Frankfurter Rundschau, 24.12.1999

Mafioso spielt Kontakte aus

Im Blickpunkt: Cakici könnte bald frei sein

Von Gerd Höhler (Athen)

Als Alaattin Cakici jetzt nach 15-monatiger Haft in Frankreich erfuhr, dass er an die Türkei ausgeliefert werden sollte, fiel er seinem Verteidiger Muhittin Yuzuak um den Hals. Cakici, der ungekrönte König der türkischen Unterwelt, hat allen Grund zur Freude. Schon bald könnte er ein freier Mann sein.

Im August 1998 hatten türkische Zielfahnder in Zusammenarbeit mit dem deutschen BKA und der französischen Geheimpolizei Cakici in Nizza aufgespürt. Dem 1987 aus der Türkei geflohenen Gangster werden mehr als 40 Morde zur Last gelegt, die er teils eigenhändig begangen, teils angeordnet haben soll. Zu den Opfern gehört auch seine Frau Ugur. Die habe er, brüstete sich Cakici selbst in einem Rundfunkinterview, 1995 beim Ski-Urlaub erschießen lassen.

Politisch brisanter als die Morde könnten Cakicis Kontakte sein. Der mutmaßliche Killer habe seit Jahren enge Verbindungen zu Politikern, hochgestellten Beamten, Sicherheitsleuten und Wirtschaftsführern gehabt, schrieb schon 1998 das Nachrichtenmagazin Turkish Probe. In einem bei der Festnahme in Nizza sichergestellten Notizbuch fanden sich Namen und Telefonnummern hochgestellter Polizeioffiziere, türkischer Geheimagenten und Politiker. Der türkische Polizeichef Necati Bilican ahnte: "Das ist größer als Susurluk!"

Damit spielte er auf jenen Autounfall nahe der Ortschaft Susurluk an, der im November 1996 erstmals die Unterweltkontakte türkischer Politiker und Sicherheitsbeamte ans Licht brachte. Damals verunglückten in einem gepanzerten Mercedes ein seit Jahren gesuchter Killer und Drogenhändler, ein hochrangiger Polizeioffizier und ein konservativer Parlamentsabgeordneter. Der bei dem Unfall getötete Gangster hatte einen vom damaligen türkischen Innenminister Mehmet Agar höchstpersönlich ausgestellten falschen Pass in der Jackentasche.

Wird nun Cakici, der am 13. Dezember aus Frankreich an die Türkei ausgeliefert wurde, Licht in die noch immer nicht durchleuteten Mafia-Kontakte türkischer Politiker bringen? "Wenn ich rede, wird es ein Erdbeben in der Türkei geben", brüstete sich Cakici schon gleich nach seiner Festnahme in Frankreich. "Mindestens zehn Mal", so der Gangster, habe er in den vergangenen Jahren mit dem früheren Ministerpräsidenten und heutigen Vizepremier Mesut Yilmaz telefoniert. "Wehe, wenn er auspackt", schrieb das Massenblatt Sabah.

Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Cakici könnte schon bald seine Zelle im Kartal-Gefängnis von Ankara als freier Mann verlassen. Frankreich knüpfte seine Auslieferung nämlich an die Bedingung, dass er nicht wegen Verbrechen vor Gericht gestellt werden darf, auf die in der Türkei die Todesstrafe steht. Verhandelt werden kann gegen Cakici laut Auslieferungsbeschluss nur wegen zweier Straftaten.

Das eine Verfahren, wegen Cakicis mutmaßlicher Anstiftung zum 1994 verübten Attentat auf den Journalisten Hincal Uluc, scheiterte bereits am vergangenen Montag. Der Fall ist verjährt, weil es das Justizministerium versäumte, Fristen zu wahren. Nun soll wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Cakici verhandelt werden. Darauf stehen höchstens drei Jahre Gefängnis. Unter Anrechnung der Auslieferungshaft könnte Cakici selbst bei einem Schuldspruch in etwa vier Monaten freikommen.

Wegen der anderen ihm zur Last gelegten Straftaten kann der Mafia-Boss, so jedenfalls die Auslegung von Justizminister Hikmet Sami Türk, nicht einmal vernommen, geschweige denn vor Gericht gestellt werden. Sogar Cakicis Anwalt Yuzuak sagt, dass jene beiden Straftaten, derentwegen die türkische Justiz die Auslieferung beantragte, ausgerechnet die "harmlosesten Vorwürfe" aus dem umfangreichen Sündenregister seines Mandanten seien. Damit scheint allen gedient: Cakici bleibt ungeschoren - und schweigt.