Rede zum Prozeß: „Zuwiderhandlung gegen Verbote“ 19.01.2015

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Am Beginn des „18. Brumaire des Napoleon bonaparte“ schreibt Marx, das Hegel irgendwo bemerkt habe, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen sich sozusagen zweimal ereignen. Und er fügt an Hegel habe nur vergessen hinzuzufügen: einmal als Tragödie einmal als Farce.
Wer sich diesen Prozeß und alles was in seinem Umfeld geschehen ist anschaut, der möchte hinzufügen, Karl Marx habe nur vergessen, dass das auch manchmal bei den etwas kleineren Geschichten so geschieht.

Als Halim Dener 1994 nach Deutschland floh, war die Auseinndersetzung in dem türkischen Teil Kurdistan auf ihrem Höhepunkt: Mehr als 3000 Dörfer wurden niedergebrannt, 100.000de flohen, einer von ihnen war der 16 jährige Halim Dener. Aber auch hier in Deutschland eskalierte die Situation. Im Novemebr 1993 wurde die PKK verboten, es kam zu Autobahnblockaden, Selbstverbrennungen, Besetzungen. Der deutsche Staat war selbst Partei in der Auseinandersetzung in Kurdistan. "Da gab es praktisch nur deutsche Waffen", berichtete damals die Ausländerbeauftragte des Bremer Senats, Dagmar Lill (SPD) nach einer Delegationsreise.

– Hundert Kampfpanzer Leopard 1

– 300 btr-60 Schützenpanzer,

– 30 Phantom Aufklärungsflieger

– 256 125 Kalaschnikows, 5000 Maschinengewehre, 100 000 Panzerfäuste und rund 445 Millionen Schuß Munition

fanden ihren Weg aus Deutschland in die Türkei, Halim Dener den seinen nach Deutschland.

Hier plakatierte er in der Nacht des 30. Juni 1994 Plakate der Nationalen Befreiungsfront Kurdistan.

Hier, in Hannover am Steintor, wurde er bei dem Versuch ziviler SEK Beamter ihn festzunehmen, durch einen Schuß in den Rücken getötet.

Dabei ist es meines Erachtens letztlich nicht so zentral, ob der Schuß mit Absicht oder aus Versehen gefallen ist. Denn einerlei ob Versehen oder Absicht. Es war die „Kurde gleich Terror“ Hysterie der 90er und das PKK Verbot, die den Einsatz unter Nutzung einer tödlichen Waffe geboten schien. Das ist die politische Verantwortung die dieser Staat und auch diese Stadt zu tragen hat.

20 Jahre später haben wir versucht mit der Kampagne Halim Dener, diesem zu gedenken, sowie die Frage nach der Verantwortung und Politik von Staat und Stadt zu stellen.

Die Antwort die wir darauf bekommen haben, eine Antwort die mit dem heutigen Prozess ihren ersten Höhepunkt erreicht ist eine Farce.

In der Türkei befinden sich die PKK und der türkische Staat in einem Friedensprozeß. Dieser Friedensprozeß und dass ist bemerkenswert genug, ist nicht wie in vielen anderen Fällen ein Prozeß der Abwicklung einer Perspektive von Befreiung. Vielmehr scheint es zu gelingen eine gescheiterte Perspektive einer Machtübernahme durch den bewaffneten Kampf der Guerilla, durch eine Perspektive der gesellschaftlichen Transformation durch die Entwicklung von Gegenmacht von unten, von Doppelherrschaft zu ersetzen. Am weitesten entwickelt ist dieser Prozeß einer leisen Revolution in den kurdischen Kantonen Syriens - mittlerweile bekannt als Rojava. Weltweit bekannt geworden durch den Widerstand der Stadt Kobane der nun seit 112 Tagen gegen den Angriff des IS andauert. Geführt durch die Sebstverteigungseineheiten Rojavas der yPG und fraueneinheiten YPJ in denen auch vieleGenossInnen der PKK organisiert sind. Unterstützt inzwischen von Einheiten kurdischer Peschmerga aus dem Irak und Einheiten der Freien Syrischen Armee In der Luft unterstützt durch amerikanische Bomber , und auch deutsche Waffen sind Seite an Seite oder längst in den Händen der PKK.

In dieser Situation verfolgt das Ordnungsamt der Stadt Hannover und der Staatsschutz Hannover vordergründig ein Wandgemälde im Gedenken an Halim Dener.

Und sie entwickeln dabei ein Vokabular, eine Unerbittlichkeit, einen Ehrgeiz der an die frühen 90 er Jahre erinnert.

Die Politik der Stadt Hannover hingegen schweigt.

Was den Staatsschutz bei der Kriminalisierung umtreibt ist angesichts der
Ermittlungsakte und der Aussagen des khkGrupe deutlich geworden. Das sich kurdische und deutsche linke Gruppen in eine solidarische Auseinandersetzung begeben. Praxen internationaler Solidarität entwickeln, die in der Tat ihren Beitrag dazu leisten können, all jene Verhältnisse umzuwerfen in denen der Mensch ein entrechtetes Wesen ist. - das muß verfolgt werden.
Khk Grupe drückt das natürlich anders aus: „Es steht zu besorgen, dass mittels dieser großflächig aufgemalten Symbolik und der Geschehnisse um den Tod des kurdischen jugendlichen Halim Dener versucht wrden soll, die meist linksorientierten Besucher des Ujz Kornstraße und die PKK-nahen kurden aus dem Bereich Hannover, die seit dem November 2013 kein eigenes Vereinsheim mehr haben und sich seit dem in denRäumen des UJZ Kornstraße treffen, im Sinne der PKK zu sammeln um Ziele der PKK in der Öffentlichkeit zu vertreten.“

und im Zusammenhang mit einem Bericht zu der Demonstration zum Todestag Halim Deners: „ Es wird ausdrücklich die Zusammenarbeit zwischen „linken“ Gruppen und den „PKK-Nahen“ Gruppen positiv herausgestellt und für die Zukunft eine noch engere Zusammenarbeit in Aussicht gestellt.


Da das nun zwar das eigentliche Motiv der Repression gegen meine Person ist, andererseits aber nur schwer justiziabel ist, versucht man es über den Umweg des Wandbildes im UJZ Kornstraße.

Sezieren wir dafür noch einmal dieses Verfahren:

Ganz zu Beginn stand die Frage meiner Personalien. Es stellte sich dabei heraus, dass es nicht meine waren , dass vielmehr mein Name und Wohnort mit den Geburtsdaten einer anderen Person,und zwar des Anmelders der Halim Dener Demonstration verknüpft war, dann stellte sich heraus, dass ich zwar Vorstand eines Verein für angewandte Sozialarbeit bin, der Verein selbst aber seit 1988 nicht mehr Träger des Ujz Kornstraße ist und auch nicht mehr öffentlich wie nichtöffentlich in Erscheinung getreten ist.

Folgt man der Verfügung der Staatsanwaltschaft Hannover zum Strafbefehl gegen mich, das gegen den Vorsitzenden des Vereins der das UJZ Kornstraße betreibt ein hinreichender Tatverdacht besteht, so bin ich freizusprechen.

Soweit besteht juristisch Klarheit. Politisch aber ist noch nichts geklärt

Woher kommt diese Arroganz , was ist diese Schlamperei, was ist es, was hier als Farce erscheint?

Und wieso machen Staatsanwältin und Richter, genauso wie der Fachbereich Recht und Ordnung mit?

Die hannoverschen Sozialspychologen Peter Brückner und Alfred Krowotza haben uns Anfang der 70er mit ihrem Text: „Staatsfeinde“ Hinweise auf die Beantwortung dieser Frage gegeben. Sie sagen, dass der politische Staat, in Abgrenzung zum liberalen Staat, sich als souveräne Einheit und Wirklichkeit bestimmt, in dem er einen inneren absoluten Feind schafft.

Anfang der 70er Jahre war das Objekt dieser Feinderklärung der Student, in den 90er Jahren war es dann der Kurde bzw. die PKK.

Die Feinderklärung schafft aber nicht nur den Feind der außerhalb des politischen Raumes steht, der nur noch Objekt der Repressionsorgane ist - sie verändert auch den Staat selber, der politische Staat,das ist die zunehmende Dominanz exekutiver und repressiver Elemente innerhalb des Staates.

In der Konstruktion des absoluten feindes verschwinden zudem alle Unterschiede zwischen konkreten Menschen, Gruppen, Organisationen. Sie alle werden reduziert, auf „den Student“, „den Terrorist“, „den Kurden“.

Wenn jetzt aus der Person des Anmelders und der Person des Versammlungsleiters einePerson wird, Vereine in der Lage sind, wie in einer Zeitmaschine die Zeit zu überwinden, dann läßt sich dies, was bisher bloß als Schlamperei erscheint, durchaus als logisch im Sinne der innerstaatlichen Feinderklärung begreifen.

Wenn diese andauernde Feinderklärung aus den 90er Jahren auf eine veränderte Wirklichkeit trifft, so wird sie ideologisch zum Papiertiger. Mit Marx zur Farce. Längst wird quer durch Medien aller politischen Colour, das PKK Verbot in Frage gestellt Und auch das Kopfschütteln der Journalistinnen, die sich dasWandbild angeschaut haben und mehr noch der Fotojournalistinnen über die Kriminalisierung desselbigen, sprach da Bände. Diese Kriegserklärung gegen die KurdInnen funktioniert ideologisch nicht mehr.

Dafür entstehen dann so schöne tautologische Formulierungen wie „Die Maßnahmen wurden getroffen, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Ein Gefahr liegt u.a. vor, wenn die öffentliche Sicherheit bedroht ist.“ aus der Anordnung des Dezernates Recht und Ordnung der Stadt Hannover gegen das Wandgemälde.

Arroganz und Schlamperei sind mithin nicht einfach nur Ausdruck einer innerstaatlichen Feinderklärung. Sie sind Ausdruck der innerstaatlichen Feinderklärung in der Krise.

Eine Krise, die die Agenten dieser Feinderklärung, die Kriminalfachinspektion 4.3 wie wild und blind um sich schlagen ließ, indem sie den ideellen Gesamtdemonstrationsleiter, Dirk wittenberg, geb. am 03.05.1971, in Uelzen konstruierten und kriminalisierten.


Dies macht die Folgen der Kriminalisierung nicht weniger gefährlich. Auch der
Papiertiger, das wissen wir von Ho Chi Minh hat Zähne.

Neben den persönlichen Folgen die eine solche Kriminalisierung hat, ist die ganze Auseinandersetzung ein Angriff auf das Selbstverständnis eines selbstverwalteten Jugendzentrums.
Was bedeutet es für die Zukunft, wenn ein Träger eines Zentrums darauf achten muß, ob sich im Zentrum Gruppen aufhalten, deren zusammentreffen den Staatsschutz besorgt?

Was heißt es, wenn die NutzerInnen und BesucherInnen dieses Zentrums für ihre Möglichkeiten sich kulturell auszudrücken erst die Duldung oder Zustimmung eines Vereinsvorstandes benötigen?
Es wäre eine Katastrophe!

Und zum zweiten stellt es einen massiven Angriff auf das Demonstrationsrecht dar. Schon jetzt schwebt über einem Anmelder oder Versammlungsleiter einer Demonstration das Damoklesschwert einer beständigen Kriminalisierung. Wenn dies noch dahingehend erweitert wird , das man, wie in meinem Fall für etwas angegriffen wird, was im eigentlichen Sinn nichts mit Demonstration zu tun hat, dann stellt sich wirklich zunehmend die Frage, wer überhaupt noch bereit und in der Lage ist eine Demonstration anzumelden?

In der Woche nach dem Tod Halim Deners war die Situation in Hannover von zwei Momenten geprägt, zum einen von der Trauer und der Wut der Kurdinnen aber auch vieler anderer Linker und zum anderen von einem Erschrecken und Zurücknehmen bei Polizei und Politik. Das sichtbarste Zeichen davon war dann die Rede des OB Herbert Schmalstieg auf der Trauerkundgebung auf dem Klagesmarkt. Hinter sich das Portrait Abdullah Özalans, zu seinen Füßen das Plakat mit dem Gesicht Halim Deners und der Fahne der ERNK. Herbert Schmalstieg hat damals erklärt: „das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK war und ist Kontraproduktiv“. Er tat das, weil er um den Zusammenhang zwischen Verbot und dem Tod Halim Deners wußte.

Im Nachhinein betrachtet, stellt sich diese Situation als eine Möglichkeit dar, dass es auch anders hätte laufen können,

Das es kein Naturgesetz der BRD ist, dass die PKK eine stalinistische Terrororganisation ist.

Aber vielleicht ist ja das Scheitern dieses Prozeßes ein Weckruf.

Von uns jedenfalls geht der Appell an die Politik der Stadt Hannover, die Logik der innerstaatlichen feinderklärung zu verlassen. D. h. ihre repressive Politik zurückzuziehen und stattdessen in eine politische Auseinandersetzung über das Gedenken an Halim Dener einzusteigen.
Dann hätte dieser Prozess noch einen Sinn gehabt.