Frankfurter Rundschau, 23.12.99

Verheugen drückt aufs Tempo

"EU-Kandidaten Beitrittstermine nennen" / Kroatien im Blick

Von Martin Winter

Obwohl die EU wegen notwendiger innerer Reformen frühestens 2003 aufnahmefähig sein kann, will Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) schon Ende 2000 konkrete Beitrittstermine für viele der zwölf Staaten nennen, mit denen zurzeit verhandelt wird. Für die Zukunft räumt er auch Kroatien und sogar Ländern des Westbalkans Chancen ein.

BRÜSSEL, 22. Dezember. Das kommende Jahr sei "entscheidend" dafür, wer wann der EU beitreten könne, sagte Verheugen am Mittwoch in Brüssel. Er kündigte die Vorlage eines "konkreten Beitrittsszenarios" an, das darüber Aufschluss geben soll, ob die Länder in Gruppen oder einzeln aufgenommen und welche Übergangsfristen ihnen gewährt werden. Eine Entscheidung soll im nächsten Jahr fallen, wenn bis zu 200 Verhandlungsteams der EU parallel mit Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, Malta, Zypern, Estland, Lettland, Litauen, Slowenien und der Slowakei verhandeln. Mit der Türkei, ebenfalls Kandidatin, wird noch nicht verhandelt, weil sie die politischen und rechtlichen Voraussetzungen noch nicht erfüllt. Verheugen lehnte es ab, geographische Grenzen für die Union zu ziehen: Die EU sei ein "dynamischer Prozess" sowohl von ihrer Ausdehnung als auch von ihrer inneren Gestaltung her. Er sehe aber nicht, dass man einen neuen Erweiterungsprozess beginnen könne, bevor der jetzige - einschließlich der Türkei - beendet sei. "Einzige Ausnahme" sei Kroatien, sagte Verheugen. "Wir beobachten die Lage dort sehr genau." Die übrigen Länder des Balkans könnten dann mit Beitrittsverhandlungen rechnen, wenn einerseits die anstehende Aufnahmewelle vorüber sei und andererseits die Regierungen die politischen sowie ökonomischen Voraussetzungen dafür geschaffen hätten und friedlich zusammenlebten. Angesichts der Erfahrungen in Bosnien und in Kosovo äußerte er Zweifel, ob das bald gelingen könnte.

Jenseits dieser möglichen Erweiterungen sieht Verheugen "für den Zeitraum, für den man als Politiker planen kann" (womit er 30 Jahre meint) keine Chance für die Staaten der Kaukasusregion, die Ukraine oder gar Russland, sich der EU anzuschließen. Er sage zwar "nicht nie", doch nannte er es "unverantwortlich, da Hoffnungen zu wecken".

Der Krieg in Tschetschenien, der die Beziehungen zwischen der EU und Russland abgekühlt hat, droht sich inzwischen auch auf die Beitrittsverhandlungen mit den drei baltischen Staaten auszuwirken. Es gebe zwar "noch kein Sperrfeuer" aus Moskau, sagte Verheugen, aber es sei doch "besorgniserregend", wie sich der "Ton verschärft" habe. Nähere Erläuterungen gab der Kommissar nicht. Man sei sich noch nicht im Klaren, ob es sich nur um Begleiterscheinungen des Tschetschenien-Krieges handele oder ob sich da in Moskau eine neue Politik abzeichne.