Besuch bei der Qada Geskirina Abori (Wirtschaftsentwicklung) von TEV-DEM, Derik

Aus einem Gespräch mit Abdurrahman Hamo und Cudi Ose

Bisher waren viele Projekte nicht möglich, da alles vom Krieg bestimmt wurde. Jetzt, in diesem Jahr, ist die Situation stabiler. Wir wollen eine soziale und kommunale Ökonomie entwickeln, sie soll vor allem mit dem Aufbau von Kooperativen realisiert werden. Das Ziel ist ein kommunales, ökologisches und gerechtes Wirtschaftssystem aufzubauen.

In der jetzigen Phase werden viele Seminare über das anvisierte Wirtschaftssystem durchgeführt. Wir wollen das System der staatsgelenkten Wirtschaft überwinden. Um das zu erreichen, ist es vor allem wichtig, den Menschen die Informationen zu geben, die dafür notwendig sind. Dies wollen wir u.a. über den Aufbau von Wirtschaftsakademien erreichen.

Eine wichtige Arbeit ist zurzeit die Versorgung der Gemeinden mit Trinkwasser und Strom und die Organisierung der Straßenreinigung. Hinsichtlich der Landwirtschaft sorgen wir uns um Saatgut, Futtermittel und Treibstoff für die Bauern.

Weiterhin stehen im Zentrum der Bemühungen die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln, wobei die Produktion von Mehl und Brot ein elementarer Bestandteil ist, und der Infrastruktur (die Straßen befinden sich in einem schlechten Zustand) sowie natürlich die Versorgung der vielen Flüchtlinge. Zum Häuserbau wurden Kooperativen gegründet, denn alle sollen Wohnungen erhalten.

Es gibt endlose Schwierigkeiten und Probleme, die es zu lösen gilt. Zunächst mussten mehrere kleine Raffinerien errichtet werden (das hier geförderte Erdöl wurde vom syrischen Staat woanders in Syrien weiter verarbeitet), um Treibstoff aus dem Rohöl für die Landwirtschaft und die Kraftfahrzeuge zu gewinnen. Viele kleine Produktionsstätten (der Staat hat bewusst verhindert, dass größere hier angesiedelt wurden) mussten wieder in Betrieb genommen werden, die nach dem Sturz des Regimes ihre Produktion eingestellt hatten. Das Embargo macht dabei alles sehr schwierig. Eine Kooperative wurde gegründet, um die lokalen Firmen bei der Durchführung ihrer Projekte zu unterstützen. Wir sind offen für Firmen aus dem Ausland, die hier nach internationalen Regeln investieren wollen.

Die Wirtschaft wird von der „Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft in Westkurdistan“ TEV-DEM koordiniert, die Projekte werden gemäß des Entwurfes der Demokratischen Autonomie entwickelt. Basis der Wirtschaftsentwicklung auf kommunaler Basis ist die Organisierung der Bevölkerung. Der Aufbau der Selbstverwaltungsstrukturen hat drei Jahre gedauert, aber jetzt funktioniert dieses System. Die Gesellschaft kann nun alle Schwierigkeiten und Probleme selbst lösen.

Nach welchen Regeln wird das Land vom Staat verteilt?

Das Land, welches vor der Revolution vom Staat bewirtschaftet wurde, ist nun an ärmere Menschen ohne Land verteilt worden. Dabei sind die Männer und Frauen gleichberechtigt. In einigen Fällen haben nur Frauen es direkt übertragen bekommen. Alles was sie brauchen, um die Kooperativen aufzubauen, wird ihnen von TEV-DEM kostenlos gegeben; später geben sie 30% des Gewinnes ab (an die neu entstehende Kantonsregierung), 70% können sie selbst behalten. Es sind bisher mehrere hundert Hektar Land verteilt worden. Z.B. haben rund um Girkê Legê 50 Flüchtlingsfamilien Land erhalten. Das meiste dieses Landes wird in Kooperativen organisiert. Die Kontrolle, ob sie tatsächlich 30% des Gewinns abgeben, erfolgt durch die örtlichen Kommunen und den Volksrat.

Was ist mit dem privaten Großgrundbesitz, gibt es Pläne zur Umverteilung?

Der Großgrundbesitz in Händen von Privaten ist wenig ausgeprägt. Momentan ist es zu früh, über eine Landreform zu diskutieren. Eine große Frage ist, dass in den 1960er und 70er Jahren mit der Ansiedlung von Arabern im Rahmen des sog. arabischen Gürtels (vom Staat zur Arabisierung der Cezîra Region durchgeführt) viel Land den einheimischen Kurden weggenommen wurde. Das nehmen wir aber den Arabern nicht weg und wollen eine Lösung im Rahmen eines demokratischen Syriens, wonach niemand vertrieben werden muss und niemand verarmt wird.

Werden auch in den Städten alle Bereiche durch Kooperativen organisiert?

Dafür ist es jetzt noch zu früh. Doch arbeiten wir langfristig daran, denn das Ziel ist eine soziale Ökonomie auf der Basis der Demokratischen Autonomie.

Was das Öl angeht, sind wir noch sehr am Anfang. Hier gibt es noch keine Kooperativen. Es gibt sehr viel Öl, aber im Moment wird nur so viel raffiniert, wie die Bevölkerung selbst braucht. Öl wird von uns an die Bevölkerung für nur 20 syrische Lira pro Liter verkauft und ist damit billiger als Wasser. Zunächst wollen wir das Elektrizitätsproblem lösen. Bis zur Revolution kam der Strom vom Tabqa-Wasserkraftwerk bei Raqqa. Seit der Übernahme der Stadt und der Region Raqqa ist er gekappt worden. Momentan haben wir eine installierte Stromkapazität von etwa 80 MW, was aber überhaupt nicht ausreichend ist. Deshalb wurden in den Städten von der Bevölkerung viele Generatoren in Betrieb genommen. Nach und nach will man diese kleineren Generatoren, die die Städte mit Lärm und Ruß eindecken, durch größere Generatoren ersetzten. So wurde für die Stadt Dirbesiye ein Generator mit einer 5 MW Kapazität angeschafft. Langfristig setzt man darauf, dass es eine Lösung für ganz Syrien gibt und Rojava wieder mit Strom aus Raqqa versorgt werden kann.

Wie will man die Weizenmonokultur überwinden und eine Diversität aufbauen?

Nach unserer Philosophie wollen wir die Umwelt so wenig wie möglich negativ beeinflussen und sie verschmutzen. Auch in der Landwirtschaft. Einige Agraringenieure untersuchen momentan die Voraussetzungen für den Anbau von Gemüse und Obst. So soll die Selbstversorgung von Regionen vorankommen. Schon im kommenden Winter wollen wir damit beginnen Gewächshäuser aufzustellen. Es ist tatsächlich so, dass wir eine Million Tonnen Weizen jährlich produzieren. Früher wurden damit die Städte u.a. Homs und Hama versorgt. Jetzt ist es uns nicht möglich, diesen Weizen zu verkaufen. Die Grenzen sind komplett dicht. Das einzige was wir machen können, ist, den Weizen gut zu lagern, damit der nicht verdirbt. Nach anfänglichen Problemen funktioniert das. In Syrien wird dieser Weizen dringend gebraucht, aber die Handelswege sind durch die ISIS (Islamischer Staat Irak und Syrien) versperrt, nichts kommt durch, sie würden alles sofort beschlagnahmen.

Im Moment werden viele Häuser gebaut, wer baut die?

Die Bevölkerung selbst baut diese Häuser. Daran sieht man auch, dass es vielen Menschen wirtschaftlich nicht so schlecht geht. Bisher hat die Regierung nicht erlaubt, dass Häuser in einem Gebiet von 25 km entlang der Grenze zur Türkei gebaut werden. Selbst vor der Revolution gab es nicht so eine Bautätigkeit. Natürlich achten unsere Stadtverwaltungen darauf, dass Bauvorschriften eingehalten werden. Der Zement kommt hauptsächlich vom Schwarzmarkt. In Kobanê gibt es eine Zementfabrik, in der Cezîra-Region jedoch nicht.

Wie sieht es mit Baumwollproduktion und Bewässerung aus?

Es gibt etwas Baumwollproduktion in der Cezîra-Region, vor allem bei Serê Kaniyê und Haseke. Wir können es nicht selbst weiterverarbeiten, denn solche Fabriken gibt es hier nicht. Die Baumwolle selbst können wir, wie auch den Weizen, nicht verkaufen.

Der Weizenanbau geschieht mit wenig Bewässerung. Dies tun eher die etwas wohlhabenderen Bauern. Die Landwirtschaft soll insgesamt langfristig ökologischer gestaltet werden.

Wie sieht es mit der Preisentwicklung aus?

Bisher ist noch alles, was in Syrien produziert wird, billiger als in der Türkei und das trotz des Krieges. In Syrien werden sehr viele Produkte hergestellt, aber sie kommen unter den jetzigen Bedingungen hier in Rojava kaum an.

Wird es ein großes Problem, wenn der Staat nun seine Bezahlung von Beamten, Lehrern etc. in Qamişlo ganz einstellt?

Überhaupt nicht. In Kobanê und Afrin ist der Staat schon seit zwei Jahren komplett verschwunden. Nur in Qamişlo werden noch Lehrer, Beamte und Stadtverwaltungsmitarbeiter vom Staat bezahlt. Der Rest wird komplett von uns selbst finanziert. Im Rahmen der Demokratischen Autonomie wird in einem freien Syrien der Staat wieder für die Gehälter der Lehrer und Staatsangestellten aufkommen.

Wir haben eine sehr starke Selbstorganisierung der Bevölkerung. Alle Institutionen die wir aufgebaut haben sind dazu da, die Bevölkerung zu unterstützen sich selbst zu organisieren.

Delegation TATORT Kurdistan, 9.5.2014

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