Öcalan: Die Lösung wurde das Opfer des Kapitals

KCK-Vorsitzender Abdullah Öcalan kam am 12.05.10 mit seinen Anwälten zu seinen wöchentlichen Konsultationen zusammen. Laut den Informationen der Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" drückte Öcalan den Familien, deren Angehörige in den vergangenen Tagen von dem iranischen Regime gehängt worden sind, sein Beileid aus und fügte hinzu, dass der Charakter des iranischen Regimes gut erkannt werden muss. Bezüglich der Todesstrafen im Iran sagte Öcalan:

Der Iran muss richtig entschlüsselt werden. Das Mulla-Regime ist bestialisch, reaktionär und gewissenslos. Der Iran kann die Angriffe verschärfen. Ich hatte vorher schon erwähnt, dass im Bradostgebiet [Bradost oder Biradost ist ein bekannter Stamm aus Kurdistan. Die Region an der Grenze zwischen dem Iran und Irak wird „Bradostgebiet“ genannt] eine Region der Selbstverteidigung erschaffen werden kann. Ansonsten wird der Iran weder vor Frauen noch vor Kindern Halt machen und ein großes Massaker anrichten. Das war in der Vergangenheit auch schon so. Im Iran gibt es verschiedene Organisationen. Mit diesen kann man Allianzen schließen. Aber den Charakter des iranischen Regimes muss man gut entschlüsseln. Die Hinrichtungen im Iran geschahen nach dem Treffen [zur Bekämpfung der PKK] in Istanbul. Der Iran hat sich von diesem Treffen ermutigen lassen und die Hinrichtungen durchgeführt.

Öcalan erwähnte die Worte des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad, welcher erklärte, dass das Problem in der Region mit einem Dialog gelöst werden könne. Diesbezüglich richtete der KCK-Vorsitzende einen Aufruf an Syrien und Südkurdistan mit folgenden Inhalt:

Syrien kann eine Vermittlerrolle zwischen den Kurden und Türken übernehmen. Im Gedenken am Hafiz al-Assad [Syriens Staatspräsident zwischen 1971 und 2000] und Cemil al-Assads [Bruder Hafiz al-Assads] kann Baschar al-Essad [Sohn Hafiz al-Assads und jetziger Staatspräsident] wichtige Aufgaben übernehmen. Die Haltung Essads ist unserer sehr nahe. So eine Rolle kann auch die südkurdische Regierung übernehmen. Sie können zwischen uns, der Türkei und dem Iran die Vermittlerrolle übernehmen.

Des Weiteren warnte Öcalan Bezug nehmend auf die aktuelle politische Situation vor einem schweren Krieg und sagte hierzu:

Die Gefahr des Massakers dauert weiterhin an. Sie können noch größere Massaker verüben, unser Volk muss sich vor dieser Gefahr rüsten. Ich werde bis zum 31. Mai abwarten. Wenn nichts Handfestes geschieht, dann werde ich mich zurückziehen. Wer dann etwas machen will, soll selbst entscheiden. Man spricht von einem mittelschweren Krieg. Eine solche Gefahr besteht weiterhin. Wenn solch ein Krieg ausbrechen sollte, dann wird sich das nicht nur auf die Berge begrenzen. Es wird sich dann auch auf die Städte ausweiten. Der Serhildan [kurdisch: Volksaufstand] wird dann zu einem Aufstand in den Städten. Sie können dann auch in den Städten die Massaker verüben. Unser Volk muss dies sehen und sich dementsprechend vorbereiten. Aus diesem Grunde sollen sie alles, was sie tun, für sich selbst machen. Sie sollen meinen hiesigen Zustand nicht als Grund für ihr Handeln benennen. Ihr Handeln soll für ihre Ehre, Zukunft und für ihre Rechte sein.

Öcalan wertete die AKP-Politik aus. Dabei erwähnte der KCK-Vorsitzende, dass die "kurdische Initiative" ein Vernichtungsplan ist und fügte hinzu:

Das ist keine Initiative sondern ein Vernichtungsplan an der kurdischen Freiheitsbewegung, ausgearbeitet von der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, AKP. Unser Volk aus dem Süden, die KDP und PUK müssen das erkennen können. Wenn sie uns vernichtet haben, werden sie an der Reihe sein. Das gilt für alle Kurden. Wenn eine nationale Einheit gebildet wird, dann können diesen Gefahren der Weg bereitet werden. Die AKP will keine Lösung. Sie denkt nur an das Kapital und den eigenen Profit. Wenn sie wirklich aufrichtig wären, würde ich das meinige zum Friedensprozess erledigen.
Wenn es zum Krieg kommen sollte, dann sollen die AKP, MHP [Partei der Nationalistischen Bewegung], CHP [Republikanische Volkspartei] und die PKK selbst die Konsequenzen bedenken. Die Verantwortung tragen sie ab sofort. Es gibt gewisse Kräfte im Staat, die eine Lösung wollen. Die Politiker sind es, die dies nicht wollen. Die AKP will dies nicht. Marx hatte einen berühmten Spruch: Das Kapital würde für einen Tag Profit seinen eigenen Vater erhängen. Die AKP führt das ganze Militär für ein Jahr Wirtschaftsprofit in den Krieg. Das tut sie für das eigene Kapital. Der Tod tausender Soldaten und Polizisten interessiert sie nicht. Für sie steht allein ihr eigener Profit im Vordergrund. Die Grenze ist mit Soldaten und Rüstung überfüllt. Für ihren eigenen Profit wurden tausende von Soldaten an die Grenze geschickt. Die "demokratische Initiative" wurde für ihre Wirtschaftsinteressen geopfert.
Erdoğan, Baykal und Bahçeli haben in der Sache "kurdische Frage" acht Jahre lang zusammengearbeitet. Sie unterscheiden sich nicht. Ich möchte nochmals an den Herrn Premierminister appellieren: Geht die demokratische Lösung ernsthaft an! Wenn man mir die Möglichkeiten gibt, dann werde ich jene, auf die ich Einfluss habe an einen Ort versammeln bzw. die Waffen innerhalb einer Woche zum Schweigen bringen. Ich glaube daran, dass ich die nötige Kraft dazu noch habe.

Abdullah Öcalan wertete auch den Abtritt des CHP-Vorsitzenden Deniz Baykal aus und sagte, dass der Vorfall Baykals im Rahmen einer internen Abrechnung des Staates geschah. Vor einigen Tagen kam ein Video in das Internet, in dem Baykal mit der CHP-Istanbul Abgeordneten Nesrin Baytok nackt zu sehen ist. Drei Tage nach dem Bekanntwerden des Videos trat Baykal von seinem Amt zurück. Öcalan brachte diesbezüglich folgendes zu Worte:

Baykal war ein Hindernis für die Lösung der kurdischen Frage. Deswegen griffen jene, die im Staat sind und eine Lösung wollen, in die Angelegenheiten Baykals ein. Baykal ist nicht jemand der unabhängig ist. Weil der Staat Baykal nicht einschränken konnte, hat man zu solchen Methoden gegriffen. Aber Baykal macht keinen Schritt zurück. Ich weiß nicht, ob er gewinnen wird oder nicht. Aber Baykal ist nicht eine Einzelperson. Er ist ein Team mit großem Umfeld.

Öcalan sprach erneut das Thema der politischen Akademien an:

Man müsste in allen 81 Städten [der Türkei] Akademien eröffnen. Man muss sich das kommunale Leben als Beispiel nehmen.

Zuletzt ging Abdullah Öcalan die Umstände auf der Gefängnisinsel Imrali und seinen Gesundheitszustand ein. Er sagte hierzu, dass er seit zwölf Jahren unter verschiedensten Krankheiten leide, die auf die Gefängnissituation zurückzuführen seien. In letzter Zeit habe er Probleme mit den Augen, da sie ständig feucht seien. Er befürchte eine Augenentzündung.

Quelle: YÖP, 13.05.2010