Ziel des türkischen Staates: Unfruchtbarkeit der kurdischen Frauen
Gespräch mit einer Mitarbeiterin eines „Familienplanungsprojekt“ 
am 09. Juli 1998 in Diyarbakir 
von Monika Morris

Der Nationale Sicherheitsrat hat vor etwa 1 1/2 - 2 Jahren bekanntgegeben, daß laut einer Statistik inzwischen nahezu die Hälfte der Bevölkerung der Türkei KurdInnen seien. Um diese Entwicklung aufzuhalten, wurde ein sog. Familienplanungsprogramm ins Leben gerufen, das zwar unter verschiedenen Namen auftaucht, aber zwei Hauptprojekte beinhaltet.

Das eine trägt den Schwerpunkt „Weiterbildung“ und das andere firmiert unter dem Namen „Familienplanung“. Beide werden zwar von unterschiedlichen staatlichen Einrichtungen durchgeführt, jedoch aus dem gleichen Haushalt finanziert. Es geht darum, sich eine flexible Handlungsweise zu ermöglichen und nicht gleich zu verdeutlichen, welche Intentionen sich hinter den beiden Modelle nverbergen. Die Ziele sind jedoch  identisch. Das Projekt ist für die gesamte Türkei eingeführt worden, wird jedoch in erster Linie dort angewandt, wo KurdInnen leben, z.B. verstärkt jetzt auch in Istanbul und Izmir, wo Tausende von Flüchtlingen leben. Es wird davon ausgegangen, daß als Zielgruppe etwa 1 Million Frauen in 12 Bezirken/Provinzen betroffen sind. Im Gegensatz zu den kurdischen werden die Familien der Militärs und Polizisten über das Programm informiert und können sich dafür oder dagegen entscheiden. Wenn das Programm einmal abgelehnt wird, erfolgt kein erneuter Besuch. 

Die Hauptbestandteile des Programms:
1. Behandlung der Mädchen und Frauen mit Hormonen      in Form von Spritzen oder die Abgabe der Pille
2. Einsetzung der Spirale (ohne ärztliche Betreuung!)
3. Sterilisation (durch Operation) 

Die verabreichten Präparate sind nicht identifizierbar, da sie mit einer Banderole des Gesundheitsministeriums versehen sind. Es läßt sich somit nicht nachvollziehen, um welches Produkt  von welcher Firma aus welchem Herkunftsland es sich handelt. Die „Pille“, die mit hoher Hormonkonzentration ausgegeben wird, haben für junge Mädchen verheerende Folgen. Es werden zwar auch kostenlos Kondome verteilt, deren Anwendung lehnen die Männer aber durchweg ab. 
Auch das Angebot, sich sterilisieren zu lassen, stößt bei ihnen auf Widerstand. Z.B. liegt Diyarbakir in der Statistik an der Spitze - ganze 6 Männer haben dort eine „freiwilige“ Sterilisation vornehmen lassen. Bei ihnen hat es sich überwiegend um solche mit mehreren Ehefrauen gehandelt. 
Aufgrund dieser Verweigerungshaltung zielt das Geburtenkontrollprogramm primär auf die Frauen ab. Eine Sexualaufklärung sei im Zusammenhang mit dem Projekt keineswegs verbunden und auch nicht beabsichtigt. Allerdings würden auch die Frauen von sich aus nicht darauf kommen, eine solche zu beanspruchen. 
Die Folgen beim  Einsetzen von Spiralen sind für die Frauen häufig gesundheitliche Komplikationen, z.B. 
in Form von Entzündungen. In solchen Fällen erfolgt eine Kontrolle und Behandlung in Gesundheitseinrichtungen, jedoch weniger aus Gründen der Fürsorge, sondern eher, um den Erfolg des Programms nicht zu gefährden. Sind die Schwierigkeiten zu groß, werden den Frauen auch andere Methoden angeboten. Das Programm ist zeitlich begrenzt - pro Viertel oder Dorf auf 2-3 Monate.

Seit geraumer Zeit halte sich hartnäckig das Gerücht, daß Frauen auch zwangssterilisiert werden - Beweise gebe es jedoch noch nicht. Immer häufiger werden Frauen, die zur Geburt ihres Kindes in die Klinik kommen, nach einer Untersuchung davon in Kenntnis gesetzt, daß bei ihnen ein Kaiserschnitt vorgenommen werden müsse. Während dieses operativen Eingriffs - so die Vermutungen - werden vielen Frauen die Eileiter durchtrennt oder die Eierstöcke entfernt. 

Weiter schildert uns die Mitarbeiterin wie ihre Arbeit in der Praxis aussieht. Sie berichtete, daß die kurdischen Viertel in Diyarbakir regelrecht durchkämmt werden. Die Mitarbeiterinnen teilten sich gruppenweise auf die Straßen auf und gehen von Familie zu Familie, um herauszufinden, ob es Frauen im gebärfähigen Alter gibt. Weil die Frauen meist nur kurdisch sprechen, ist es für eine Einstellung in das Projekt Bedingung, die kurdische Sprache zu beherrschen. 

Zur Frage nach der Kontrolle ihrer Arbeit führte sie aus, daß regelmäßig nach 45 Tagen Tätigkeitsberichte abgeliefert werden müssen. „Ihr“ Projekt ist in Gruppen eingeteilt und jede dieser Gruppen wird von einem Unterweiser geleitet, der das Recht hat, die Mitarbeiterinnen zu kontrollieren. Dies geschieht, indem er den Frauen in die Viertel folgt, die Gespräche beobachtet und sich nachher bei den Frauen erkundigt, was ihnen angeboten worden ist und wie die Unterhaltungen gelaufen ist. Die Freundin bemerkte, daß es dennoch die Möglichkeit gibt, den Frauen „unter der Hand“ deutlich zu machen, daß sie sich für andere Methoden als die der Hormonspritzen entscheiden können. Das spricht sich dann sehr schnell herum. Inzwischen kann durchaus behauptet werden, daß die vom türkischen Staat hochgesteckten Ziele des Progamms nicht erreicht worden sind. 

Das bedeutet jedoch nicht unbedingt dessen Ende. Sie kann sich vorstellen, daß mit immer verfeinerteren Methoden versucht werden wird, die Frauen zu „überzeugen“. Denn es darf nicht vergessen werden: Oberstes Ziel des türkischen Staates ist die Unfruchtbarmachung der kurdischen Frau!

Auf unsere Frage, ob sie als Angestellte der Projekte dazu verpflichtet werden, Verhütungsmittel zu nehmen, erzählte die Freundin, daß es keinen Zwang zur Beteiligung gibt, die ein oder andere das Angebot aber nutzt. Die Freundin gab noch einige wichtige Hinweise: Sie erzählte, daß vor kurzem eine Delegation der „Abteilung für Bevölkerung“ der EU in Diyarbakir gewesen ist. Ihre Frage an die BesucherInnen, was diese Abteilung mit Familienplanung zu tun habe, ist allerdings nicht  beantwortet worden. Sie hat das Gefühl gehabt, daß der Delegation der genaue Sinn des Projekts auch nicht en detail bekannt gewesen ist und daß diese Leute aus Europa eher als „Finanzquelle“ dienen.

Im Juli des vergangenen Jahres hat sich auch eine 15köpfige Delegation aus Deutschland in Diyarbakir aufgehalten, die die MitarbeiterInnen des Projekts in die Familien begleitet haben. Bei diesen Besuchen wurden Fragen z.B. nach der Zahl der Kinder oder nach dem Familieneinkommen gestellt worden. Anschließend hat es mit den Projektleitern aus Istanbul eine Versammlung gegeben - die Diskussionen sind jedoch auf  Deutsch geführt und die MitarbeiterInnen nicht einbezogen worden. Die Freundin erwähnte in dem Gespräch weiter, daß im Istanbuler Zentralbüro immer wieder der Name „Pathfinder“ im Zusammenhang mit den Programmen auftaucht und daß die Drei-Monats-Hormonspritzen mit dem Produktnamen „Depot Provera“ vom Gesundheitsministerium kostenlos verabreicht werden. Als Folge der Behandlung mit dieser Spritze macht sich bei vielen Frauen Zahnausfall, Knochenschwund und erhebliche Störungen der Regelblutungen bemerkbar. 

Weiter berichtete sie, daß die Frauen durch die Behandlung mit insgesamt 5 Spritzen, in einer bestimmten Zeitabfolge injiziert, unfruchtbar gemacht werden. Von den Städten Izmir und Istanbul z.B. sei bekannt, daß den Frauen auch Implantate unter die Haut eingesetzt werden. Das geschieht aber nur in den Städten, da in den kurdischen Gebieten das Personal für solche komplizierteren Eingriffe fehlt. 

Die Freundin hat uns zum Schluß eindringlich gebeten herauszufinden, in welcher Weise staatliche Stellen in der Bundesrepublik und der EU mit diesem bevölkerungspolitischen Programm befaßt sind. Außerdem bat sie, gegen diese Maßnahmen des türkischen Staates öffentlichen Protest einzulegen und darauf hinzuwirken, daß diese Form des Krieges gegen das kurdische Volk beendet wird. *
 
 

Bei der „Pathfinder-International“-Foundation handelt es sich um eine private US-amerikanische Stiftung, die weltweit mit nationalen Gesundheitsbehörden zusammenarbeitet und als Financier zur internationalen Bevölkerungskontrollbewegung zu zählen ist. Im Internet hat die Organisation eine Seite eingerichtet: www. pathfind.org
„Depot Provera“ ist ein Produkt des US-amerikanischen Pharma-Konzerns UPJOHN mit dem Wirkstoff DMPA (synthetisches Progesteron)
Um was es sich hier handelt, ist unklar, weil normalerweise Hormonspritzen bereits nach der ersten Injektion wirksam werden.*