Die Presse | Wien, 31.03.2006

Jagd auf den Jäger:

Der lange Arm der türkischen Armee

VON HELMAR DUMBS

Gegen kriminelle Aktivitäten des Heeres ist die Justiz chancenlos.

Ankara/Wien. Dass die türkische Armee in den Kurdengebieten nicht immer im Rahmen der Gesetze agiert, ist bekannt, Kritik daran gefährlich. Dies bekam jüngst ein Staatsanwalt in Van zu spüren. Was er tat, war eine regelrechte Majestätsbeleidigung: General Yasar Büyükanit, Chef der Landstreitkräfte, soll eine kriminelle Gruppe aufgebaut haben, die in den Kurdengebieten des Landes illegale Geschäfte tätigte.

Diese Anschuldigung war in einer Anklageschrift versteckt, die sich eigentlich gegen zwei Unteroffiziere richtete: Die beiden sollen im November an einem Bomben-Attentat auf einen kurdischen Buchhändler in Semdinli beteiligt gewesen sein, der einst zur PKK gehörte. Damals gab es einen Toten, der Anschlag selbst wurde von einem PKK-Überläufer durchgeführt.

Der Konnex zum General: Büyükanit habe die Verdächtigen zu schützen versucht. Der Staatsanwalt empfahl dem Generalstab, dass sich die Militärjustiz der Sache annimmt. Dass ein ziviler Ermittler sich mit der Militärspitze anlegt, ist eine kleine Revolution und in der Türkei ohne Beispiel. Brisant sind die Vorwürfe alleine schon deshalb, weil Büyükanit als aussichtsreichster Nachfolger von Hilmi Özkök als Generalstabschef gilt.

Seither hat eine regelrechte Hetzjagd eingesetzt. Freilich nicht auf den General, sondern auf den Staatsanwalt: Die Anklage sei "ein Coup gegen das Militär", wetterte etwa Oppositionsführer Deniz Baykal (Republikanische Volkspartei). Und Erkan Mumcu von der Mutterlandspartei warf Staatsanwalt Ferhat Sarikaya sogar vor, sich einer PKK-Terminologie zu bedienen und politische Motive zu haben. Armee-freundliche Medien rückten Sarikaya in die Nähe der regierenden AKP-Partei von Premier Erdogan. Diese wolle um jeden Preis verhindern, dass Büyükanit Generalstabschef werde.

Dass viele Militärs mit der islamischen AKP alles andere als glücklich sind ist kein Geheimnis. Das Verhältnis ist nicht erst seit dem unerschrockenen Vorgehen des Staatsanwalts gespannt. Die Armee beobachtet die Annäherung der Türkei an die EU skeptisch, weil sie einen Verlust ihres noch immer starken Einflusses befürchtet.

Dieser Einfluss zeigte sich in der Causa Büyükanit wieder deutlich: Kaum war Generalstabschef Özkök bei Premier Erdogan vorstellig geworden, pries dieser das Militär in den höchsten Tönen als "Juwel dieses Landes". Und Justizminister Cemil Çiçek leitete eine Untersuchung gegen Staatsanwalt Sarikaya ein, der eine Disziplinarstrafe ausfasste. Der Generalstab wischte die Vorwürfen gegen Büyükanit vom Tisch, mit der schlichten Begründung, Ermittlungen seien "unnötig".

Für die Türkei ist mit der ganzen Causa eine Situation entstanden, in der ihr Image nur Schaden nehmen kann. Zum einen, weil erneut die zwielichtige Rolle der Armee in den Kurdengebieten klar zu Tage trat. Zum anderen, weil die Intervention des Generalstabs bei der Regierung und deren Vorgehen gegen den Ermittler einen Beleg lieferte, wie es um die Unabhängigkeit der Justiz am Bosporus bestellt ist - und wer dort noch immer das letzte Wort hat.