Eva Juhnke, Kriegsgefangene in der Türkei:
„Ich teile mein Schicksal mit dem Schicksal des ganzen
kurdischen Volkes …“
Eine Zussamenfassung von Heidi Lippmann-Kasten, Vorsitzende von
prison watch international
Die deutsche Internationalistin Eva Juhnke ist im Oktober 1997 von türkischen
Spezialeinheiten während der Militäroperation „Morgenröte“
in Südkurdistan festgenommen und anschließend in die Türkei
verschleppt worden. Am 26. Oktober 97 erhob das Staatssicherheits- und
Militärgericht (DGM) in Van Anklage gegen sie wegen „Mitgliedschaft
in der PKK“. Ihre Familie, die in Hamburg lebt, erfuhr von ihrer Festnahme
im Dezember durch einen Brief, den Eva aus dem Gefängnis in Mus schickte,
wo sie seit Ende Oktober 97 inhaftiert ist. Wenige Tage später bestätigte
das Auswärtige Amt die Festnahme. Daraufhin wandte sich die Mutter
von Eva an prison watch international (pwi) mit der Bitte, eine Patenschaft
für Eva zu übernehmen. Seitdem war pwi gemeinsam mit Angehörigen
von Eva und Freunden zweimal in Kurdistan, um den Prozeß vor dem
DGM in Van zu beobachten und Eva im Gefängnis zu besuchen.
Verhaftung und Verhöre
Im Gegensatz zum türkischen Militär, das behauptet, Eva Juhnke
am 16.10.1997 in der Nähe von Hakkari auf türkischem Boden verhaftet
zu haben, gab sie selbst an, sie sei am 5. oder 6. Oktober in Südkurdistan
(Nordirak) während der Operation „Morgenröte“ von türkischen
Spezialeinheiten festgenommen worden. Zirka drei Wochen lang erfolgten
tage- und nächtelange Verhöre in Hakkari und Diyarbakir, wobei
ihr immer wieder gedroht wurde, sie verschwinden zu lassen und zu töten.
Sie gingen soweit, Eva in einen Hubschrauber zu bringen und mit ihr durch
die Gegend zu fliegen - mit gefesselten Händen und verbundenen Augen.
Unterwegs öffneten sie dann die Hubschraubertür und drohten ihr
erneut, sie hinauszustoßen. Stundenlang mußte sie mit verbundenen
Augen und gefesselten Händen in ihrer Zelle stehen, Tag und Nacht
brannte das Licht. Auf die Frage der Besucher-Innen, die Eva im Gefängnis
besuchen konnten, ob man sie in dieser Zeit körperlich gefoltert hätte,
antwortete Eva, sie sei krank und so schwach gewesen, daß ein Stromstoß
gereicht hätte, sie zu töten. Man hätte sie lediglich geohrfeigt,
wenn sie bei den ununterbrochenen Verhören drohte einzuschlafen. Im
Krankenhaus von Hakkari hatte man sie dann gezwungen, sich einer sog. Jungfräulichkeits-Untersuchung
zu unterziehen. Hierzu war sie von mehreren männlichen Soldaten nackt
ausgezogen und während der Untersuchung durch einen Arzt von ihnen
festgehalten worden.
Der Prozeßverlauf
Am 26.10.1997 wurde vom Generalstaatsanwalt des Staatssicherheits-
und Militärgerichts, DGM, in Van Anklage gegen Eva Juhnke wegen „Mitgliedschaft
in der terroristischen Organisation PKK“ erhoben. Laut Anklageschrift soll
Eva mehrere Jahre lang die PKK unterstützt haben. Obwohl sie keinen
Anwalt hatte, fanden bereits im November und Dezember drei Verhandlungstage
statt. Erst seit dem 4. Februar 1998 stand ihr ein Anwalt zur Seite. Bei
den Prozeßterminen am 19. März und 30. April 1998 war pwi vor
Ort. Bis dahin hatten alle Termine nur knapp mehr als fünf Minuten
gedauert. Diese Verhandlungen waren zudem nicht öffentlich.
Bei unserem ersten Prozeßbesuch am 19.03. war das Gericht nicht
auf Öffentlichkeit eingestellt und wollte lediglich fünf Personen
in den Gerichtssaal einlassen. Erst nach eineinhalbstündigem Protest
der aus Deutschland angereisten Delegation, der Vertreterin der Deutschen
Botschaft, türkischer und deutscher Medienvertreter gelang es allen,
den Prozeß beobachten zu können, allerdings ohne Tonbänder,
Videokameras und Fotoapparate. Obwohl diese Aufzeichnungsgeräte in
allen türkischen Gerichtssälen zugelassen sind, werden sie bei
Evas Prozeß rigoros verboten.
Im Mittelpunkt der Verhandlung stand am 19.03. der Ort und das Datum
von Evas Festnahme. Entgegen den Behauptungen des türkischen Militärs
blieb Eva bei ihrer Aussage, sie sei am 05. oder 06. Oktober in „Südkurdistan“
festgenommen worden. Nach Protesten des Richters, Kurdistan gäbe es
nicht, erklärte Eva Juhnke: „Kurdistan gibt es und wird es geben!“
Ihr Rechtsanwalt Metin Kilavuz (Diyarbakir) forderte die Einstellung des
Prozesses, weil Eva entgegen türkischem und internationalem Recht
auf irakischem Boden verhaftet und rechtswidrig in die Türkei gebracht
worden sei. Dies hätte lediglich im Rahmen eines ordentlichen Auslieferungsverfahrens
geschehen dürfen und somit sei der Prozeß rechtswidrig. Weiterer
Schwerpunkt der Verhandlung war eine politische Verteidigungsrede, die
Eva auf Deutsch vorlesen wollte, was aber, auch wegen mangelhaften Fähigkeiten
des türkischen Übersetzers, vom Richter letztendlich verhindert
wurde. Die Verhandlung wurde mit der Begründung auf den 30.04. vertagt,
die Verteidigungsrede müsse zum Übersetzen nach Ankara gegeben
werden.
Bei dem Prozeßtermin am 30. April 98 gab es für die Delegation
und Medienvertreter keine Schwierigkeiten, in das Gericht hineinzukommen.
Allerdings wurden HADEP-Frauendelegationen, die aus mehreren Städten
der Türkei zur Prozeßbeobachtung aufgebrochen waren, unterwegs
gestoppt und zurückgeschickt. Einige Frauen wurden sogar verhaftet
und mehrere Tage festgehalten. Schwerpunkt dieses zweiten von pwi beobachteten
Prozesses waren zwei Anzeigen, die vom Verteidiger gestellt wurden:
Einstellung des Prozesses wegen der rechtswidrigen Verhaftung im Irak
und Strafanzeige gegen Militär und Polizei wegen Folter, menschenunwürdiger
Behandlung und Eingriff in die Intimsphäre.
Letztere Anzeige wurde insbesondere von der Rechtsanwältin und
2. Vorsitzenden des türkischen Menschen-rechtsvereins IHD, Eren Keskin,
begründet. Sie führte unter anderem aus, daß es sich bei
der „Jungfäulichkeits“-Untersuchung um eine Foltermethode handele,
die in der Türkei häufig bei festgenommenen Frauen angewandt
würde. Beide Anzeigen wurden von dem Richter ohne Beratungspause und
ohne Begründung abgelehnt. Der Verteidiger kündigte darauf an,
Klage vor der Europäischen Menschenrechtskommission zu erheben.
Weil die Übersetzung der Verteidigungsrede dem Gericht erst am
Verhandlungstag zugegangen sei und das Gericht noch nicht die Möglichkeit
zur Prüfung gehabt hätte, wurde der Prozeß erneut vertagt
mit der Begründung, die Zulässigkeit der Übersetzung solle
vom Justizministerium in Ankara geprüft werden.
Die Untersuchungshaft im Gefängnis von Mus
Seit 26.10.1997 befindet sich Eva im Gefängnis von Mus. Nachdem
sie während der ersten Monate gemeinsam mit sozialen Gefangenen untergebracht
war, wurde sie im Februar alleine in einen Trakt verlegt, nachdem man zuvor
eine „Abschwörerin“ in ihre Zelle gebracht hatte. Nahezu rund um die
Uhr war sie in Isolation, ohne Kontakte zu Mitgefangenen. Am 10. März
beteiligte sie sich dann an einem Hungerstreik der männlichen politischen
Gefangenen in Mus, der sich gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen
richtete. Eva hatte von dem Hungerstreik aus der Zeitung erfahren und sich
aus Solidarität mit allen politischen Gefangenen in der Türkei
dem Protest gegen die Haftbedingungen angeschlossen. Obwohl es mehrere
Versuche gab, Eva im Krankenhaus gegen ihren Willen zwangsweise zu ernähren,
beendete sie ihren Hungerstreik erst gemeinsam mit allen anderen Gefangenen.
Nach Verhandlungen zwischen Justizministerium, Generalstaatsanwalt, Gefängnisleitung
einerseits und Vertretern verschiedener Menschenrechts- und Anwaltsorganisationen
andererseits, in denen man sich auf die Anerkennung von 31 der 33 Forderungen
geeinigt hatte, war der Hungerstreik am 20. April beendet worden. Einige
der männlichen politischen Gefangene sowie Eva Juhnke wurden im Anschluß
an den Hungerstreik aufgrund ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes
ins Krankenhaus eingeliefert, nach wenigen Tagen aber wieder ins Gefängnis
zurückverlegt.
Im Gegensatz zu unserem ersten Besuch bei Eva im Gefängnis am
19. März ging es ihr bei unserem zweiten Besuch am 30. April verhältnismäßig
gut. Obwohl sie 42 Tage im Hungerstreik gewesen und bis auf die Knochen
abgemagert ist, war ihr psychischer Zustand sehr viel besser als zu Beginn
des Hungerstreiks. Dieses war auch die Folge der am Ende des Hungerstreiks
getroffenen Vereinbarungen, wonach die Zellensprecher und auch Eva sich
einmal die Woche für fünfzehn Minuten treffen und im Anschluß
daran Beschwerden bei der Gefängnisleitung vortragen können.
Allerdings sind alle Vereinbarungen nach zwei Wochen einseitig von
der Gefängnisleitung wieder zurückgenommen worden. Wie Eva uns
per Fax mitteilen konnte, erfolgte am 6. Mai im Gefängnis von Mus
ein Angriff auf die politischen und sozialen Gefangenen von über 100
Sicherheitskräften unter Leitung des Gefängnis-Staatsanwaltes
und der Gefängnisleitung. Hierbei sind 25 Gefangene schwer verletzt
worden. Nachdem einige von ihnen ins Krankenhaus eingeliefert worden waren,
wurden sie dort erneut von Militärs attackiert, wobei einem Gefangenen
zahlreiche Knochen gebrochen wurden.
Pwi wird gemeinsam mit den Angehörigen von Eva Juhnke ihr Schreiben
an die Bundesregierung und das Europaparlament weiterleiten mit der Aufforderung,
den Angriff auf die Gefangenen in Mus auf das Schärfste zu verurteilen.
Es ist zwar bekannt, daß dies nur ein Angriff von vielen auf die
politischen Gefangenen in der Türkei ist, doch vielleicht kann ein
Augenzeugenbericht einer Betroffenen etwas bewirken.
Exemplarisch für die internationale Dimension des Krieges
Der „Fall“ Eva Juhnke ist exemplarisch für die internationale
Dimension des Krieges in Kurdistan und die Völker- und Menschenrechtswidrige
Politik der Türkei. Eva Juhnke ist eine von über 10.000 politischen
Gefangenen in der Türkei, die den menschenunwürdigen Haftbedingungen
und der Willkür des türkischen Regimes und seiner Sicherheitskräfte
ausgesetzt sind.
Obwohl das Auswärtige Amt die Möglichkeit hätte, die
rechtswidrige Inhaftierung und Verbringung von Eva Juhnke in die Türkei
zum Anlaß zu nehmen, gegen die regelmäßigen Einmärsche
des türkischen Militärs in den Irak zu protestieren, ist unseres
Wissens bisher nichts Derartiges erfolgt. Seit vier Jahren wird die Grenze
zum Irak von türkischen Spezialeinheiten immer wieder überschritten,
ohne daß die internationale Staatengemeinschaft darauf reagiert.
Durch ihre Militäreinmärsche verletzt die Türkei nicht nur
die Souveränität des Irak, sondern verstößt auch gegen
das Hoheitsrecht der Vereinten Nationen. Das Gebiet, in dem die Festnahme
Eva Juhnkes erfolgte, wurde im April 1991 vom UN-Sicherheitsrat in der
Resolution 688 zum Schutz der kurdischen Bevölkerung im Nordirak zur
Sicherheitszone unter UN-Kontrolle erklärt. Die Nachbarstaaten wurden
dabei ausdrücklich ermahnt, „die Souveränität, territoriale
Integrität und politische Unabhängigkeit des Iraks“ zu achten.
Daß die Türkei dies nicht tut, wird auf internationaler Ebene
meist ignoriert. Prison Watch International fordert die Bundesregierung
und das Europäische Parlament auf, gegen die wiederholten Verletzungen
der Schutzzone und gegen die rechtswidrige Festnahme Eva Juhnkes und anderer
Kriegsgefangener zu protestieren.
Unterstützung ist auch erforderlich angesichts der Anzeige, die
der Anwalt Eva Juhnkes jetzt bei der Europäischen Menschenrechtskommission
wegen Folter, menschenunwürdiger Behandlung und Eingriff in die Intimsphäre
erstatten wird. Unterstützt wird die Anzeige durch das Frauenrechtshilfeprojekt,
als deren Vertreterin die zweite Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins
(IHD), die Rechtsanwältin Eren Keskin, im Prozeß auftrat. Eine
Aufgabe der Frauenstiftung ist es, die erniedrigende und entwürdigende
Behandlung, der Frauen in der Türkei ausgesetzt sind, aufzuzeigen
und zur Anklage zu bringen. Insbesondere bei weiblichen politischen Gefangenen
und Frauen, die im Verdacht stehen, sich politisch gegen den Staat zu engagieren,
sind Vergewaltigungen und zwangsweise durchgeführte Untersuchungen
eine häufig angewandte Foltermethode.
Das Frauenprojekt wird unter der Leitung von Eren Keskin und der Rechtsanwältin
Jutta Hermanns jetzt eine Kampagne starten, um sexuelle Übergriffe
und Folter von Sicherheitskräften auf Frauen bekannt zu machen. Beide
werden über ihr Projekt im Rahmen einer von pwi am 19./20. Juni in
Hamburg veranstalten Frauenkonferenz zum Thema „Frauen zwischen Utopie
und Realität: Die kurdische Frau im Spannungsfeld von Unterdrückung
und Befreiungskampf“ referieren.
Die politische Verteidigung
Eva Juhnke hat entschieden, sich politisch zu verteidigen - alles andere
wäre für sie Verrat, sagte sie uns bei unserem ersten Gespräch.
Im Mittelpunkt ihrer politischen Verteidigungsrede steht die internationale
Verantwortung für die Situation des kurdischen Volkes und den an ihm
begangenen Völkermord und die Notwendigkeit des kurdischen Befreiungskampfes.
Deutlich wird die Verbindung zwischen der imperialistischen deutschen und
türkischen Politik - aus historischer Sicht in den vergangenen 150
Jahren ebenso wie in der jüngsten Vergangenheit durch Wirtschafts-
und Rüstungshilfe. Eva beschreibt die PKK als revolutionäre nationale
Befreiungsbewegung, deren Kampf dem kurdischen und dem türkischen
Volk diene und die die Entwicklung eines dauerhaften Friedens im Nahen
Osten ermöglichen werde. Zum Schluß ihrer Rede führt sie
aus: „Ein Frieden ist nur auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung und
Achtung möglich. Kurz: die PKK teilt nicht, sie verbindet. Ich sage
offen: das kurdische Volk ist nicht alles, aber ohne die Anerkennung der
legitimen Rechte des kurdischen Volkes ist alles Nichts. Die Lage, wie
sie sich heute im Nahen Osten, speziell auch in der Türkei zeigt,
beweist das nur allzu deutlich. Man muß realistisch sein: in einer
Welt, die auf dem Prinzip von Nationalstaaten beruht, ist für ein
Volk ohne Ausweis kein Platz und kein Recht. Aber einem Volk, das aufsteht
und seine legitimen Rechte verlangt, die Rechte, die ihm wie jedem anderen
Volk zustehen, muß man diese Rechte zugestehen... nicht nur wegen
des kurdischen Volkes, sondern vor allem um ihrer selbst willen. Denn eines
sollte uns klar sein: die Türkei wird keine ihrer heutigen bedrohlichen
Probleme lösen, ohne eine Lösung des kurdischen Problems auf
allen Ebenen. Und mit jedem Tag, an dem die Türkei ihre bis heute
verfolgte Politik fortsetzt, wird sie den Preis, den sie dafür zahlt,
nur unnötig in die Höhe treiben. Der Kampf bedeutet für
das kurdische Volk die Existenz. Aber die Fortsetzung des Krieges bedeutet
für die Türkei das Ende. Und so bin ich im Verlauf dieses Krieges
in die Hand des Feindes gefallen. Ich stehe hier als Kriegsgefangene. Mein
persönliches Schicksal hängt, wie das Schicksal jedes Kriegsgefangenen,
vom Verlauf des Krieges ab und von nichts anderem. Ich teile mein Schicksal
mit dem Schicksal des ganzen kurdischen Volkes, deren Hoffnung der Kampf
um Selbstbestimmung und soziale Veränderung unter Führung der
Arbeiterpartei Kurdistans ist. Alle Völker sind Brüder - Hoch
die Internationale Solidarität - Es lebe der Nationale Befreiungskampf
des kurdischen Volkes …“
Nach der Einschätzung von Evas Anwälten ist eine Verurteilung
zu einer Mindeststrafe von 12 ½ Jahren Haft wahrscheinlich, wobei
ohne weitere Beweisaufnahme Evas politische Verteidigungsrede als „Schuldeingeständnis“
gewertet wird.
pwi wird auch die weiteren Prozeßtermine beobachten und darüber
hinaus bei dem Prozeß wegen des Massakers im Gefängnis von Diyarbakir,
bei dem im September 1996 zehn Gefangene von Wärtern, Polizisten und
Militärs auf brutalste Art ermordet wurden, in Diyarbakir sein.
Stand Anfang Juni 1998*