Gedenktag für die Gefallen, Umbettung von Gefallenen auf den Friedhof von Derik

Am 18.05.14 fanden in ganz Rojava Veranstaltungen im Gedenken an die Gefallenen statt. Es ist der Jahrestag der Ermordung (1977) von Haki Karer, dem ersten Gefallenen der kurdischen Bewegung. Hier in Rojava zogen zehntausende zu den Friedhöfen und gedachten der Gefallenen im Kampf für kurdische Freiheitsbewegung.

In Derik fand eine sehr große Zeremonie statt, mehrere Gefallene wurden umgebettet. Acht von ihnen sind in 1990er in den Bergen Nordkurdistans gefallen und waren provisorisch bestattet worden, einer war ein in Heseke gefallener Kämpfer der Volksverteidigungseinheiten YPG. Die sterblichen Überreste der Gefallenen wurden in einem großen Konvoy zum Friedhof der Gefallenen außerhalb von Derik gefahren, wo schon etwa 200 KämpferInnen der YPG/YPJ warteten, um sie würdevoll zu bestatten. Die Bevölkerung strömte zu dem weit außerhalb gelegenen Friedhof. Unter Fahnen von YPG, YPJ, PKK und Rojava hielt unter anderem Asya Abdullah eine Rede. Sie erklärte, dass die Revolution und die Sicherheit in Rojava den Opfern der Gefallenen in Nordkurdistan wie auch in Rojava zu verdanken sei und es die Verpflichtung aller sei, dafür zu kämpfen, dass sich die Träume und Ziele der Gefallenen verwirklichten. Nach der militärischen Zeremonie und Salutschüssen wurden die Gefallenen beigesetzt. Auf dem Friedhof von Derik wurden Gefallene aus allen Phasen des kurdischen Freiheitskampfes, vor allem aber aus dem letzten Jahr bestattet. Wir sehen Kinder, die um ihre Väter weinen, Väter, die um ihre Töchter weinen, vor allem viele junge Witwen mit kleinen Kindern, hier an diesem Ort werden die ganzen Schrecken und die großen Opfer dieses Krieges für sichtbar. Es ist herzzerreißend, die Menschen vor den Bildern ihrer Gefallenen sitzen zu sehen, einige vor allem junge Frauen lassen ihren Tränen freien Lauf. Das einzig schöne ist, dass dies ein Ort ist, an dem die Angehörigen nicht alleine bleiben in ihrer Trauer sondern Teil einer Gemeinschaft sind, die sie auffängt. Die Stimmung auf dem Friedhof ist nicht von dem Bedürfnis nach Rache geprägt, sondern von dem Wunsch nach Frieden und dem Ende von Angriffen und Embargo.

Den Abend verbringen wir bei Selwa, ihr Mann ist 1995 in Botan (Nordwestkurdistan) gefallen. Als er sie in Afrin zurückgelassen hat, hatte sie eine kleine Tochter, was beide nicht wussten, sie war schwanger mit Zwillingen. „Es war schwer die drei Kinder alleine groß zu ziehen, aber die FreundInnen haben mich immer unterstützt“, so Selwa.

Gegen Abend klingelt es plötzlich. Eine Delegation der PYD und der Organisation der Familien der Gefallenen stehen vor der Türe, um Selwa herzliches Beileid zu wünschen und ihre Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. „Sie kommen jedes Jahr“ so Selwa“, sie bringen mir Blumen und danken den Angehörigen für ihr großes Opfer. „Ich bin erst vor zwei Wochen aus Südkurdistan gekommen. Ich habe das individualisierte Leben dort nicht ausgehalten.“ Selwas Wohnung ist noch ziemlich leer. Das hier sind ehemalige Beamtenwohnungen, die der Staat während der Revolution verlassen hat. Jetzt wurden hier überwiegend Familien von Gefallen untergebracht. Selwas Kinder sind schon erwachsen. Ihre Tochter lebt in Afrin, aber sie kann nicht zu ihr, da der Weg durch die ISIS-Terroristen versperrt ist. „Die Bewegung kümmert sich um alle Familien der Gefallenen, sie bekommen monatlich einen Geldbetrag der zum Überleben reicht, eine kostenlose Wohnung und alles was sie sonst noch brauchen. Eine Vertreterin der Yekitiya Star hatte uns am Abend gesagt, dass es momentan sehr schwer wäre die finanziellen Mittel aufzutreiben, um all die Familien der Gefallenen KämpferInnen zu unterstützen, aber man dürfe sie auf keinen Fall hängen lassen, sie haben das wertvollste gegeben, ihre eignen Kinder oder Ehemänner.

„Ich bin froh wieder in Rojava zu sein“, so Selwa, „aber ich vermisse Afrin“, sagt sie in ihrem schweren Afriner Dialekt. Die Familien der Gefallenen helfen sich gegenseitig, die Wohnungstüren stehen den ganzen Tag offen, es ist ein Kommen und gehen, so ist Selwa auch in dieser fremden Stadt nicht allein.

Fast jede Familie hier in Rojava hat ihre Gefallenen, entweder in der Revolution von Rojava oder im kurdischen Freiheitskampf in Nordkurdistan. Für die Bevölkerung stellen die Gefallenen eine Verpflichtung dar, die Ziele der Revolution zu verwirklichen und zu verteidigen. Die YPG und YPJ sind eine überparteiliche Verteidigungskraft von Rojava, die nur auf Angriffe antwortet, das Land verteidigt, aber selbst nicht aggressiv vorgeht.

Dieser Tag der Gefallenen ist ein menschlicher Appell und eine politische Demonstration, an die Staaten, die hinter den Kriegsparteien stehen, damit aufzuhören, Öl ins Feuer zu gießen, damit keine jungen Menschen mehr für die Verteidigung von Rojava oder auch in Nordkurdistan sterben müssen.

Rojava, Delegation der Kampagne TATORT Kurdistan, Mai 2014