Yahoo, 20. Dezember 1999, 17:47 Uhr

Türkei kritisiert Koppelung von Menschenrechten an Rüstung

Scharping bekräftigt restriktive Rüstungsexportpolitik - Großer Bahnhof in Ankara

Ankara (AP) Mit Unverständnis hat die Türkei auf die Koppelung von Rüstungsgeschäften mit Deutschland an die Entwicklung der Menschenrechte reagiert. Der türkische Verteidigungsminister Sebahattin Cakmakoglu sagte beim Besuch seines deutschen Kollegen Rudolf Scharping am Montag in Ankara, sein Land habe diese Koppelung nie verstanden, weil die türkische Armee bereits 400 Panzer des Typs Leopard 1 erhalten habe. Eine mögliche Bestellung von 1.000 Panzern des Nachfolgetyps Leopard 2 durch die Türkei würde der Modernisierung des Bestandes dienen. Das Thema Panzer spielte bei den Unterredungen zwischen den Verteidigungsministern nach deren Angaben nicht die Hauptrolle. Scharping begrüßte jedoch eine Einigung in der rot-grünen Koalition auf verschärfte Rüstungsexportrichtlinien, die noch in dieser Woche im Kabinett beschlossen werden sollen. Er sagte, er tue dies, "weil ich immer für eine restriktive Rüstungsexportpolitik eingetreten bin". In der verschärften Fassung wird den Menschenrechten als Entscheidungskriterium ein höherer Stellenwert beigemessen als bisher. Scharping unterstrich, dass die Türkei bereits zahlreiche Fortschritte bei der Angleichung an westliche Standards gemacht habe. Bei der Entwicklung der Demokratie und der Menschenrechte gebe es aber noch Defizite. Für ein positives Votum bei Rüstungsexporten müsse Ankara mehr erreichen, als lediglich die offizielle Abschaffung der Todesstrafe, die seit 1984 nicht mehr vollstreckt wurde.

Protokollarische Überraschung

Scharpings erster Besuch beim neuen EU-Beitrittskandidaten Türkei, der am Dienstag nach zweitägiger Dauer endet, begann mit einer protokollarischen Überraschung. Scharping wurde entgegen der Planung bereits am Flughafen von Verteidigungsminister Cakmakoglu begrüßt, was offenkundig die von der Türkei als bedeutsam eingestuften Beziehungen zu Deutschland unterstreichen sollte. Scharping traf auch mit Ministerpräsident Bülent Ecevit zusammen. Als politischer Höhepunkt gilt ein Empfang bei Staatspräsident Süleyman Demirel am Dienstag. Auch eine Unterredung mit dem Staatsminister für Menschenrechtsfragen, Mehmet Ali Irtemcelik, stand vor der Rückkehr nach Berlin auf dem Programm. Die Reise soll der Fortentwicklung der europäischen Sicherheits-und Verteidigungspolitik sowie der Zusammenarbeit in der Nato dienen. Scharping unterstrich nach eigenen Angaben gegenüber seinen türkischen Partnern, dass die als Nato-interne Emanzipation gedachte Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität (ESVI) nicht gegen die Türkei gerichtet sei. Die Entwicklung der ESVI dürfe nicht dazu führen, dass die Mitwirkung der Türkei an der gemeinsamen Sicherheit geschwächt werde. Die türkischen Partner hoben den Einsatz Deutschlands hervor, dem Land am Bosporus den Status als EU-Aufnahmekandidat zu verschaffen. Dies entspricht laut Scharping dem politischen Ziel, der Türkei eine europäische Perspektive zu bieten. Die Türkei bleibe ein wichtiger Partner Deutschlands und der Nato durch gemeinsame Interessen gegenüber Russland und dem Nahost-Friedensprozess. Scharping unterstrich, dass 20 Prozent der türkischen Exporte nach Deutschland gingen und 16 Prozent der türkischen Importe aus Deutschland kämen. In der Türkei seien 900 deutsch-türkische Firmen tätig. Von den mehr als zwei Millionen Türken in Deutschland seien 50.000 Selbständige.