Ostsee Zeitung, 17.12.1999

Kanzler steht zu Türkei-Votum

Entscheidungen des EU-Gipfels im Bundestag umstritten

Berlin (dpa) Die in Helsinki beschlossene Anerkennung der Türkei als EU-Beitrittskandidat hat im Bundestag zu einer scharfen Debatte geführt. Während die Bundesregierung von einem Gipfel von "historischer" Bedeutung sprach und den Beschluss vehement verteidigte, erklärte die Union, bei der Türkei würden falsche Erwartungen geweckt. Sie könne die Kriterien für einen Beitritt in absehbarer Zeit nicht erfüllen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder, der wie Außenminister Joschka Fischer und andere Redner die Ergebnisse des Gipfels als "historisch" bezeichnete, sagte in seiner Regierungserklärung, die Ende vergangener Woche gefallenen Entscheidungen seien von erheblicher Tragweite. CDU-Vorsitzender Wolfgang Schäuble sagte, er gebe der Regierung recht, was die historische Dimension betreffe: "Es ist nur noch nicht sicher gestellt, ob zum Nutzen oder zum Schaden Europas."

Schäuble warnte grundsätzlich vor den Gefahren einer Erweiterung. Er sei für ein großes, starkes Europa, sagte der CDU-Politiker. Die Erweiterung sei aber "eine Riesenaufgabe", die mit den Menschen intensiv diskutiert werden müsse. Er kritisierte, dass die Frage der Einbeziehung der Türkei so in den Mittelpunkt gerückt worden sei. Das sei eine wichtige, "aber nicht die zentrale Frage der europäischen Einigung". Die Konsequenzen einer Ausweitung der EU von jetzt 15 auf womöglich 28 Mitglieder seien noch zu wenig bedacht worden.

Schröder verteidigte die Verleihung des Kandidatenstatus an die Türkei. An ihren Beitritt sei aber nur zu denken, wenn das Land die politischen Kriterien "samt und sonders" erfülle.