Kieler Nachrichten, 31.12.1999

Beck: Mehr als die Hälfte der Ausländer können Deutsche werden

Neues Staatsbürgerschaftsrecht tritt zum 1. Januar in Kraft

Berlin/Baden-Baden (AFP) - Durch das neue Staatsbürgerschaftsrecht können nach Ansicht der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Ausländer Deutsche werden. Von den etwa 7,3 Millionen Ausländern in der Bundesrepublik erfüllten schätzungsweise 3,5 bis vier Millionen Menschen die neuen Einbürgerungskriterien, sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag im SWR. Das Zentrum für Türkei-Studien in Essen ging davon aus, dass sich allein die Zahl der türkischstämmigen Deutschen bis zum Jahr 2003 auf 900.000 Menschen verdreifachen wird. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), betonte, sie erwarte zunächst keinen Einbürgerungsboom. Das neue Staatsbürgerschaftsrecht tritt zum 1. Januar in Kraft.

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten können, wenn sie mindestens acht Jahre rechtmäßig in Deutschland gelebt haben. Bislang galt eine Frist von

15 Jahren. Nach Einschätzung Becks werden entsprechend dem neuen Gesetz zusätzlich pro Jahr rund 100.000 Neugeborene automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, von denen ein Elternteil dauerhaft in der Bundesrepublik lebt. Im kommenden Jahr gebe es dann noch zusätzlich eine Gruppe von etwa 700.000 bereits in Deutschland lebenden Kindern unter zehn Jahren, bei denen dieses Geburtsrecht faktisch nachträglich gewährt werden könne.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung zeigte sich überzeugt, dass es in Deutschland eine breite Akzeptanz für die neuen Einbürgerungsregelungen gibt. Es habe immer ein Einverständis gegeben, dass Ausländer, die schon lange in Deutschland leben, rechtlich gleichgestellt werden sollten, "einfach weil sie auch hart arbeiten für diese Gesellschaft». Auch Sonntag-Wolgast bezeichnete im DeutschlandRadio das neue Gesetz als einen "deutlichen Schritt voran». Sie gehe aber nicht von einem plötzlichen Einbürgerungsboom aus. "Es wird eine langsam anschwellende Einbürgerungswelle geben, die durch gute Beratung und Aufklärung unterstützt werden muss.» Gefordert seien neben der Politik auch Kirchen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen.

Das Zentrum für Türkeistudien (ZfT) in Essen wies am Donnerstag darauf hin, dass zum Ende dieses Jahres schätzungsweise 318.000 Deutsche türkischer Herkunft in der Bundesrepublik lebten. Gemessen an den bisherigen Einbürgerungszahlen sei nach Inkraftreten des neuen Gesetzes damit zu rechnen, dass diese Zahl bis Ende 2003 auf insgesamt 900.000 anwachsen werde. Den Angaben zufolge leben in der Bundesrepublik derzeit 2,1 Millionen türkische Staatsbürger, 1,4 Millionen von ihnen seit mehr als acht Jahren.

ZfT-Direktor Faruk Sen unterstrich, mit dem reformierten Staatsangehörigkeitsrecht sei ein großes Integrationshindernis beseitigt worden. Er kritisierte aber, dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Auslegungen der Verwaltungsrichtlinien für die Einbürgerungsverfahren gebe. Sonntag-Wolgast sagte, es werde von einem Land zum anderen "Nuancen in der Auslegung» der Vorschriften geben, "aber wir haben eine tragfähige Grundlage». Dagegen warf Beck den Ländern Bayern und Baden-Württemberg vor, mit eigenen Verwaltungsvorschriften eine "Politik des Südens» machen zu wollen.