Delegationsbericht zum Massaker in Roboskî (Qilaban) – Uludere/Şirnak

31.12.2011 bis 4. Januar 2012 – Kurdistan

TeilnehmerInnen:
Cansu Özdemir Abgeordnete der Fraktion Die Linke. Hamburg
Hamide Akbayir, Ali Atalan Abgeordnete der Fraktion Die Linke.NRW
Robert Jarowoy, Ratsmitglied Fraktion Die Linke in Hamburg, Schriftsteller

Der Anlass der Reise, die zum Beginn des Jahres stattfand, war die Ermordung der 35 kurdischen Zivilisten am 28.12.2011 durch Luftangriffe des türkischen Militärs in Uludere - Roboskî, an der Grenze zum Irak.
Die kurzfristig anberaumte und nur für eine kurze Aufenthaltsdauer vorgesehene Reise fand unter einer hoch angespannten Atmosphäre statt. Der Massaker wurde erst ignoriert und dann verteidigt bzw. relativiert. Das führte bei der kurdischen Bevölkerung zu einem ausgesprochenen Unmut. Statt nach dem Vorfall auf eine friedliche und deeskalierende Strategie zu setzen, hat die derzeitige AKP Regierung sich öffentlich beim Militär bedankt und die pro kurdische Partei BDP angegriffen. Der Stabchef des Militärs erklärte, dass die Tilgung der separatistischen Bewegung konsequent angestrebt und durchgeführt würde.
Um die Lage dort im Allgemeinen und die des Massakers zu erkunden, hat die Delegation während ihrer kurzen Aufenthaltsdauer Gespräche mit verschiedenen Institutionen, wie IHD Diyarbakir, BDP Diyarbakir, BDP Sirnak und der Anwaltskammer Sirnak durchgeführt.
Alle TeilnehmerInnen waren einhellig der Auffassung, dass die Lage durch die zunehmenden Operationen der türkischen Sicherheitskräfte extrem angespannt ist. Es werden täglich Menschen getötet, gewählte Politiker, dutzende Journalisten, Rechtsanwälte und Wissenschaftler in Haft genommen. In der Region wird das als Vernichtungsangriffe in militärischer sowie in politischer Hinsicht bewertet.

Das Gespräch mit den Verwandten der Opfer
Nach der üblichen Kondolenz sind wir in ein getrenntes Zimmer gegangen um die Berichte der Verwandten insbesondere einer Person anzuhören, die das Bombardement überlebt haben
Servet Encü, der bei dem Massaker 26 seiner Familienangehörigen verloren hat berichtete uns:
„Es ist allen bekannt, dass unsere einzige Einkommensquelle der Handel jenseits der Grenze ist. Das ist seit Jahrzehnten üblich. Auch unsere Väter und Großväter taten das und die Regierung wusste Bescheid. Öl, Zigaretten, Tee, Zucker und andere Lebensmittel gehörten zu den Waren. Wir sind auf dem Hinweg schon von Heron (US- Überwachungsflugzeug) abgelichtet worden. Die wussten ganz genau, dass wir auf dem Rückweg in unser Dorf wollten. Auf dem Boden hat uns das Militär die Wege gesperrt, so dass wir uns alle an einem Ort versammelt haben und von der Luft aus wurden wir bombardiert.

Die Verwandten der anderen Opfer:
„Wir wollen unsere Rechte, wir sind auch ein Volk, wir sind auch Menschen, wir wollen Frieden und Freiheit, wir wollen in Würde leben, die Welt und Europa dürfen nicht zuschauen, die Türkei wird im Krieg gegen das kurdische Volk von den westlichen Staaten unterstützt. Die Verantwortlichen dieses Massakers müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir wollen kein „Entschädigungsgeld“der Regierung, sondern gerechte Lösungen für unsere Probleme. Die vermeintliche Entschädigung betrachten wir als größte Beleidigung unserer gestorbenen Kindern und Familienangehörigen!“

Fazit:
Jenseits der mehreren emotionalen Momente, besonders während der Gespräche mit den Verwandten der Opfer lässt sich zusammenfassend sagen, dass während dieser Reise abermals deutlich wurde, dass das kurdische Volk in der Türkei nicht nur vernachlässigt wird, sondern diskriminiert, ausgegrenzt und unterdrückt wird, ja sogar vor einer Vernichtung des Gesamten steht.
Die Kurden werden einer systematischen Unterdrückung ausgesetzt, sofern sie für ihre Rechte eintreten und für ihre Freiheit tätig sind. Der Umgang des Militärs, der staatlichen Behörden in der Region mit den Kurden und die getätigten Aussagen der verantwortlichen des Staates bezüglich des Konflikts zeugen, von einer kolonialistischen Geisteshaltung. Ein Volk in der Türkei, dessen Sprache, Kultur, gar Existenz immer noch nicht in der Verfassung festgeschrieben ist. Es werden Menschen in Gerichten das Recht verwährt, in eigener Muttersprache (Kurdisch) auszusagen.
Im Bezug auf den Massaker in Uludere- Roboski lässt sich festhalten, dass das kein Versehen war, sondern ein bewusster Angriff. Andere Tatsache ist auch, dass dieser Krieg in Kurdistan und damit auch dieser Angriff in Uludere mit der Unterstützung der NATO durchgeführt werden. Die Türkei wird mit allen modernsten Waffen und Technik der NATO versorgt. Interessanterweise erklärte der USA- Botschafter in Ankara hinsichtlich des Massakers in Uludere, dass er die Linie der türkischen Regierung im Kampf gegen den Terrorismus voll unterstütze.
Hier sind alle fortschrittlichen, demokratischen und humanitären Kräfte gefragt, gegen diesen schmutzigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung vorzugehen und sich mit dem kurdischen Volk zu solidarisieren.

07.Jan. 2012