Özgür Politika, 16. Dezember 2002

Aufruf zur Frauenkonferenz

Von PINAR SELEK

Endlich ist das Ende unserer fieberhaften Arbeit in Sicht. Endlich sind fast alle Vorbereitungen für die Konferenz erledigt. Ja, am 21. und 22. Dezember 2002 wird eine türkeiweite Konferenz stattfinden. Was für eine Konferenz? Eine Frauenkonferenz unter dem anspruchsvollen Motto „Befreiung organisieren“.

Wir haben bis jetzt verschiedene Treffen erlebt. Haben uns von unseren Problemen erzählt und sie geteilt. Weil wir getrennt voneinander leben, uns sogar manchmal gegensätzlich positionieren, waren diese Treffen gut, um Hoffnung zu schaffen, Energien zu vereinen und die Überzeugung zu stärken, dass wir zusammen arbeiten können. Immer, wenn wir zusammen gekommen sind, konnten wir erkennen, wieviele gemeinsame Probleme wir trotz aller Unterschiedlichkeiten haben, und dass wir im männlichen Herrschaftssystem auf ähnliche Weise unterdrückt werden. Es war wichtig, uns gegenseitig zu verstehen oder es zumindest zu versuchen.

Aber sich nur zu treffen und sich gegenseitig ihr Leid zu klagen, reicht nicht aus. Die Schwierigkeiten, die aus unserer Unterdrückung resultieren, hören nicht auf, in dem wir sie benennen. Solange wir keine geordneten und auf eine Lösung der Probleme ausgerichteten Sitzungen machen und zu gemeinsamen Beschlüssen kommen, gehen die Treffen nicht darüber hinaus, sich gegenseitig die jeweiligen Sorgen mitzuteilen. Es ist zwar erleichternd und für einen Moment fühlen wir uns gut, aber dann fahren wir damit fort, uns von verschiedenen Händen die Ohrfeigen des patriarchalen Systems verabreichen zu lassen. Aus diesem Grund haben alle bisherigen Treffen eine Unzufriedenheit hinterlassen. Bei jedem Abschied hieß es, „wir haben doch gerade erst damit begonnen, zu reden und uns zu verstehen“. Wie könnten jahrtausendealte schmerzhafte Erfahrungen in einen engen Zeitrahmen gepresst werden? Es geht nicht. Wir kommen nur dazu, das loszuwerden, was uns als erstes durch den Kopf geht. Wir haben den hastigen Reden der anderen Frauen zugehört, die versucht haben, ihre Inhalte in ein paar Minuten Zeit unterzubringen. Und schließlich sind wir alle zu dem Schluss gekommen, dass die Treffen keinen Sinn haben, wenn es dabei nicht zu Lösungen kommt. Das war die wichtigste Funktion der Treffen. Wir sind zusammen gekommen und haben aus unseren Problemen etwas gemeinsames gemacht. Dadurch ist das Bedürfnis nach einer Lösung gewachsen. Damit war der Beschluss für die Konferenz auch schon gefallen. Lasst uns zusammenkommen, um über eine Lösung zu diskutieren, das war der Grundgedanke. Weil die Lösung in uns selbst liegt, also in unserer eigenen Organisierung und in unserem Kampf, haben wir die Konferenz auf ein einziges Thema begrenzt: unsere Organisierungs- und Kampfprobleme.

In der Türkei herrschen Aufmerksamkeit und Interesse an der Frauenfront. Aber dieses Interesse verwandelt sich nicht in eine Organisation, geschweige denn eine Bewegung. In diesem Sinne ist die Behauptung, es gebe eine Frauenbefreiungsbewegung in der Türkei, reine Illusion. Es gibt keine Bewegung. Es gibt auch keine Organisation. Damit etwas zu einer Organisation wird, muss Qualität mit Quantität verbunden, verbreitet und institutionalisiert werden. So etwas gibt es nicht. Nur in bestimmten Metropolen gibt es konzentrierte, enggefasste Gruppierungen. Die Kommunikation unter diesen Gruppen ist schlecht. Es gibt auch keine Plattformen, auf denen diskutiert wird, gegenseitige Unterstützung geleistet wird, eine Arbeitsteilung stattfindet. Somit ist der Bedarf an einer gemeinsamen Diskussion offensichtlich.

Wir werden diskutieren, Erfahrungen austauschen, kritisieren, kritisiert werden. Wir werden die Schwierigkeiten aufzeigen, mit denen wir konfrontiert sind in dem Versuch, sich unabhängig zu organisieren oder in patriarchalen gemischten Strukturen zu bestehen. Wir werden uns gegenseitig hinterfragen. Wo machen wir Fehler? Was verhindert unsere Entwicklung? Was hindert uns daran, zu einer Bewegung zu werden? Wie behindern wir uns gegenseitig und selbst? Verstehen wir alle das gleiche unter Frauenbefreiung? Wie definieren wir das Patriarchat? Warum gelingt es kurdischen, armenischen, arabischen und türkischen Frauen nicht, sich gemeinsam zu organisieren? Warum schließen unsere Organisationsformen nicht Menschen mit anderer sexuellen Orientierung, alte Menschen, Kinder, Arme, Behinderte mit ein? Warum imitieren wir die von Männern übernommenen Organisationsmodelle? Welche Gewohnheiten haben Einfluss auf unsere Aktionsformen? Wie ist unsere Haltung zu den Entwicklungen in der Türkei und weltweit? An welchen Punkten kommen wir auf einen Nenner? Wie können wir angesichts unserer verschiedenen Schwerpunkte Solidarität üben miteinander?
All diese Fragen gehen uns nicht aus dem Kopf. Wir haben aber nur zwei Tage zur Verfügung. Um ausreichend diskutieren zu können, wird es fünf verschiedene Arbeitsgruppen geben.
- Wie werden wir unterdrückt, wie definieren wir unsere Unterdrückung?
- Mit unseren Unterschiedlichkeiten Frauenpolitik machen
- Kampfmethoden und –mittel der Frauenbefreiungsbewegung
- Wege zur Überwindung unserer Probleme für eine wirkungsvolle Organisierung
- Themen der Frauenbewegung, Haltung der Frauenbefreiungsbewegung zum aktuellen Geschehen in der Türkei und weltweit.

Im Anschluss an die Arbeitsgruppen werden die Lösungsvorschläge gemeinsam ausgewertet werden. Wir werden gemeinsam einen Schritt setzen...

Und wir laden alle Frauen, deren Herzen für die Befreiung der Frau schlagen, dazu ein, diesen Schritt mit uns gemeinsam zu setzen...

pselek@hotmail.com