taz, 22.12.1999 Seite 5

Scharping schneller als Leopard II

Besuch des Verteidigungsministers soll Kontakt zur neuen EU-Kandidatin Türkei vertiefen, doch die Gastgeber sind vor allem an Panzern interessiert Von Jürgen Gottschlich Istanbul (taz) - Noch bevor der umstrittene Testpanzer Leopard II in der Türkei eingetroffen ist, war Rudolf Scharping schon da. Der deutsche Verteidigungsminister beendete gestern seinen zweitägigen Besuch in Ankara, den er offiziell angetreten hatte, um die Beziehungen zur frisch gebackenen EU-Kandidatin zu vertiefen. Obwohl Scharping mehrfach betonte, er sei nicht als Handelsreisender für Rüstungsgüter in Ankara, richtete sich das öffentliche Interesse hauptsächlich auf die Panzer, die die türkische Armee möglicherweise in Deutschland einkaufen will. Verteidigungsminister Cakmakoglu, der der rechtsradikalen MHP angehört, erklärte nach seinem Gespräch mit Scharping, er könne nicht verstehen, warum die Bundesregierung den Verkauf der Panzer von der Verbesserung der Menschenrechtssituation abhängig machen wolle, obwohl es doch bereits 400 Leopard I Panzer in der Türkei gebe und der jetzige Verkauf lediglich eine Modernisierung des Bestandes sei. Scharping erklärte daraufhin, die früheren Panzer seien unter den Bedingungen des Kalten Krieges geliefert worden, und die Bedingungen hätten sich nun verändert. Er erwarte, dass der Nato-Partner die angekündigten Tests von Kampfpanzern aus mehreren Ländern tatsächlich vornehme.

Auch im Gespräch mit Ministerpräsident Ecevit ging es um Rüstungslieferungen. Ecevit erklärte anschließend, es sei für die Türkei nicht hinnehmbar, wenn solche Lieferungen aus politischen Gründen unterbrochen würden. Neben den Panzern ging es auch um den Verkauf von Kampfhubschraubern, die allerdings in deutsch-französischer Koproduktion hergestellt werden und formal von Frankreich verkauft werden.

Ein weiterer wichtiger Gesprächspartner war für Scharping Generalstabschef Kivrikoglu. Obwohl die Entscheidung über die Panzerbeschaffung sicher im Generalstab fällt, ging es in dieser Runde kaum um Rüstungsgeschäfte. Kivrikoglu beschwerte sich bei Scharping über die in Helsinki auf den Weg gebrachte Initiative für eine Europäische Verteidigungsidentität (ESVI), in der die türkischen Militärs den Kern einer zukünftigen EU-Armee sehen, aus der sie ausgeschlossen weden sollen. Ähnlich wie einige US-Militärs fürchten die türkischen Generäle, dass ESVI die Nato spalten könnte und die Türkei bei wichtigen Entscheidungsprozessen nicht mehr beteiligt sein wird. Das Militär hat die Entscheidung für den türkischen EU-Kandidatenstatus begrüßt und möchte nun wissen, wie in der Phase, bis das Land Mitglied ist, die Zusammenarbeit mit ESVI aussehen soll. Darüber hinaus verständigten sich Kivrikoglu und Scharping über die Kriegssituation in Tschetschenien und äußerten ihre Besorgnis, "dass der Konflikt sich auf Georgien und Aserbaidschan ausweiten könne".

Zum Schluss traf sich Scharping mit Außenminister Ismail Cem, dem für Europa- und Menschenrechtsfragen zuständigen Staatsminister Ali Mehmet Irtemcelik und Staatspräsident Demirel. Scharping betonte, dass sich die Atmosphäre im Land seit seinem letzten Besuch erheblich verbessert habe. Dennoch werde es noch sehr lange dauern, bis die Türkei europäischen Standards entspreche und die konkreten Verhandlungen zum EU-Beitritt beginnen könnten.