Süddeutsche Zeitung, 23.12.99

Gefangen im türkischen Sechs-Sterne-Hotel

Mafia-Boss Cakici genießt in der Haft beste Behandlung - er könnte ja auspacken

Was das strafrechtliche Kaliber betrifft, sind die beiden Männer einander ebenbürtig: Abdullah Öcalan war der meistgesuchte politische Verbrecher der Türkei, Alaattin Cakici der meistgesuchte Kriminelle. Doch derweil der eine in einem Hochsicherheitsgefängnis auf die Vollstreckung seiner Todesstrafe wartet, wird der andere in einem Luxusknast nicht einmal vernommen. Im schlimmsten Fall wird er vier Monate sitzen müssen.

Die Frage nach dem Grund der Vorzugsbehandlung für den Mafia-Boss beschäftigt derzeit die türkische Öffentlichkeit - obschon jeder die Antwort zu kennen glaubt: Denn Cakici mordete im Auftrag des Staates. Er weiß zu viel, und zu viele seiner Auftraggeber sind noch immer in Amt und Würden. Als er vor einem Jahr nach sechsjähriger weltweiter Fahndung der französischen Polizei ins Netz ging, stockte vielen Prominenten in der Türkei der Atem: Würde Cakici auspacken?

Auf türkischer Seite jedenfalls wollte niemand mit dem Mann sprechen, dem vom Mord über Anstiftung zum Mord bis zum organisierten Verbrechen fast alles vorgeworfen wird, was das Strafgesetzbuch zu bieten hat. Ankara entsandte keinen Staatsanwalt oder Kriminalkommissar zum Verhör nach Frankreich, und auch die Auslieferungsverhandlungen verliefen schleppend. Fast hatte es den Anschein, als ob man solange verhandelte, bis Cakici mit den Bedingungen einverstanden war.

Anfang Dezember war es so weit: Glücklich küsste der Mafia-Boss seinen Anwalt, als der ihm die frohe Kunde von der Überstellung in die Türkei überbrachte. In der Tat droht dem Verbrecher von der türkischen Justiz keine Gefahr: Denn Frankreich hatte nur unter der Bedingung in die Auslieferung eingewilligt, dass die Türkei kein Verfahren gegen ihn einleitet, an dessen Ende die Todesstrafe steht. Die Europäische Union lehnt die Auslieferung an Staaten ab, in denen es diese Strafe gibt.

Doch das Justizministerium in Ankara geht noch einen Schritt weiter. Man dürfe Cakici zu diesen Schwerverbrechen noch nicht einmal verhören, ließ Justizminister Hikmet Sami Türk verlauten, es sei denn, die französischen Behörden erlaubten es ihren türkischen Kollegen. Viele Anwälte, aber auch Innenminister Sadettin Tantan, widersprechen dieser eigenwilligen Auslegung und wittern eine Vertuschungsabsicht: Wenn Cakici nicht befragt wird, kann er auch nichts auspacken.

Diese Verbindungen reichen in höchste Höhen. So lobte Ex-Regierungschefin Tansu Ciller einmal all jene, "die für den Staat Kugeln abfeuern oder empfangen" als "ehrenwerte Helden". Das war eindeutig auf Männer wie Cakici gemünzt, die aus der rechtsradikalen Bewegung der "Grauen Wölfe" hervorgingen und sich später auf organisiertes Verbrechen verlegten - mit einer Nebentätigkeit für den Staat. Wenn sie alles erzählen würde, was sie wisse, so Ciller, "würde ein Krieg ausbrechen".

Ex-Premier Mesut Yilmaz hingegen, dessen frühe politische Wurzeln ebenfalls zu den "Grauen Wölfen" zurückreichen, wurde indirekt von Cakici gestürzt. Als herauskam, dass einer seiner Minister regelmäßig Kontakte zu dem steckbrieflich gesuchten Mafioso unterhielt, musste er seinen Hut nehmen. Zuvor hatte Yilmaz noch damit geprahlt, dass er die Verbindungen zwischen Politik und Verbrechen "binnen 20 Tagen" aufdecken würde.

Mittlerweile genießt Cakici seine Tage im Prominentengefängnis von Kartal, das nur deshalb nicht mit einem Fünf-Sterne-Hotel verglichen wird, weil hinter Gittern der Service besser ist und Kost und Logis frei sind. Vermutlich wird man gegen ihn nur Anklage wegen Bildung einer kriminellen Organisation erheben. Rechnet man die Haft in Frankreich an, käme er nach vier Monaten wieder frei. Dann bleiben ihm 45 Tage, um das Land zu verlassen. Denn erst nach Ablauf dieser Frist könnte man ihn wegen seiner anderen Verbrechen anklagen.

Wolfgang Koydl