Neue Züricher Zeitung, 16.12.1999

Bald kurdisches Fernsehen in der Türkei?

Wirbel um eine Äusserung von Aussenminister Cem

Eine Äusserung des türkischen Aussenministers Cem, dass kurdische Bürger das Recht haben sollten, sich in ihrer Muttersprache im Fernsehen auszudrücken, hat einigen Staub aufgewirbelt. Die rechtsradikale Nationale Bewegung (MHP), die an der Regierung beteiligt ist, lehnt jegliches Entgegenkommen den Kurden gegenüber ab.

paz. Istanbul, 15. Dezember

In einem Fernsehinterview hat der türkische Aussenminister Cem angedeutet, dass sein Land eventuell bereit ist, Fernsehsendungen in Kurdisch zuzulassen. "Genau wie ich jetzt in meiner Muttersprache spreche, sollten alle Bürger das Recht haben, in ihrer eigenen Sprache am Fernsehen aufzutreten", sagte Cem. Wenn die Kurden in ihrer Sprache senden wollten, würde er dies nicht zu verhindern versuchen. Der Aussenminister sieht die Zulassung von kurdischen Sendungen als wichtigen Schritt zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien der EU. Gegenwärtig ist die kurdische Sprache am Radio, im Fernsehen und im Schulunterricht verboten. Erst seit 1991 dürfen Kurden in der Türkei straffrei ihre Muttersprache benutzen. Versprechungen im Sinne Cems wurden auch in der Vergangenheit gemacht, abzuwarten bleibt, ob die potentielle EU-Mitgliedschaft Anreiz genug ist, um diesmal Taten folgen zu lassen.

Abwehr der Nationalisten

Die Regierung steht nicht geschlossen hinter Cem. Verkehrsminister Eniz Öksüz, ein Mitglied der rechten Nationalen Bewegung (MHP), erklärte, d ass eine Nation nur eine offizielle Sprache haben könnte. Die MHP beweist damit, wie im Fall Öcalan, ihre harte Haltung in der Kurdenfrage. Dabei verkennt Öksüz, dass es gar nicht darum geht, eine zweite Landessprache einzuführen. Die MHP sieht seit je aber bereits im Gebrauch anderer Sprachen als dem Türkischen eine Gefahr für die Einheit der Nation. Auch Abgeordnete anderer Parteien vertreten zum Teil diese Ansicht, doch scheinen viele Politiker eine gemässigtere Position einzunehmen. Einzig die prokurdische Partei Hadep setzte sich immer schon offen für den Gebrauch des Kurdischen an den Schulen und in den elektronischen Medien ein.

Einige Gegner argumentieren mit der haarsträubenden Begründung, es handle sich beim Kurdischen gar nicht um eine Sprache, sondern nur um eine Reihe von Dialekten. Dies sei daran ersichtlich, dass die Kurden als Schriftsprache Türkisch benutzten. Unbeachtet des Umstands, dass Unterricht in Kurdisch verboten ist und daher nur wenige Intellektuelle die Sprache schriftlich beherrschen, ist dies purer Zynismus. In spezialisierten Buchläden in der Türkei ist eine ganze Reihe von Büchern in dieser offiziell nicht existierenden Sprache zu finden. Obwohl die Regierung kurdische Fernsehstationen in der Türkei bisher mit Erfolg verhindert hat, gelangen über Satellit dennoch kurdische Programme ins Land. In der prokurdischen Zeitung "Özgür Günden", deren Erscheinen im Südost en der Türkei allerdings verboten ist, steht in der Liste der täglichen Fernsehprogrammen jenes von "Medya TV" an erster Stelle. Dieser prokurdische Sender, der über Studios in Westeuropa verfügt, sendet sowo hl in türkischer als auch in kurdischer Sprache. Ankara hat verschiedentlich grossen diplomatischen Druck auf jene Länder auszuüben versucht, die dem Sender Gastrecht gewähren.

Rückkehr der Muttersprache

Ein kurdischer Intellektueller sieht im Gespräch eine wichtige Umwälzung seiner Gesellschaft durch das Satellitenfernsehen. In den frühen achtziger Jahren, als die Dörfer im Südosten der Türkei ans Stromnetz angeschlossen wurden, sei mit dem Radio und Fernsehen erstmals das Türkische in die kurdischen Haushalte vorgedrungen. Nun sei dank Satellitenempfang - die weissen Schüsseln sind in Südostanatolien sowohl auf Wohnblöcken wie auch auf den Dächern der einstöckigen Lehmhäuser allgegenwärtig - eine Rückkehr der Muttersprache möglich.