Süddeutsche Zeitung, 28.12.1999

Vor der Formularflut

Vorbereitungen der Verwaltungen

Innenminister Otto Schily (SPD) rechnet mit bis zu 200 000 Ausländern der ersten Generation, die sich als Deutsche einbürgern lassen wollen. Die SZ dokumentiert den Stand der Vorbereitungen in einigen Städten.

Berlin: In Deutschlands Hauptstadt erwarten die Behörden keinen Ansturm auf die Einbürgerungsstellen in den Bezirksämtern. Zwar haben Bezirke wie Kreuzberg, in denen jeder dritte Einwohner keinen deutschen Pass besitzt, ihr Personal aufgestockt. Doch glaubt der Leiter des dortigen Bürgeramts, Gerhard Haider, dass der Nachweis von Sprachkenntnissen nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht "viele abhalten könnte, jetzt gleich den Antrag zu stellen". Der Dachverband türkischer Vereine in Berlin fürchtet, dass die Einbürgerungen, die in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen waren, mit dem neuen Recht zurückgehen werden. Die Sprachtests, wie sie Innensenator Eckart Werthebach (CDU) angeordnet hat, so eine Sprecherin des Türkischen Bundes, würden nach ihrer Meinung etwa die Hälfte der Einbürgerungswilligen davon abhalten, einen Antrag zu stellen. Aus Beratungen wisse sie, dass zahlreiche Türken bereits gestellte Anträge wieder zurückgezogen hätten. Nach Auskunft der Innenverwaltung liegen derzeit bei den Behörden 45 000 Einbürgerungsanträge. In Berlin leben insgesamt etwa 450 000 Ausländer. Die Ausländerbeauftragte des Senats gibt die Zahl der Einwanderer in der 3,4-Millionen-Stadt, die bereits die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, mit 65 000 an. In den vergangenen beiden Jahren wurden jeweils etwa 12 000 Menschen eingebürgert, nach Angaben des Türkischen Bundes waren etwa 5000 von ihnen Türken.

Frankfurt am Main: Der Magistrat will künftig zweimal jährlich die "neuen deutschen Mitbürger" zu einem Empfang in den schmucken Kaisersaal des Rathauses einladen. Die Feier im Römer - bei der ersten Veranstaltung rechnen die Organisatoren mit bis zu 1000 Menschen - soll die offizielle Begrüßung darstellen. Wenn sie wollen, können sich die "neuen deutschen Mitbürger" dort auch mit Broschüren eindecken, die derzeit vom Frankfurter Standesamt mit einem Etat von 100 000 Mark entworfen werden. Die Beamten dort arbeiten auch an Plakaten und an Informations-Seiten zum Staatsbürgerschaftsrecht für das Internet. Um die Anträge zu bearbeiten, wurden bei der Stadt insgesamt sechs neue Stellen eingerichtet.

München: Großes Engagement bei der Einbürgerung von Ausländern zeigt die bayerische Landeshauptstadt. Noch vor Weihnachten haben die 160 000 Ausländer, die in München leben und für die Einbürgerung in Frage kommen, Post von der Stadt erhalten: eine Informationsbroschüre, die die neue Rechtslage erläutert und Tipps für den Gang aufs Amt gibt. In der Einbürgerungsstelle wurden 14 Personen zusätzlich eingestellt. Eine eigene Arbeitsgruppe mit 10 Leuten kümmert sich um die Bearbeitung der noch innerhalb des Jahres 2000 zu stellenden Einbürgerungsanträge. Für die Überprüfung der ausländerrechtlichen Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ist die Ausländerbehörde um acht Planstellen verstärkt worden. Zusammen mit der Informationsbroschüre wendet die Stadt rund 3,3 Millionen Mark auf. Obwohl der Ausländerbeirat der Stadt München das neue Staatsangehörigkeitsrecht begrüßt, wird auch massive Kritik am Vollzug geübt: Ausländer müssten gerade in Bayern bei ihrer Einbürgerung mit "verschärften Prüfungen" rechnen und dann auch noch viel Geld dafür bezahlen. Besonders preisgünstig ist der deutsche Pass in München in der Tat nicht. Er kostet für einen Erwachsenen 500 Mark und für ein Kind 100 Mark. Die Stadt begründet das mit den hohen Verwaltungskosten.

Köln: Die Verantwortlichen der Domstadt (Ausländeranteil rund 17 Prozent) rechnen damit, dass mit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht die Zahl der Einbürgerungsanträge gewaltig steigt. Wie der stellvertretende Leiter des Amtes für Personenstandswesen, Peter Schriefer, sagte, belaufen sich die Schätzungen für die kommenden drei Jahre auf insgesamt 40 000 bis 60 000 zusätzliche Anträge. Bisher waren es rund 5000 im Jahr. Die Mehrbelastung werden zunächst elf Mitarbeiter zu bewältigen suchen, bis zu 75 könnten es laut Stadtratsbeschluss werden, die den Haushalt zusammen mit dem Sachaufwand in den kommenden drei Jahren mit insgesamt 13,6 Millionen Mark belasten werden. Um vorausschauend planen zu können, hatte die Kölner Verwaltung eine Projektgruppe mit den Vorbereitungen betraut. Danach dürften rund 120 000 in der Stadt lebende Ausländer von den verkürzten Bearbeitungszeiten profitieren. Die meisten sind türkischer Herkunft.

Stuttgart: Mindestens 15 000 Einbürgerungsanträge erwartet man in der Schwabenmetropole in den kommenden Monaten. Bisher hatte die kommunale Ausländerbehörde jährlich etwa 2200 Anträge auf Einbürgerung zu bearbeiten; die Wartezeit beträgt mittlerweile rund neun Monate. Der Stadtrat hat neun zusätzliche Personalstellen für die andernfalls völlig überforderte Einbürgerungsbehörde beschlossen. Dies sei mit einem Kostenaufwand von einer Million Mark verbunden, merkt der zuständige Bürgermeister Jürgen Beck kritisch an. "Aber", fügt der Christdemokrat hinzu, "die Bürger haben einen Anspruch auf Gesetzesvollzug". Die Gesamtzahl potenziell einbürgerungswilliger Menschen in Stuttgart wird auf fast 100 000 geschätzt.