam es zu Protestaktionen und Streiks bzw. Schulboykott, wie auch zu Polizeiangriffen, teilweise wurden auch scharfe Waffen eingesetzt. Entsprechende Proteste fanden unter anderem in Farqîn (Silvan), Ergani, Bismil, Pîran (Lice), Hasro und Çınar statt. Überall waren die Kreisbüros der BDP schwarz beflaggt.
In Farqîn (Silvan) griff die Polizei unter dem bei Faschisten gebräuchlichen osmanischen Mehter Militärmärschen eine Protestdemonstration an. Vor allem Jugendliche, die zuvor Barrikaden errichtet hatten, reagierten auf die Polizeiangriffe mit Steinwürfen. Währenddessen fuhr die Polizei ebenfalls unter diesen Märschen durch die Stadtviertel und bedrohte die Einwohnerinnen und Einwohner mit Lautsprecherdurchsagen folgendermaßen: „Übernehmt Verantwortung für eure Kinder, dies ist die letzte Warnung.“
Auch in Çınar setzte die Polizei bei einem Angriff auf eine Demonstration neben Gasgranaten und Wasserwerfern auch scharfe Munition ein. Glücklicherweise gab es keine Toten und Verletzten.

REGION ŞIRNEX – DAS LEBEN STEHT STILL – ZEHNTAUSENDE PROTESTIEREN – TAUSENDE ÜBERSCHREITEN GRENZE UM LEICHEN ZU BERGEN – MILITÄR UND POLIZEI SCHIESSEN SCHARF

In der Region Şırnex (Şırnak), in deren unmittelbarer Nähe bei der Kreisstadt Qilaban(Uludere) die 12 Guerillas vom türkischen Militär getötet worden waren, und allen ihren Kreisstädten kam das öffentliche Leben zum erliegen. In vielen Städten, unter anderem auch der Provinzhauptstadt Şırnex wurde eine dreitägige Trauerzeit erklärt.

QILABAN/ULUDERE: TAUSENDE ÜBERSCHREITEN UND BERGEN KÖRPER GEFALLENER GUERILLAS – SOLDATEN GREIFEN MIT SCHARFEN WAFFEN UND TRÄNENGASGRANATEN AN – VERLASSEN UND BETRETEN DER REGION VOM MILITÄR UNTERSAGT WORDEN
Am 15. Mai 11 überschritten nahe der Kreisstadt Qilaban (Uludere) an zwei Stellen Tausende die Grenze zum den Irak/Südkurdistan um die Körper der gefallenen Guerillas zu bergen. Etwa 2000 Menschen verbrachten trotz der Kälte die Nacht auf den Bergen. Mit den ersten Lichtstrahlen des 16.05. begaben sich die Teilnehmer_innen, unter denen Jugendliche, Alte, Männer, Frauen und auch Abgeordnete der BDP und z.B. der Bürgermeister der kurdischen Großstadt Amed (Diyarbakır) zu finden waren auf die weitere Suche. Die Soldaten versuchten sie zu stoppen und erklärten, dass sie Dorfschützer schicken würden, um die Körper zu bergen. Die Menschenmenge reagierte darauf mit Entrüstung: „Ist nicht wahr, dass ihr uns die Leichen nur mit abgeschnittenen Ohren übergeben werdet.“ Dabei wiesen Sie auf eine Praxis des türkischen Militärs hin, Leichen gefallener Guerillas systematisch zu verstümmeln, wie dies erst zwei Wochen zuvor bei 7 in der Region Dêrsim gefallenen Guerillas geschehen war. Mindestens 200 Leute nahmen die Lebensgefahr in Kauf, und stiegen zu den Körpern der Gefallenen ins Kampfgebiet ab. Von den Militärstützpunkten an der Grenze und von den Gipfeln aus wurden mehrere hundert Schuss abgegeben, Hubschrauber wurden eingesetzt und Gasgranaten abgeschossen. Als sie die Körper der Gefallenen fast erreicht hatten, wurden sie von Soldaten, die aus Hubschraubern abgesetzt worden waren, mit Steinen angegriffen und heftig beleidigt. Trotz alledem setzte die Menschenmenge ihren Weg fort. Schließlich trafen sie auf Spezialeinheiten, die erneut mit Steinen angriffen.
Trotz der Angriffe konnte die Menschenmenge drei Leichen bergen. Die Leichen der Gefallenen wurden auf drei Tragen, mit Blättern und Ästen eingewickelt auf den Schultern transportiert. Nach kurzem Weg wurde der Zug von Dorfschützern und Soldaten angegriffen. Sie warfen von oben Steine und brachten die im Tal vorbeiziehenden, durch große Gesteinsbrocken, welche sie den Berg herunterrollten, in Lebensgefahr.
Am Grenzstützpunkt, an dem Tausende auf die Toten warteten, stoppten Soldaten den Zug und erklärten, es gäbe eine Autopsieanordnung, und sie müssten deswegen die Körper beschlagnahmen. Um dies durchzusetzten gaben sie minutenlang Schüsse in die Luft ab. Nachdem sie die Körper beschlagnahmt hatten, weigerte sich die Menschenmenge zu gehen, bevor sie diese nicht zurückerhielten. Es wurden massiv Gasgranaten eingesetzt. Die Menge antwortete mit Steinwürfen. Auch alte Frauen erwiderten die Angriffe von Soldaten und Polizei mit Ästen und anderen Gegenständen. Die Anwesenden erklärten trotz der heftigen Angriffe den Ort nicht zu verlassen.
Währenddessen verbot der Gouverneur das Verlassen und Betreten des Landkreises Qilaban (Uludere). An der Grenze warteten mindestens 500 Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und begannen ebenfalls einen Sitzstreik um eingelassen zu werden. Die Protestaktionen wurden bis zur Herausgabe der Leichname fortgesetzt.

Zusammenfassung aus DIHA und ANF, 17.05.2011, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan