Frankfurter Rundschau, 30.12.1999

Scheindebatte über Haft im Ausland

Im Blickpunkt: Däublers Vorschlag stößt auf praktische Hindernisse

Von Vera Gaserow (Berlin)

"Ausländische Straftäter sollen ihre Strafe zu Hause verbüßen" - die Forderung taugt seit langem als CDU/CSU-Wahlkampfparole. Jetzt hat Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) diese Forderung aufgegriffen - und damit einer Scheindebatte Munition geliefert.

Der Grundgedanke klingt plausibel: Die deutschen Gefängnisse platzen aus allen Nähten. Warum also nicht den Strafvollzug von all denen entlasten, die keinen deutschen Pass besitzen? Immerhin sind knapp 25 Prozent der 56 000 Strafgefangenen ausländischer Herkunft. Bisher können sie nur mit eigener Einwilligung zur Strafverbüßung ins Heimatland zurück geschickt werden, und nur ein verschwindend kleiner Teil entscheidet sich für eine Zelle im Herkunftsland. Im November forderte die Länder- Justizministerkonferenz den Bund deshalb auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ausländische Verurteilte auch gegen ihren Willen zur Strafverbüßung abschieben zu können. Das wäre auf Grundlage eines 1997 unterzeichneten Zusatzabkommens zu einem Europaratsübereinkommen möglich. Dieses Abkommen haben neben der Bundesrepublik zwar etliche Mitglieder des Europarates unterzeichnet, aber außer Mazedonien hat bisher kein einziges Land das Vertragswerk auch ratifiziert. Jetzt hat Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin eine solche Ratifizierung von deutscher Seite in Aussicht gestellt. Von den unionsregierten Ländern erntete sie dafür Beifall, der grüne Koalitionspartner hingegen war gelinde gesagt "überrascht". "Wir sehen keine Veranlassung, diesem Zusatzprotokoll zuzustimmen", erklärte der rechtspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Volker Beck.

Tatsächlich würde eine Ratifizierung dieses Abkommens vielleicht die Gemüter beruhigen, aber kaum mehr Platz schaffen in den Knästen. Denn um ausländische Straftäter in heimische Gefängnisse abzuschieben, müssten mehrere Bedingungen erfüllt sein: Die Täter müsste dort ein rechtsstaatlicher Strafvollzug erwarten, und das trifft für Hauptherkunftsländer nicht zu. Die größte Gefangenen-Gruppe sind Straftäter türkischer Herkunft. Ihre Überstellung in türkische Gefängnisse ist jedoch angesichts der dortigen Menschenrechtsverletzungen auch für die Bundesjustizministerin nicht vorstellbar.

Zweite Bedingung: Die in Deutschland Verurteilten müssten ihre Strafe im Herkunftsland auch tatsächlich verbüßen. Gerade viele osteuropäische Länder bieten jedoch mit ihrer Begnadigungspraxis und ihren unterschiedlichen Rechtsauffassungen keine Gewähr dafür.

Hindernis drei: Nur die wenigsten Länder sind bereit, für im Ausland straffällig gewordene Landsleute die Haftkosten im eigenen Land zu übernehmen. Wenn überhaupt, dann müssten die Abgeschobenen Geld aus Deutschland mitbringen und zu diesen Zahlungen sind auch die Bundesländer, die eine rigorose Abschiebung ausländischer Straftäter fordern, nicht bereit.

Würde es wirklich umgesetzt, dann brächte das Abkommen darüber hinaus ein gravierendes Problem: Das Gros derer, die als "Ausländer" in deutschen Gefängnissen sitzen, sind Inländer - Jugendliche und Heranwachsende, die in Deutschland geboren, erzogen und kriminell geworden sind. Für sie wäre die Strafverbüßung in der Türkei, in Kroatien oder in Russland die Verbannung in ein unbekanntes Land. Diese Gruppe der dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländer hat die Justizminsterin mit ihrem Vorstoß jetzt zwar nicht im Auge. Doch einmal ratifiziert, böte das Abkommen nur wenige rechtliche Instrumentarien, sie auszunehmen und nur durchreisende Ausländer zurückzuschicken.