Tagesspiegel, 30.12.1999

Probleme mit der doppelten Staatsbürgerschaft

Die Ausländerbeauftragte stellt einen Ratgeber für Betroffene vor

Amory Burchard

In Berlin werden vom 1. Januar 2000 an pro Jahr voraussichtlich 4400 Kinder ausländischer Eltern als deutsche Staatsbürger geboren. Nach dem neuen Staatsangehörigkeitsgesetz können nichtdeutsche Familien für 33 000 weitere Kinder bis zum 10. Lebensjahr die Einbürgerung beantragen. Diese werden aber nicht nur mit der deutschen Staatsangehörigkeit aufwachsen, sondern auch mit derjenigen ihrer Eltern. Zunächst sind sie "Doppel- oder Mehrstaater" und haben - wie Erwachsene, die unter bestimmten Bedingungen die doppelte Staatsbürgerschaft behalten dürfen, - Rechte und Pflichten gegenüber zwei oder mehr Staaten. Chancen und Probleme, die sich daraus ergeben, werden in einer Broschüre der Ausländerbeauftragten beschrieben, die Barbara John gestern vorstellte. Grundsätzlich könne jeder der Heimatstaaten die Betroffenen als eigenen Staatsbürger behandeln, sagte John. Bei Staaten, die andere Wert- und Rechtsvorstellungen als Deutschland hätten, könne es zu Konflikten kommen. So gelte ein gebürtiger Serbe, der bevorzugt eingebürgert wurde, weil er der Wehrpflicht in Serbien entgehen wollte, dort weiterhin als Deserteur, wenn er den jugoslawischen Pass behalte. Anerkannte politisch Verfolgte oder Kontingentflüchtlinge können zwar nach der neuen Regelung ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft behalten - weil es für sie als nicht zumutbar gilt, bei "ihren" Botschaften die Entlassung zu beantragen. Bei Besuchen in der Heimat könne ihnen aber gerade diese Begünstigung ernste Probleme bereiten.

Andere Beispiele aus der Praxis der Ausländerbeauftragten: Ein Deutsch-Türke, dem im Ausland eine Straftat zur Last gelegt werde, muss damit rechnen, in die Türkei abgeschoben zu werden. Er kann nicht verlangen, etwa nur nach Deutschland ausgeliefert zu werden. Eine Deutsch-Türkin, deren Ehe mit einem Türken von einem türkischen Konsularbeamten in Berlin geschlossen wurde, erfuhr von der Ausländerbehörde, dass sie nach deutschem Recht gar nicht verheiratet sei. Als deutsche Staatsangehörige müsse sie beim Standesamt heiraten. Somit halte sich ihr Mann illegal in Deutschland auf. Zweifelsfälle auch in Fragen des Wahlrechts, der Sozialhilfe, des Namensrechts und der Kranken- und Arbeitslosenversicherung behandelt der Ratgeber.

Kinder ausländischer Eltern werden nur dann mit der Geburt Deutsche, wenn ein Elternteil seit acht Jahren legal in Deutschland lebt und seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hat. Wenn die Kinder 18 Jahre alt sind, müssen sie sich für einen der beiden Pässe entscheiden. Erwachsene, die eingebürgert werden wollen, müssen in der Regel auf ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit verzichten, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen und ausreichende deutsche Sprachkenntnisse nachweisen.

Darauf hatte sich die rot-grüne Bundesregierung geeinigt, nachdem die CDU mit einer Unterschriftenkampagne gegen die generellle Gewährung des "Doppelpasses" protestiert hatte. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus erklärte gestern, der Ratgeber der Ausländerbeauftragten mache "noch einmal deutlich, wie rückwärts gewandt und integrationshemmend" das neue Staatsangehörigkeitsgesetz auch nach seiner Reform sei. Die doppelte Staatsangehörigkeit solle generell gewährt werden.

Der Ratgeber ist bei der Ausländerbeauftragten (Potsdamer Straße 65, 10785 Berlin-Tiergarten) gratis erhältlich. Telefon: 9017 2357.