Süddeutsche Zeitung, 31.12.1999

Politische Männer-Moden in der Türkei

Ein Hut kostet Kopf und Kragen

Der Fes, einst Symbol des Fortschritts, wurde unter Atatürk als Zeichen der Rückständigkeit verboten - heute wird er von den Islamisten wieder entdeckt

Von Wolfgang Koydl

Istanbul, 30. Dezember - Man kann nicht sagen, dass sich Salih wohl fühlt in seiner Haut. Das liegt nicht nur am eisigen Wind, der ihm den Regen wie feine Nadeln ins Gesicht treibt. Schließlich ist Salih Türsteher und er weiß, dass Istanbuler Winter nass und kalt sein können. Was ihm mehr Unbehagen bereitet, ist der Gedanke an seine Kopfbedeckung. "Da muss nur ein Polizist vorbeikommen, dem meine Visage nicht gefällt, und schon lande ich hinter Gittern", meint Salih und verdreht die Augen nach oben, um einen Blick auf den gefährlichen Hut zu erhaschen.

Die Sorge des jungen Türken ist nicht unbegründet, denn Salih trägt einen Fes, und das ist in der türkischen Republik noch immer strafbar. Zwar landet man dafür nicht mehr am Galgen wie noch Ende der 20er Jahre, als drei Fes-Träger auf der Galata-Brücke im Herzen Istanbuls aufgeknüpft wurden. Nach alter Sitte verkaufte der Henker anschließend kleine Stücke des Stranges als Andenken an Passanten und Schaulustige. Nein, den Kopf verliert man nicht mehr zusammen mit dem Fes, aber Haftstrafen sind allemal noch drin. Seit Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die randlose Kopfbedeckung mit der schwarzen Troddel 1925 als reaktionäres Relikt des osmanischen Reiches verbot, fristet der einst stolze Fes in seiner Heimat ein Schattendasein in den Regalen billiger Souvenirshops. Ein moderner Türke würde ihn nie aufsetzen - schon allein aus Furcht vor dem Gespött der Leute.

Feuerschlucker und Jongleure

Salih und seine Kollegen sind eine Ausnahme, da sie eine Fes-Genehmigung der islamistisch geführten Istanbuler Stadtverwaltung haben, die insgeheim den Ruf der "Zierde des Hauptes" wiederbeleben will. Mit großem Aufwand ließen Bürgermeister Ali Müfit Gürtuna und sein Vorgänger Recep Tayyip Erdogan die "Feshane" restaurieren. Diese Fabrikhalle aus der Frühzeit der Industrialisierung liegt im Stadtteil Eyüp am Oberlauf des Goldenen Horns und hat die Ausmaße von fast zwei Fußballfeldern. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden hier Fese hergestellt. Heute wird in den weitläufigen Hallen gehobenes Kunsthandwerk angeboten. Während des Fastenmonats gibt es außerdem traditionelle Ramadan-Vergnügen, die in der säkularen Republik in Vergessenheit geraten waren: Karagöz-Schattenspiele, Puppentheater, Märchenerzähler, Feuerschlucker und Jongleure. Verständlich, dass Salih und die anderen Angestellten als Dienstkleidung einen Fes tragen.

Fast hundert Jahre währte die Karriere des Fes, von dem der nationalistische Dichter Falih Rifki Atay schrieb, er sei "Teil der türkischen Seele". Tatsächlich wurde der krempenlose, kegelförmige Filzhut zum Symbol der Türkei. Auf dem Höhepunkt seines Siegeszuges thronte er überall, wohin osmanischer oder islamischer Einfluss reichten: von Bosnien bis Afrika, von Marokko bis Indonesien. Kenianische Soldaten in britischen Diensten zogen be-fest in den Kampf, und der junge Staat Israel führte seinen ersten Krieg 1948 gegen Fes tragende ägyptische Soldaten. In Marokko und Tunesien gehört er noch heute zum Stadtbild.

Mit Gewalt hatte Atatürk den Fes von den Köpfen geschlagen, aber es hatte auch der Gewalt bedurft, um ihn hundert Jahre zuvor, 1828, den unwilligen Türken aufs Haupt zu stülpen. Für Sultan Mahmut II., dessen Reformeifer demjenigen Atatürks in nichts nach stand, war der Fes ein Symbol der Moderne. Er sollte den Turban ersetzen, der den Modernisierern in Konstantinopel als Symbol des rückständigen, religiösen Orients galt. Zudem wurde der Fes zum großen Gleichmacher - religiös wie sozial: Alle trugen ihn, ob Christen, Juden oder Muslime, der Sultan ebenso wie der Lastenträger im Hafen.

Entsprechend bitter war der Widerstand gegen den neumodischen Filzhut, dessen Name sich von der marokkanischen Stadt Fes herleitet, wo die ersten Exemplare gefertigt worden sein sollen. "Ach, mein Turban, der lange meine Schläfen band", hieß es in einem Klagelied der Zeit, "mir entrissen umschlingst du nun meine Seele". Sultan Mahmut blieb hart und fügte seiner Reform eine Beleidigung hinzu, als er die Fes-Fabrik ausgerechnet in Eyüp errichten ließ. Hier, wo der Bannerträger des Propheten Mohammed begraben liegt, befindet sich nach Überzeugung türkischer Muslime der viertheiligste Ort des Islam, nach Mekka, Medina und Jerusalem.

Vor allem der islamische Klerus ließ sich seine Zustimmung zu dem Höllending teuer erkaufen. Müfti und Scheich ül-Islam, die höchsten religiösen Würdenträger des Reiches, bestanden auf zwei Modifikationen: Der Fes durfte keinen Schirm haben, weil der den gläubigen Muslim beim Gebet stören würde, und er musste mit einer schwarzen Quaste versehen sein, als Symbol der Locke, an welcher Allah den Gläubigen nach dem Tod hinauf ins Paradies zieht. Die Änderungswünsche hatten teils mehr, teils weniger unangenehme Folgen: So erlitten in den folgenden Jahrzehnten ungezählte osmanische Soldaten einen Sonnenstich, weil keine Krempe und kein Schirm Auge und Stirn schützte. Außerdem verhedderten sich die Troddeln aus langen Seidenfäden ständig, so dass in Istanbul schon bald der Beruf des Quastenkämmers entstand. Erst später wurde die praktische kurze Troddel eingeführt. Freilich gab es weiter Spezialgeschäfte, welche den roten Filzhüten ihre Form zurückgaben, wenn sie im Regen aufgeweicht worden waren oder durch einen Stoß eine Delle erhalten hatten.

Indes, kaum war der Widerstand gebrochen, stand dem Triumph des Fes nichts mehr im Wege. Er wurde zum wichtigsten modischen Accessoire des osmanischen Gentleman. Seine verschiedenen Farben - Schwarz oder diverse Schattierungen von Rot - sowie die Art, ihn auf dem Kopf zu tragen, entwickelten sich zu einer Art von Geheimsprache, die Hinweise auf Position und Gemütszustand des Trägers erlaubte. Wer etwa den Fes kess in den Nacken geschoben hatte, war meist ein halbseidener Charakter. Hing der Hut mit der Troddel nach vorne in die Stirn, war dies ein Hinweis auf finanzielle Nöte.

So groß war die Nachfrage nach dem Fes, das die Feshane in Eyüp überfordert war. Zum wichtigsten Fes-Exporteur wurde alsbald Österreich-Ungarn - bis zum Jahre 1908. Damals annektierte der Kaiser in Wien Bosnien und die Herzegowina, die de jure noch zum Osmanischen Reich gehörten. Empört rissen sich die Beys und Effendis am Bosporus die k. u .k. Fese vom Kopf und behüteten sich fortan nur mit heimischen Produkten. Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Tage des Fes eigentlich schon gezählt. Wenige Jahre später sollte es, so die Legende, auf einem Empfang in der bulgarischen Hauptstadt Sofia zu einer folgenschweren Begegnung zwischen dem osmanischen Militärattaché Mustafa Kemal (dem späteren Atatürk) und einem französischen Offizier kommen. Dabei soll sich der Franzose über den Fes des Türken lustig gemacht haben, was dieser - modebewusst bis zum Stutzertum - nie verwand.

Modenschau eines Gecken

Doch erst im Jahre 1925 war es so weit: Als ob es zwei Jahre nach der Gründung der Republik auf den Trümmern des Osmanischen Reiches keine anderen Probleme gäbe, holte Atatürk aus zum Schlag gegen den Fes. Geck, der er war, entschied er sich für eine ganz persönliche Modenschau, um seinen altmodischen Landsleuten die Segnungen der westlichen Zivilisation nahe zu bringen. Er war der Couturier und das Model, und sein Laufsteg war die verschlafene Kleinstadt Kastamonu am Schwarzen Meer.

Drei Tage lang paradierte Atatürk vor den verblüfften Menschen über die Hauptstraße, und jedesmal war er anders gekleidet: Einmal in westlicher Uniform mit Schirmmütze, einmal im Leinenanzug mit weißem Panama-Hut, einmal im grauen Nadelstreifen mit Homburg. Stets stand der Hut im Mittelpunkt: Atatürk lüftete ihn, er schwenkte ihn, er setzte ihn auf, er trug ihn in der Hand. Bisher hatte niemand im Lande es gewagt, die gottlose Kopfbedeckung der Ungläubigen bei ihrem türkischen Namen "schapka" zu nennen. Gewunden nahm man Zuflucht zu Euphemismen und sprach von "Sonnenschutz" oder "zivilisierter Kopfbedeckung mit Krempe".

Am dritten Tag brach Atatürk den Bann. In einer langen Rede vor den Honoratioren von Kastamonu ließ er sich über die Vorzüge "zivilisierter, internationaler" Bekleidung aus: "Stiefel oder Schuhe an unseren Füssen, Hosen an unseren Beinen, Hemd und Krawatte, Jacket und Weste, und natürlich, zur Komplettierung, eine Kopfbedeckung mit einer Krempe." Atatürk legte eine Kunstpause ein: "Ich möchte das klarstellen. Diese Kopfbedeckung nennt man 'Hut'."