junge Welt, 7.8.2006

Zehntausende werden heimatlos
Massive Proteste gegen Ilisu-Staudamm in der Osttürkei
Nick Brauns

Begleitet von massiven Prote­s­ten begann am Sonnabend der Bau des umstrittenen Ilisu-Staudammes in der Osttürkei. 10000 Menschen, darunter zahlreiche Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten sowie Bürgermeister mehrerer kurdischer Städte hatten sich in der von Überflutung bedrohten historischen Stadt Hasankeyf versammelt.

Der Oberbürgermeister der Großstadt Diyarbakir, Osman Baydemir, nannte die »Grundsteinlegung eine Respektlosigkeit gegen unser kulturelles Erbe«. Im Rahmen eines Festaktes machte am Sonnabend der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan den ersten Spatenstich. Der Ilisu-Damm am Oberlauf des Tigris ist Herzstück des Südostanatolien-Projektes. Bis zum Jahr 2010 sollen elf Dämme und 19 Wasserkraftwerke an Euphrat und Tigris errichtet werden.

Laut einer Studie der Dammgegner lehnen 80 Prozent der Bewohner in der am stärksten betroffenen Provinz Batman den Dammbau ab. Bis zu 55000 Menschen müßten zwangsumgesiedelt werden, wenn ihre Dörfer oder ihr Ackerland in den Fluten des 300 Quadratkilometer großen Stausees untergehen. Während finanzielle Entschädigungen vor allem örtlichen Großgrundbesitzern zugingen, müßte die Masse der Vertriebenen in Elendsvierteln kurdischer Großstädte wie Diyarbakir oder Batman dahinvegetieren. Durch den Ilisu-Damm würde die 10000 Jahre alte mesopotamische Stadt Hasankeyf mit dem historischen Erbe von Kurden, Armeniern, Assyrern und anderen an diesem Teil der Seidenstraße lebenden Völkern überflutet. Da es sich beim Tigris um einen grenzüberschreitenden Fluß handelt, dürfte er nach internationalem Recht nicht ohne Einverständnis der Nachbarstaaten Syrien und Irak aufgestaut werden.

Ein von der österreichischen Firma VA Tech Hydro geführtes Konsortium soll das 1,2 Milliarden Euro teure Projekt umsetzen. Aus Deutschland ist der Stuttgarter Baukonzern Ed. Züblin AG führend beteiligt. Die Entwicklungshilfsorganisation »Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung« (WEED) forderte die Bundesregierung nochmals eindringlich auf, keine Hermesbürgschaft zu gewähren. »Eine Zusage gegen den erklärten Willen der betroffenen Bevölkerung verletzt Menschenwürde und internationale Standards. Keine europäische Regierung sollte sich mit einem derart skandalösen Projekt in Verbindung bringen«, so WEED-Sprecherin Heike Drillisch.