Süddeutsche Zeitung, 23.12.99

Meinungsseite
Waffenexport - Theorie und Praxis

Trotz der restiktiveren neuen Richtlinien bleibt noch ein großer Ermessenspielraum

Von Christoph Schwennicke

Niemand soll das Recht abgesprochen werden, das weihnachtliche Fest der Liebe in Frieden und Eintracht begehen zu dürfen. Auch einer Bundesregierung nicht, auch einer rot-grünen Koalition nicht. Es ist ihr gelungen, in nur wenigen Wochen beim Thema Rüstungsexport wieder in ruhigere Gefühlslagen zu gelangen, als es die Koalitionskrise um den Testpanzer für die Türkei noch Ende Oktober hätte vermuten lassen.

Beharrlich, verantwortungsbewusst und in selten erlebter Diskretion haben Staatssekretäre aus den im Bundessicherheitsrat vertretenen Ministerien, zwei Abgesandte aus den Fraktionen und Kanzlerberater Michael Steiner einen neuen Entwurf von Richtlinien für den Rüstungsexport erarbeitet. Der wird, nach dem, was bekannt gegeben wurde, geeignet sein, nicht nur in der Sache, sondern auch darüber hinaus Misstrauen, Zwietracht und Vorbehalte abzubauen. Und zwar bei einem für Rot-Grün besonders sensiblen Thema. So etwas hat in der politischen Psychologie Effekte, die weit über den Einzelfall hinausreichen. Zu diesem Effekt hat maßgeblich Schröders Außenpolitik-Experte Michael Steiner, ein Erbstück aus der alten Bundesregierung, beigetragen.

Was werden also das für neue Grundsätze für Waffenexporte aus Deutschland sein? Und: Wie wird der Waffenexport in der Praxis künftig aussehen? Was wie ein und dieselbe Frage erscheint, sind in Wahrheit zwei getrennte Komplexe. Die Richtlinien für Waffenausfuhren aus der Bundesrepublik werden künftig strenger sein und sich an einem neuen Kriterium orientieren: dem der Menschenrechtslage in einem Land, das gerne Waffen aus Deutschland haben möchte. Es sollen Länder belangt werden können, die vorgaben, ein deutsches Waffensystem nicht weiterzuleiten, und es dann doch in ein Krisengebiet geliefert haben. Und es sollen Rüstungskooperationen mit anderen Ländern so geschlossen werden, dass Deutschland jedenfalls bei maßgeblicher Beteiligung ein Wörtchen mitzureden hat, wohin diese Waffe geliefert werden wird. Und die Bundesregierung wird dem Parlament jedes Jahr einen Rüstungsexportbericht vorlegen und dafür gerade stehen müssen.

Wird deshalb auf absehbare Zeit die Praxis anders aussehen? Kaum. Erstens gelten die Richtlinien nicht "ex post", also für schon eingegangene Verträge und Verpflichtungen. Sie werden beispielsweise einen Kampfhubschrauber "Tiger" nicht auf seinem Weg in die Türkei aufhalten können, selbst wenn dieser Hubschrauber weit mehr zum Kampf im Kurdengebiet geeignet ist als der zum Symbol geratene Kampfpanzer "Leopard II". Außerdem hat man sich, des Koalitionsfriedens wegen, im zentralen Punkt der Menschenrechte etwas in die Tasche gelogen. Werden sie nun grundsätzlich zum Maßstab, oder wird das Gerät, um das es im Einzelfall geht, daraufhin gedreht und gewendet, ob sich damit die Menschenrechte verletzen lassen?

"Ermessensspielraum" ist hier das Zauberwort, und Kanzlerberater Steiner lässt keine Zweifel aufkommen, wer diesen Spielraum hat und nutzen wird: der Bundeskanzler, und zwar nicht in Richtung Restriktion. Anders ist auch nicht zu erklären, dass man nun sagt: Wir haben schöne, neue, restriktive Richtlinien, aber für die heimische Wehrindustrie ändert sich nichts. Keine noch so diplomatische Formulierung kann verdecken, dass diese beiden Aussagen unvereinbar sind. Wenn am Ende doch beides stimmen soll, heißt das: Hier sind schöne Richtlinien, dort ist die nüchterne Praxis.

Klar ist nach diesem Verfahren auch: Die Fraktionen, in denen vor allem der Widerstand gegen freizügige Rüstungsexporte zu Hause ist, haben ihre Chance gehabt. Sie haben sie genutzt und einiges erreicht. Aber sie werden nicht mehr weitere Beteiligungen an den Verfahren herausschlagen können. Wenn SPD-Fraktionsvize Gernot Erler und die Grünen-Abgeordnete Claudia Roth so tun, als könnten sie noch ein parlamentarisches "Frühwarnsystem" herbeiführen, so ist das entweder liebenswerter Idealismus oder protokollarische Pflichtübung. In Wahrheit haben sie bei den Richtlinien das Drehbuch mitgeschrieben. Regie führt jetzt die Regierung.