Bilanz
der letzten 4 Wochen der Friedensaktionen des zivilen Ungehorsams und
der Zelte für eine demokratische Lösung: 15 Tote, 338 Festnahmen, 149
Inhaftierungen
Die Aktionen des zivilen Ungehorsams
und der „Zelte für eine demokratische Lösung“ dauern nun schon vier Wochen
an und sollen den Forderungen nach einem Ende des Krieges gegen die kurdische
Bevölkerung und ihre politischen Organisationen Nachdruck verleihen. Es
werden vier Hauptforderungen gestellt: „Ende der militärischen und politischen
Operationen“, „Freiheit für alle politischen Gefangenen, einschließlich
des Vorsitzenden der PKK Abdullah Öcalan“, „Absenkung der 10%-Hürde für
das Parlament“ und „Erziehung in Muttersprache.“ Auf diese Forderungen
reagierte der türkische Staat mit einer neuen Festnahmewelle und militärischen
Operationen. Innerhalb eines Monats wurden 15 Guerillas der Volksverteidigungskräfte
HPG getötet, es wurden 338 Menschen festgenommen und 149 Inhaftiert.
Die kurdische Bewegung hat
für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage schon viele Wege beschritten,
nun ergriff sie mit den Aktionen des zivilen Ungehorsams, die nach dem
Widerstandsfest Newroz begonnen hatten erneut die Initiative. Die kurdische
Bevölkerung ging sowohl in den kurdischen Regionen, als auch im Westen
der Türkei auf die Straße und versammelte sich um die „Zelte für eine
demokratische Lösung“, die in vielen Kreisstädten aufgestellt worden waren.
Sie machten sich die oben genannten vier Forderungen zu eigen und trugen
sie auf die Straße. Die Antwort auf diese Aktionen waren heftige Polizeiangriffe.
Gleich zu Beginn der
Aktionen des zivilen Ungehorsams bedrohte Ministerpräsident Erdoğan die
Teilnehmer und Teilnehmerinnen, indem er sagte „Wo soll das zivil sein?“
Daraufhin begannen die Polizeiangriffe auf die Zelte und Demonstrationen
in allen kurdischen Regionen in der Türkei. Die Zelte wurden in den Morgenstunden
von Vermummten Spezialeinheiten gestürmt und Dutzende festgenommen, viele
von ihnen, auch Kinder und Jugendliche inhaftiert. Weiterhin wurde bei
den Angriffen Parlamentarier und Bürgermeister der linken kurdischen Friedens
und Demokratiepartei BDP von der Polizei geschlagen. Trotz aller Angriffe
leisteten die Menschen Widerstand für diese Zelte, ein Beispiel hierfür
sind die Menschen in der Stadt Kızıltepe und Nusaybın wo gegen die Polizeiangriffe
sich ganze Stadtviertel tagelang verbarrikadiert hatten.
Kurz nachdem die ersten Newrozfeuer
am 12. März in Amed (Diyarbakır) entzündet worden waren, wurden drei in
Defensivposition befindliche Guerillas am 14.03.2011 in Şirnex (Şırnak)/
Basê (Güçlükonak) getötet. Zuvor war schon ein HPG-Mitglied bei einem
Gefecht in Folge einer Militäroperation zum 8. März in der Region getötet
worden. Vor den Newrozfeiern in Amed (Diyarbakır) an denen über eine Million
Menschen teilnahmen, wurden ebenfalls in der Region Çewlik (Bingöl) vier
HPG Guerillas vom türkischen Militär getötet.
Ebenfalls vor dem wichtigen kurdischen Fest, dem Geburtstag von Abdullah
Öcalan, wurden am 1. April in Hatay 7 Guerillas umgebracht. In der Phase
der Aktionslosigkeit der kurdischen Guerilla, in der auch keine Aktionen
im Rahmen der Selbstverteidigung durchgeführt worden waren, die vom 13.
August bis zum 1. März andauerte, waren 36 Guerillas vom türkischen Militär
getötet worden. Im Moment werden weiterhin insbesondere in Dersim (Tunceli),
Colemêrg (Hakkari), Mêrdîn (Mardin), Sêrt (Siirt), Şirnex (Şırnak), Amed
(Diyarbakır) großangelegte Militäroperationen durchgeführt und Truppen
an der Grenze konzentriert. Insbesondere auf Luftweg wurden Spezialeinheiten
in die Region gebracht und es wurden Konvoys von über 100 Fahrzeugen mit
Soldaten und militärischem Gerät allein in die Region Colemêrg (Hakkari)verlegt.
Spezialeinheiten bereiten den Bau einer Brücke über den Hezil Çayı nach
Südkurdistan für Panzer und Artillerie vor. In Mêrdîn (Mardin) werden
an paramilitärische Dorfschützer schwere Waffen und Militärausrüstung
verteilt und sie werden aufgerufen sich bereit zu halten.
Hier nun einige Beispiele der letzten Wochen:
• 15. März; Şirnex (Şırnak):
Großangelegte Militäroperation
• 19. März; Şirnex (Şırnak); Dersim: Weitere großangelegte Operationen.
In die Jandarma Kaserne am Fuß des Kato Berges werden tausende Soldaten
und 26 Laster mit Ausrüstung transportiert
• 29. März; Colemêrg (Hakkari)/Şemzînan (Şemdinli): Grenzüberschreitende
Militäroperation
• 31. März; Colemêrg (Hakkari)/Şemzînan (Şemdinli): Weitere 200 Soldaten
werden in Zivilfahrzeugen in die Region gebracht
• 31. März; Dersim: Operation weitet sich auf fünf weitere Bezirke aus,
Panzer und Hubschrauber werden eingesetzt
• 1. April: Generalstab erklärt „Temporäre Sicherheitszonen“, deren Betreten
für die Bevölkerung verboten ist. Dies Betrifft dreizehn Regionen in vier
Landkreisen.
• 1. April: Militäroperationen weiten sich eskalierend aus
Bilanz der Friedenszeltaktionen
Zwischen 16. März und 6. April: Politische Operationen gehen weiter, 338
Festnahmen, 149 Inhaftierungen, 192 Ermittlungsverfahren:
• 16. März; Aydın: vier Verhaftungen wegen „Mitgliedschaft in einer Verbotenen
Organisation“ und „Sachbeschädigung“
• 16. März; Mêrdîn (Mardin)/ Qoser (Kızıltepe): Angriffe auf „Demokratisches
Lösungszelt“ beginnen – in den nächsten 14 Tagen sollen bei den andauernden
Angriffen mindestens 70 Personen festgenommen werden, 22 Personen, davon
9 Minderjährige wurden Inhaftiert. Trotz Polizeiangriffen setzte die Bevölkerung
die Aktion durch, auch in Nusaybin dauerten die Straßenkämpfe 14 Tage
an.
• 21. März; Mêrdîn (Mardin): 56 Personen, unter ihnen das Zentralratsmitglied
der BDP Salih Aktan werden beim „Demokratischen Lösungszelt“ festgenommen,
Begründung: „Das Zelt ist zur Operationszentrale einer verbotenen Organisation
geworden.“ Bis zum 29. März sollten hier noch insgesamt 99 Personen festgenommen
werden. Der BDP Parlamentarier Bengi Yıldız wurde von Polizeieinheiten
über den Boden geschleift. Außerdem wurde der Mitarbeiter des Bürgermeisters
von Batman, A. Samet Durak für „das Begehen von Straftaten im Namen einer
verbotenen Organisation ohne deren Mitglied zu sein“ zu 6 Jahren und 3
Monaten Haft verurteilt.
• 17. März; Riha (Urfa): 7 Inhaftierungen
• 17. März; Adana: 4 Jugendliche Inhaftiert
• 18. März; Colemêrg (Hakkari)/ Gewer Yüksekova: 3 Personen wegen „das
Begehen von Straftaten im Namen einer verbotenen Organisation ohne deren
Mitglied zu sein“ inhaftiert
• 21. März; Viranşehir: 17 Inhaftierungen, 192 Ermittlungsverfahren.
• 21. März; Çorlu: 6 Inhaftierungen nach Newrozfest wegen „Rufens verbotener
Parolen“
• 22. März; Mêrdîn (Mardin)/ Dêrika (Derik): 14 Personen wegen Demonstrationen
zum 15. Februar inhaftiert, davon 7 Minderjährige
• 22. März; Ağrı/Diyadin insgesamt 9 Inhaftierungen wegen 15. Februar
• 23. März; Colemêrg (Hakkari)/Şemzînan (Şemdinli): 4 Personen wegen „Mitgliedschaft
in einer verbotenen Organisation“ inhaftiert
• 28. März; Sêrt (Siirt): Demonstration zum Massengrab von Newala Qesaba
wird angegriffen. Das zu der Demonstration gekommene Mitglied der Friedensgruppen
aus Maxmur und dem Kandil, Aygül Bidav wird festgenommen.
• 30. März; Agiri (Ağrı)/ Bazîd (Doğubeyazit): 6 Personen inhaftiert wegen
„Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“
• 1. April; Wan (Van)/Erciş: 6 Personen nach Razzien inhaftiert
• März; Riha (Urfa): Über den ganzen März wurden in Riha (Urfa) 75 BDP
Mitglieder festgenommen und 43 Inhaftiert. Teilweise wegen „Propaganda
für eine verbotene Organisation“ oder „Mitgliedschaft in einer verbotenen
Organisation“ oder „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“
• 31. März; Çewlik (Bingöl): Zwei festnahmen nach Razzien
• 22. März; Şirnex (Şırnak)/Silopi: 11 Festnahmen wegen Teilnahme an Newrozfeiern
• 1. April; Îdir (Iğdır): 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung,
darunter die Stellvertreter des BDP Bürgermeisters inhaftiert
Weiterhin hat sich die Situation
der politischen Gefangenen Mehmet Aras und Ferzende Abi verschlechtert.
In dieser Zeit, in der, der Forderung nach „Freiheit der politischen Gefangenen“
kein Gehör geschenkt wurde, wurde dies ebenfalls nicht der Forderung nach
Freilassung der todkranken Gefangenen gegenüber getan. Am 30. März wurde
der Inhaftierte Vorsitzende Ferzende Abi von Wan (Van) der kurdischen
Organisation MEYA-Der, die sich um das Schicksal der „Verschwundenen“
kümmert, operiert. Da er trotz seiner ernsten Lage nicht freigelassen
wurde, verschlechtert sich seine Situation zunehmend. Auch der krebskranke
Mehmet Aras, der sich im H-Typ Gefängnis von Erzirom (Erzurum) befindet,
wurde nicht freigelassen. Da seine Behandlung ebenfalls nicht genehmigt
wurde, kann jederzeit sein Tod eintreten.
Quelle: ANF, 09.04.2011,
ISKU
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