Tagesspiegel, 22.12.99

Türkei will bis 2004 reif für die EU sein

Scharping ruft den Beitrittskandidaten zu mehr Demokratie auf Panzerlieferung wird an Beachtung der Menschenrechte geknüpft

Bundesverteidigungsmininister Rudolf Scharping (SPD) hat der Türkei Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte bescheinigt und Ankara zu weiteren Reformen in Richtung mehr Demokratie aufgerufen. Zum Abschluss seines zweitägigen Türkei-Besuchs erklärte Scharping am Dienstag: "Der Weg ist begonnen. Wir wollen aber nicht den Eindruck erwecken, wir seien am Ziel." Er bezog sich damit auf die Entscheidung des Europäischen Rates in Helsinki vor zehn Tagen, die der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten zur Europäischen Union eingeräumt hatte. Zu der Frage des umstrittenen Exports von Kampfpanzern vom Typ Leopard II brachte der erste Besuch eines deutschen Verteidigungsministers keine neuen Erkenntnisse.

Scharping erklärte, dass die türkische Seite angesichts der noch nicht abgeschlossenen Tests noch keine Entscheidung getroffen habe, welches Fabrikat sie anschaffen wolle. Aus der deutschen Delegation verlautete aber, dass vor allem die türkische Militärführung nach wie vor die Einfuhr des Leopard II bevorzugen würde. Scharping wiederholte den Beschluss der Bundesregierung vom Oktober, die Entscheidung über die Lieferung der 1000 Panzer von "nachprüfbaren Fortschritten" in der Menschenrechtsfrage abhängig zu machen. Scharping wollte während seines Aufenthalts keine Prognose abgeben, wie die Entscheidung der Bundesregierung in rund einem Jahr aussehen könnte.

Im Hinblick auf die weitere Entwicklung sagte Scharping, er habe volles Vertrauen, dass die türkische Führung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit das Ziel habe, die Demokratie weiter zu entwickeln. Dies gelte auch für die Achtung der Menschenrechte, die "zum selbstverständlichen europäischen Standard gehören." Nach den Worten des türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit wird die Türkei die Kriterien für den EU-Beitritt bis zum Jahre 2004 schaffen. Der Tageszeitung "Sabah" sagte Ecevit, die in der türkischen Gesellschaft vorhandene Dynamik zeige, dass dies kein Traum sei: "Wir können die Vollmitgliedschaft innerhalb von drei bis vier Jahren verwirklichen."

Scharping hatte am Dienstag unter anderem Staatspräsident Süleyman Demirel getroffen und zuvor am Mausoleum für den türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk einen Kranz niedergelegt. Auf seiner Reise hatte Scharping auch die Sorge geäußert, dass sich der Tschetschenien-Krieg ausweiten könnte. Er hatte darauf hingewiesen, dass die russischen Truppen auch die Grenze zwischen Georgien und Tschetschenien abriegelten und dazu Truppen, die noch in Georgien stationiert sind, benutzen könnten. Auch die Regierung der Türkei, die eine gemeinsame Grenze mit Georgien hat, schloss sich den Befürchtungen an.