Neue Zürcher Zeitung, 21.12.99

Wer ist Migrant - wer Flüchtling?

Eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung

mav. Wer ist Migrant - wer Flüchtling? Dies ist eine der Fragen, welche in einer von der Konrad- Adenauer-Stiftung veröffentlichten Studie* über internationale Migration besprochen werden. In den neunziger Jahren lebten rund 120 Millionen Menschen ausserhalb ihres Geburtslandes, unter ihnen über 80 Millionen Arbeitsmigranten und deren Angehörige sowie etwa 24 Millionen Flüchtlinge und Asylbewerber. Angesichts dieser Zahlen stellt sich laut der Studie den Staaten immer drängender die Frage, welche Migranten sie aufnehmen wollen, können und müssen. Der Begriff der internationalen Migration umfasst sämtliche grenzüberschreitenden Wanderungen: freiwillige Emigration, legale oder illegale Arbeitsmigration sowie die durch Gewalt oder Unterdrückung erzwungene Flucht oder Vertreibung. Flüchtlinge im völkerrechtlichen Sinn sind laut der Genfer Konvention von 1951 hingegen nur diejenigen, die ihr Heimatland aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verlassen haben. Nur Flüchtlinge stehen unter einem internationalen Regime, das ihre Zurückweisung und Abschiebung in lebens- oder freiheitsbedrohende Gebiete verbietet.

Schwierige Unterscheidung

Wer seine Heimat nicht wegen politischer Verfolgung, sondern aus anderen Gründen verlassen hat, fällt also nicht in die Kategorie der Flüchtlinge, sondern lediglich in diejenige der Migranten. Die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Migranten ist laut den zwei Autoren, Gerald Braun und Angelina Topan, jedoch oft schwierig oder gar unmöglich. Immer häufiger seien politische Verfolgung, wirtschaftliche Not und Zerstörung von natürlichen Lebensgrundlagen zu einem komplexen Ursachengeflecht verwoben. Angesichts der Komplexität, der Erscheinungsvielfalt und des Ausmasses des Flüchtlingsproblems greife die Genfer Konvention zu kurz. Der wachsende Migrationsdruck stamme heute vorwiegend von Bevölkerungswachstum, Arbeitslosigkeit, Verelendung, Bürgerkriegen und Umweltzerstörung. Binnenflüchtlinge (displaced persons), Kriegs-, Armuts- und Katastrophenflüchtlinge würden jedoch nicht als «echte» Flüchtlinge anerkannt, betont der Bericht.

Unzeitgemässe Definition von 1951

Die Industriestaaten unterschieden deshalb bei ihrer Asylpolitik in der Regel zwischen den Asylberechtigten, die die Bedingungen der Genfer Konvention erfüllten, und den «de-facto-Flüchtlingen», die aus humanitären Gründen nicht abgeschoben würden, erklären die Autoren. Viele afrikanische und lateinamerikanische Staaten hingegen folgten heute einem in regionalen Rechtsgrundlagen verankerten, erweiterten Flüchtlingsbegriff. Die Deklaration von Cartagena, die 1984 von zehn mittel- und südamerikanischen Staaten verabschiedet wurde, wird als Beispiel dafür genannt, wie der Flüchtlingsbegriff dem veränderten Charakter der Wanderungsbewegungen angepasst werden kann: Gemäss dieser Deklaration fallen auch diejenigen Personen in die Kategorie der Flüchtlinge, die wegen allgemeiner Gewalt, innerstaatlicher Konflikte oder Störungen der öffentlichen Ordnung geflohen sind.

Die internationalen Wanderungsbewegungen würden zweifellos zunehmen, betonen die Autoren der Studie. Denn die Schubkräfte der Migration verstärkten sich, vor allem in den Armutsregionen der Welt. Begriffliche Ungenauigkeiten, uneinheitliche Kategorien, Überlappungen und hohe Dunkelziffern erschwerten aber einen klaren politischen und wissenschaftlichen Diskurs. Klarheit über einen veränderten, erweiterten Flüchtlingsbegriff tut also not.

* www.kas.de/publikationen/themen; ISBN 3-931575-55-1

en kurdischen Bergen gar nicht einsetzbar. Dann stimmt sogar beides: Kasse und Gewissen.