“Arbeite nicht für diese Zeitung, sonst
töten wir dich!”
Gespräch mit einem Mitarbeiter der Zeitung „Emek“ am 9. Juni
1998
von Monika Morris
Im Jahre 1993 eröffnete die linke Wochenzeitung „Gercek“ ein Redaktionsbüro
in Diyarbakir, deren Leiter Namuk Taranci von Konterguerillas ermordet
wurde. Der Wochenzeitung folgte das Zeitungsprojekt „Evrensel“ und nach
deren Verbot wurde „Emek“ ins Leben gerufen.
„Sicherheitskräfte” haben seitdem die Redaktionsräume bereits
fünfmal durchsucht und dabei vieles zerstört. Bei der fünften
Razzia haben sie alles mitgenommen vom Computer, über die Telefone
bis zum Fax und schriftlichen Unterlagen. Auf diese Weise sei der Zeitung
erheblicher finanzieller und moralischer Schaden zugefügt worden.
Im Augenblick herrsche zwar eine gewisse Ruhe, doch werde die Arbeit der
Journalisten in erheblichem Maße behindert. Ihre Teilnahme an Prozessen
beispielsweise würde nicht zugelassen. Versuchten sie es dennoch,
drohe man ihnen mit erneuten Angriffen auf das Büro.
Er selbst werde auch massiv beschimpft und bedroht: „Arbeite nicht
für diese Zeitung, sonst töten wir dich. Wenn du nicht aufhörst,
wird es so weitergehen“.Er werde ständig beobachtet. Wenn er z.B.
mit der Kamera aus dem Büro herausgehe, werde er beschimpft, durchsucht
und gefragt, wohin er wolle, was er plane und mit wem er sich treffen wolle.
Es werde versucht, trotz all dieser Schwierigkeiten über Ereignisse
aus den verschiedenen Regionen zu berichten, über die Probleme der
Arbeiter, über Zwangsversetzungen von Beamten, die sich politisch
engagiert haben, aber auch über den Krieg, die Dorfzerstörungen,
über Flucht und Vertreibung. In Diyarbakir seien die Redaktions-mitarbeiterInnen
z.B. auf RechtsanwältInnen angewiesen, die ihnen Informationen über
den Verlauf von Prozessen/Verfahren geben könnten, da ihnen selbst
eine Teilnahme unmöglich gemacht werde. Auf die Frage nach einer Kooperation
mit anderen Zeitungen wie z.B. „Ülkede Gündem“, erklärte
der Freund, daß es zwar gemeinsame Proteste in den Fällen von
Razzien oder anderen Angriffen auf die Redaktionen gebe, aber zur Zeit
keine feste Zusammenarbeit. Beide Projekte würden unter den gleichen
repressiven Bedingungen leiden. Auf die Frage, wie er die mehrwöchige
Präsenz der „Jungen Welt“ in der „Emek“-Redaktion im vergangenen Jahr
bewerte, meinte er, daß dieses Projekt sehr positiv gewesen sei.
Wenn Leute zur Unterstützung kommen würden, sei das ungeheuer
wichtig für sie und helfe ihnen. Zumindest würde die auf sie
ausgeübte Repression abgeschwächt. Es sei gut, Solidarität
zu spüren, gemeinsam zu arbeiten und zu leben. Die „Junge Welt“-Leute
hätten Gelegenheit gehabt, die Situation vor Ort kennenzulernen. Sie
hätten allerdings auch ständig unter Beobachtung gestanden. So
seien sie in die Flüchtlingsgebiete gefahren, hätten Interviews
gemacht und gefilmt. Später seien sie von Polizeikräften zur
Herausgabe der Filme gezwungen worden. Nach Rückkehr der „Junge Welt“-Leute
in die BRD habe es wieder Bedrohungen und Beschimpfungen gegeben wie: „Was
wollen denn die Scheiß-Europäer hier und warum unterstützt
Ihr die? Wir wollen Euch alle verrecken lassen.“ Das an der Eingangstüre
noch existierende „Junge Welt“-Hinweisschild bedeute für sie eine
kleine Sicherheit, denn wenn „Emek“ erneut angegriffen werde, sei mit einem
solchen Angriff auch die Junge Welt gemeint. Und da seien die „Sicherheitskräfte”
doch etwas vorsichtiger. Zum Schluß unterhielten wir uns über
den Prozeß wegen des Massakers im Gefängnis von Diyarbakir von
1996. Wie andere GesprächspartnerInnen, bestätigte auch er, daß
man den Tätern auf der Straße in Diyarbakir begegnen könne,
daß sie ihren Dienst bei allen möglichen Kontrollen weiterhin
versehen, Angehörige der Überlebenden vor dem Gerichtsgebäude
verprügeln oder auch im Gericht auf der Zuschauertribüne sitzen
würden. „Emek“ sei eine oppositionelle Zeitung, die dem türkischen
Staat Probleme mache und es sei zu befürchten, daß man sich
bei Gelegenheit an ihnen rächen werde. Insofern läge ein Verbot
der Zeitung im Bereich des Wahrscheinlichen.*