Die Welt, 29.12.99

Kommentar von Fatina Keilani
Haftstrafen in der Heimat?

Nach Ansicht der Bundesjustizministerin sollen ausländische Häftlinge abgeschoben werden und die Strafe künftig im Heimatstaat verbüßen, wenn dort ein rechtsstaatlicher Strafvollzug garantiert ist. Die Forderung der Sozialdemokratin mag viele genauso überraschen wie damals die Feststellung ihres Kabinettskollegen Otto Schily, die Grenzen der Belastbarkeit seien erreicht. Indes spricht eine Menge für den Vorstoß von Herta Däubler-Gmelin.

Ein Viertel der 57 000 in deutschen Gefängnissen einsitzenden Häftlinge sind Ausländer. Sie kosten den Steuerzahler pro Kopf gut 200 Mark täglich und machen - zugespitzt formuliert - nichts als Kosten. Freilich gilt das für deutsche Straftäter auch, die aber kann man nicht abschieben.

Ausländer im Land genießen dann uneingeschränkte Sympathien, wenn sie die Grenzen des Rechtsstaates respektieren. Wenn sie diese nachweislich überschreiten und dafür rechtskräftig verurteilt werden, verwirken sie das Aufenthaltsrecht. Dann können sie ausgewiesen werden und sollten auch ausgewiesen werden können. Das geltende Ausländerrecht kennt eine Reihe von Ausweisungsgründen, die schon jetzt angewandt werden. Warum sollte der Staat ausgerechnet in dieser Frage seine eigenen Interessen vernachlässigen?

Freilich muss differenziert, müssen sämtliche Regeln des Rechtsstaates befolgt werden. Das bedeutet vor allem, dass ein deutsches Gericht die Unschuldsvermutung mit einem rechtskräftigen Urteil gültig widerlegt haben muss. Darüber hinaus muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden. Nicht zu rechtfertigen wäre es, einen Verurteilten wegen eines Bagatelldelikts auszuweisen. Auch Menschlichkeit ist ein Kriterium. Keine Behörde, kein Gericht darf einen Strafäter wissentlich in seinen Untergang schicken. Im Gegenteil, im Verbund mit dem Auswärtigen Amt sollten die Behörden auf das Justizvollzugswesen der jeweiligen Staaten achten, in die abgeschoben werden soll. In vielen Ländern, der Türkei etwa oder den autoritären Regimen des Nahen Ostens, ist ein rechtsstaatlicher Strafvollzug nicht gewährleistet. Und jemanden - und sei er auch ein Straftäter - sehenden Auges in sein Unglück zu schicken: Das kann unser Land nicht wollen. Erforderlich ist zudem, jeden Einzelfall gesondert zu prüfen. Gegen die jeweilige Entscheidung müssen wieder Rechtsmittel möglich sein. Das allerdings bedeutet langwierige Verfahren.

Der Vorschlag der Justizministerin könnte die Gefängnisse und den Steuerzahler entlasten. Mehr noch: Er könnte das Vertrauen in Kompetenz und das Augenmaß unserer Justiz festigen.