Berlin und Ankara

Zur aktuellen Diskussion über die Aufhebung des „PKK-Verbots“

Einer Partei und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen die Betätigung verboten, kritische Medien geschlossen. Der öffentliche Protest und vielleicht Sanktionen gegen den ausführenden Staat durch die deutsche Regierung wären sicher. Wenn es um die Verletzung „westlicher Werte“ und Länder wie Russland, China, Iran oder anderswo ginge. Ein ganz anderer Maßstab gilt aber, wenn die Regierung es im eigenen Land macht, wie beim sogenannten PKK-Verbot vom 23. November 1993.

Seit 21 Jahren bildet die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums die Grundlage für das Verhältnis des deutschen Staates zur kurdischen Bewegung. Kurz gesagt: Politisch die Verweigerung jedes Dialogs, strafrechtlich eine Kriminalisierung in einem Umfang, wie sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegen migrantische Kräfte angewandt wurde, dazu ein gesellschaftspsychologisches Klima, in dem „Kurde“ und „Terrorist“ oftmals gleichgesetzt wurde.

So alt wie das Verbot ist auch die Forderung nach seiner Aufhebung. Lange politisch marginalisiert, gibt es seit Jahresmitte 2014 auch neue Töne. Von der Abschaffung, zumindest vom „Überdenken“ der bisherigen Praxis, ist die Rede, in Medien und im politischen - parlamentarischen Raum. Das hat seinen Grund in den kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten, besonders im Kampf gegen die tatsächliche Terrororganisation ISIS. In weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit werden kurdische bewaffnete Kräfte nicht mehr als Terroristen, sondern als mutige Retter verfolgter Eziden, Christen und anderer Ethnien und Religionsgruppen wahrgenommen. Dazu kommt im symbolhaften Kampf um Kobane die auf der historischen Situation beruhende Militärkooperation mit den USA.

Offizielle Reaktionen der Merkel - Regierung sind negativ, das Verbot soll bleiben. Dies gilt insbesondere für den damals wie heute zentralen Aspekt: Die außenpolitische Funktion.

Die Verbotsbegründung hatte über 50 Seiten. In ihr heißt es zum Beispiel: „Die PKK/ERNK richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung.“ Und ohne Verbot würde „das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland“ gestört.

Dann geht es um die kurdische Bewegung als Störfaktor in den türkisch - deutschen Beziehungen. Auf Seite 26 lautet ein wichtiger Absatz: „Der Grad der Beeinträchtigung der außenpolitischen Beziehungen ist durch zahlreiche Demarchen (diplomatische Schreiben) der türkischen Regierung sowie dadurch deutlich geworden, dass die türkische Seite bei allen politischen Spitzengesprächen der letzten Zeit … den Vorwurf erhoben hat, die Bundesregierung dulde PKK-Aktivitäten auf deutschen Boden und kontrolliere sie nicht oder nur mangelhaft. Die Türkei trägt im einzelnen vor, die Propagandatätigkeit in einer für den Bestand des türkischen Staates lebenswichtigen Frage zu dulden und damit zur Destabilisierung in der Südostregion indirekt beizutragen.“

Festgestellt wird auch, dass etwa die Nichtverhinderung der Wahlen zu einem kurdischen Nationalparlament 1992 in Westeuropa „bereits heute Deutschlands Ansehen in der Türkei und die bilateralen Beziehungen“ erheblich gestört haben. Das soll nicht sein, denn „die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für diese Integrität eines wichtigen Nato-, WEU – und Europaratspartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.“

Das ist der Kern und der eigentliche Grund der Maßnahmen von 1993. An dieser Linie entlang wird in der Bundesrepublik seit zwanzig Jahren verboten und verfolgt, gibt es eine Kooperation der Geheimdienste beider Staaten und einen regelmäßigen Austausch von Bundeskriminalamt und Generalsicherheitsdirektion. Deswegen auch wurde eine 2011 eingereichte Anzeige nach dem Völkerstrafgesetzbuch von der deutschen Justiz nicht weiter verfolgt, in der dem damalige Ministerpräsident Erdogan und türkischen Generälen Kriegsverbrechen gegen kurdische Zivilisten wie Kämpfern vorgeworfen wurde.

In jüngerer Zeit gibt es in den politischen Beziehungen beider Länder (wirtschaftlich und militärisch weniger) Widersprüche. Dies hat seine Ursache in dem Willen der türkischen Führung eine Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten zu werden und eine nachlassende Orientierung auf die Europäische Union. Konfliktfelder sind etwa das Verhältnis Türkei - Israel oder aktuell die Syrienpolitik Ankaras und die daraus folgende Haltung zum „Islamischen Staat“. Ob diese taktischen Widersprüche beigelegt werden oder sich noch weiter verschärfen, wird die Zukunft zeigen. Das längerfristige, strategische antikurdische Bündnis ist davon zur Zeit aber (noch) nicht betroffen.

Die Forderung nach einer Aufhebung der Verbote von 1993 bleibt unverändert richtig und hat an gesellschaftlicher Legitimität gewonnen. Es können sich neue Möglichkeiten und Bündnispartner für diese Forderung ergeben. Fallen wird das Verbot aber nur, wenn innenpolitisch und außenpolitisch eine neue „Kurdenpolitik“ in Deutschland durchgesetzt werden kann.

Dr. Jürgen Schneider, Rechtsanwalt